Ungestörter Putschversuch: Der steirischeherbst’18 ruft Revolution

Roman Osminkin, Putsch (After D. A. Prigov), 2018  | Foto: Jasper Kettner

Der sterischeherbst’18 ist eröffnet. Die neue Intendantin wünscht sich unter dem Titel „Volksfronten“ einen künstlerischen Störfaktor gegen das politische Momentum. Ein bisschen Idealismus hat noch keinem Neuanfang geschadet, doch im ersten von fünf Jahren reicht das Stimmvolumen noch nicht ganz aus für einen kräftigen Revolutionsaufschrei.


Es gibt ja bekanntlich zwei Arten mit einem „Speibsackerl“ umzugehen: Entweder man benutzt es um sich der Übelkeit zu entledigen, oder man bläst es mit Luft auf und lässt es laut knallen. Der steirischeherbst’18 will beides. Man will alle Sorgen dieser Krisenzeit ausspucken und dabei auch laut sein. Oder warum die „Speibsackerl“ mit dem Aufdruck „Panik Attacke“ in der Pressemappe?

Die erste Ausgabe des Festivals unter der Intendanz von Ekaterina Degot will ein „Störfaktor“ sein und „Überzeugungen erschüttern“. Mit einer präzisen und anregenden Eröffnungsrede machte sie am 20. September 2018 laut für die Krisen diese Zeit. Es soll eine politische Festivalausgabe sein, das macht auch die anschließende Parade des Bread & Puppet Theaters deutlich. Mit Big Band zog man vom Bahnhof Richtung Innenstadt. Unterwegs sollen alle, so Degot „der mitreissenden Gewalt der Kunst erliegen“ – alle, eben auch jene, die in diesem Viertel rund um den Bahnhof Wohnen und skeptisch aus ihren Fenstern auf die Straße schauten.

 


Sounds like Protest

Ähnlich irritiert der eine oder andere Passant später am Schlossbergplatz, wo Roman Osminkin aus tanzenden Buchstaben auf der Schlossbergstiege Wörter wie „Putsch“ und „Revolution“ in den Stadtraum einschreibt. Oben in den Kasematten dann das Finale des Eröffnungsreigens – die Musikperformance „Sound of Music“ der Gruppe Laibach. Diese startet mit einer Klageschrift gegen den Status Quo des politischen Österreichs und erntet damit verdienten Beifall. Was folgt ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem musikalischen Erbe. Neuinterpretiert haucht „Sound of Music“ plötzlich nun Schwermut und Lethargie ein. Nichts ist mehr übrig, von den fröhlichen ins Ohr gehenden Tönen, die als Hits komponiert wurden.

Der steirischeherbst‘18 bemüht sich redlich um das, woran schon eine documenta gescheitert ist – Protest gegen diese Zeit.

Paula Watzl
Bread & Puppet Theater, The Underneath the Above Parade #1, 2018, | Foto: Jasper Kettner

Bread & Puppet Theater, The Underneath the Above Parade #1, 2018 | Foto: Jasper Kettner

Ein bisschen trübe ist die Stimmung. Kann die Kunst das alles wirklich tragen, was sie sich aufhalst? Der steirischeherbst‘18 bemüht sich redlich um das, woran schon eine documenta gescheitert ist – Protest gegen diese Zeit. Sich der Krise zu bemächtigen versucht man im Zuge des Festivals vielerorts. Energischer Fokuspunkt für den ausgehenden Besuch kann das Kulturzentrum bei den Minoriten sein.

Hier berührt Ines Doujak mit ihren einschneidenden Collagen gefasst in statistische Aussagen mit der Härte der Realität. Etwa wenn sie heutigen Menschenhandel mit dem der Geschichte vergleicht und dabei feststellt, dass um 1850 ein Sklave umgerechnet um heutige 10.000 Euro verkauft wurde und gegenwärtig libysche Gefangene um 340 Euro gehandelt werden. Großartig auch nebenan der zweite Teil der Videoreihe „Dämonische Leinwände“ von kozek hörlonski. Im Zuge einer Großinstallation mit mehreren Filmwänden zeigen sie ihre performative Auseinandersetzung mit Brauchtum, Tracht und Mythen der Steiermark.

