Steirischer Herbst: Nieder die Genussdiktatur

Jeremy Deller, Putin's Happy, 2019, Film, Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien, Foto: Mathias Völzke

Ekaterina Degots zweiter Herbst ist klar strukturiert, hochkarätig besetzt, besonnen ausformuliert und ein kräftiger erster Schritt zurück in die goldenen Zeiten des Herbstes.


Ein „angenehmer Weltuntergang“ wird seit vergangener Woche in Graz und Umgebung gefeiert. Sein Nukleus ist das Grand Hotel Abyss – es ist metaphorischer Ausgangspunkt für die 52. Ausgabe des Steirischen Herbstes und ein bisschen auch Festivalzentrale. War doch die Architektur wie Atmosphäre des barocken Palais Attems, in dem das Herbst Büro einquartiert ist, eine der Inspirationsquellen für das heurige Motto. Ebenso wie die Philosophie von Georg Lukács, der in den 1930er-Jahren in diesem Kontext das Lebensgefühl europäischer Intellektueller und Kulturschaffender angesichts des heraufziehenden Faschismus beschrieb.

Als Parabel für einen eigentlich sehr politischen Steirischen Herbst wählte Degot nun allerdings ein scheinbar unpolitisches Gebiet: Alles dreht sich heuer um den Genuss. Er ist Schlagwort in jeder Steiermark Marketingkampagne, stellte die in Russland geborene Ekaterina Degot fest. Die Genusskultur schlägt um sich und verschont maximal die Kunst, denn „Künstler interessieren sich nicht für Genuss, sie wollen nichts Süßliches“, erklärt die Intendantin. Das muss sich nun ändern. Der Genuss wird zelebriert, schaurig makaber an der Klippe des Abgrunds. Hoch lebe das Absurde.

Zelebriert auch am Eröffnungsabend des Festivals mit einer im Kongress abgehaltenen „Extravaganza“. Einem opulenten Spektakel zwischen Performance und Vernissagen Abend auf dem vor allem Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata mit ihrer Performance „The Style Council“ – ein Schauspiel mit lebendigen Skulpturen – großartig auftrumpften.

Auf der Zunge zergingen unterdessen die „Bernhard Kugeln“, Elmgreen und Dragsets Antwort sowohl auf Mozart, Österreichs liebsten Kulturexport, wie den König des bissigen Österreich-Kommentars, Bernhard. Solch internationale Besetzungen gut integriert in den heimischen Politdiskurs gelingen Degot. Auch Größen wie Oscar Murillo kann sie nach Graz holen, der sein Untergangsszenario gleich neben einer grandiosen Videoarbeit des georgischen Künstlers Giorgi Gago Gagoshidze inszeniert.

Künstler interessieren sich nicht für Genuss, sie wollen nichts Süßliches

Ekaterina Degot, Intendatin steirischer herbst
Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata, The Style Council, 2019, Performance, Congress Graz, Foto: Liz Eve

Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata, The Style Council, 2019, Performance, Congress Graz, Foto: Liz Eve 

Während auch das Parallelprogramm in den Institutionen stellenweise sehenswert ausfällt – ein Besuch lohnt etwa im Grazer Kunstverein bei Riccardo Giacconi sowie bei Peter Kogler im Kunsthaus – so reizen auch einzelne Untersektionen im Kernprogramm. Die Diskursreihe „Ideen“ etwa, sie wurde mit einer einsichtigen Rede zum Glücksdiktat von Eva Illouz eröffnet.

Doch insgesamt gilt: Bis in die von Biedermeier Möbeln inspirierte Grafik ist der Herbst heuer eine runde Sache, eine Ansage, die Druck wie Hoffnung für die nächsten Ausgaben Degots, drei weitere sind schon fix unter ihrer Intendanz geplant, macht. „Die zeitgenössische Kunst beschäftigt sich mit viel, aber bestimmt nicht mit dem Genuss des Publikums“, erklärte Degot noch eine Woche vor Festivalbeginn bei einem Pressetermin in Wien.

Außerdem knüpft man an die Tradition an, auch außerhalb der Grazer Innenstadt künstlerische Intervention zu stiften. In Puch bei Weiz, bekannt für den Tourismus entlang der Apfelstraße, entstand beispielsweise mit Jaśmina Wójcikdie die Installation „Sei mein Gast“. Ein Turm leerer Apfelkisten, der als Hommage an die Saisonarbeiter aus Polen, Ungarn und Rumänien gelesen werden soll und gemeinsam mit ihnen sowie der lokalen Bevölkerung im Workshop entstand.

Solch Brückenschläge sollen weiter forciert werden. Dankenswert bietet so bereits zum zweiten Mal auch das „Büro der Offenen Fragen“ neue Vermittlungsformate und Touren durch den Abgrund – der stellenweise etwas überinszeniert wurde, wie etwa in der begehbaren Installation von Artur Żmijewski oder in der medial bereits sehr präsenten pinken „ÖDUOPFER“ Säulenummantelung Eduard Freudmanns im Burggarten.

Elmgreen & Dragset, Echte Grazer Bernhardkugeln, 2019, Congress Graz, Foto: Liz Eve

Elmgreen & Dragset, Echte Grazer Bernhardkugeln, 2019, Congress Graz, Foto: Liz Eve 

Nun legt sie vor wie es doch gehen könnte Genuss mit Aussage zu einen. Die bei der ersten Ausgabe Degots etwas schwerfällig geratenen politischen Dogmen werden im zweiten Jahr wesentlich spielerischer ausformuliert. Zu bunt und grell, meinen manche Kritiker, gerade ausschweifend genug, will ich meinen, um ausreichend Genuss zu versprühen, auch Lust auf weiteren Diskurs zu stiften und ideell nicht nur im Mikrokosmos des Festivals verhaftet zu bleiben, sondern vielleicht tatsächlich auch so weit Stimmvolumen zu erreichen, dass auch die Künste an der aktuell umgreifenden gesellschaftlichen Partizipationslust mitzumischen und mitzunaschen vermögen.

Steirischer Herbst

Verschiedene Orte, 8010 Graz
Österreich

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