Laibach, Laibach’s Sound of Music, 2018 | Foto: Liz Eve

Laibach, Laibachs Sound of Music, 2018 | Foto: Liz Eve


Begleitprogramm: Herbstausstellungen für den herbst

Degot wünscht sich von den Institutionen der Stadt zur Zeit des herbst die jeweils besten Ausstellungen des Jahres zu zeigen. Dem werden nicht alle gerecht – aber überraschend viele. Nahtlos in das Festival fügt sich etwa die Ausstellung „Guerilla der Aufklärung“ im < rotor > ein. Die berührenden Arbeiten von Oto Hudec und Hannes Zebedin verursachen Gänsehaut und ziehen auf ihre Art Bilanz über Politik und Gesellschaft. So biegen sich Hannes Zebedins symbolische Balken. Oben sind sie türkis-blau bemalt, unten neutral, ein bisschen Holz in der Mitte hält sie gerade noch vom Brechen unter der Spannung.

Wer dann zwischendrin etwas für die Augen braucht ist am besten im Kunsthaus aufgehoben. Vielschichtig laden die „Congo Stars“ mit ihrer einzigartigen Ästhetik gekonnt kuratiert dazu ein, diese fremde Kultur ein Stück über die Kunst verstehen zu lernen. Regelreicht hineingezogen wird man auch ins Künstlerhaus mit der Ausstellung „Artificial Pardise? Immersion in Raum und Zeit“, die sich mit virtuellen, realen und kunsthistorischen Weltbildern befasst. Über die unterschiedlich ausgeformte Kraft des Bildes, aber auch von Sound und Bewegung lädt sie zum spielerischen Überdenken unserer Wahrnehmungen ein.

Immersion kann überhaupt dem herbst zugeschrieben werden. So versucht das Festival auch sich in die Stadt einzuschreiben. Viele Projekte sind im öffentlichen Raum in Auftrag gegangen. So etwa Yoshinori Niwas “Withdrawing Adolf Hitler from a Private Space” das als Container am Hauptplatz dazu aufruft Nazi-Relikte abzugeben: „Sie sorgen sich über den Hut Ihres Nazi-Opas, der immer noch auf dem Dachboden liegt?“ – eine Notfallnummer verspricht Abhilfe. Vom Dach der Arbeiterkammer leuchtet unterdessen die Skulptur „Aurora“ der ZIP group gegen den Faschismus.

 

Yoshinori Niwa, Withdrawing Adolf Hitler from a Private Space, 2018 | Foto: Mathias Völzke

Yoshinori Niwa, Withdrawing Adolf Hitler from a Private Space, 2018 | Foto: Mathias Völzke


Hoffen auf den Nachhall

Der herbst versammelt viele Fackeln für eine 'bessere‘ Zukunft, doch auch wenn der Versuch mit Störfaktoren Fremde zu Einen lobenswert ist. Viele der Passanten schüttelten doch ihre Köpfe ob der „Verrückten“, die da mit nackten Puppen aus Pappmasche und Trompeten am Donnerstagabend durch die Straßen zogen. Entstören wäre vielleicht gerade in diesen vielbesprochenen und durchaus unsicheren „Zeiten“ an manchen Stellen eher angebracht. Nicht im Sinne eines Viva Arte Viva, aber in dem eines Miteinanders, anstelle des „Gegeneinander“.

Klar hat es das linke Publikum begeistert als Laibach den kollektiven Feind FPÖ anklagte – doch wo bleibt bei all der Klage ein Gegenentwurf? Vielleicht hat sich auch dieses Festival wieder zu viel aufgeladen. Was in diesem Jahr aber in jedem Fall gelingt ist ein Stück Vermittlung und ein Barrieren-Abbau in punkto Besuchsfreundlichkeit auch Fach-ferner Interessierter. Es gibt zum ersten Mal eine Stadtkarte die die einzelnen Festivalorte bündelt sowie auch einen Festivalpass. Es geht um eine Ansprache aller die in die Stadt kommen. Doch wie soll man sie ansprechen? Per Du, oder Sie? Mit Titel? Und in welcher Sprache? Es gäbe eine universale Art der Ansprache, so Degot bei der Eröffnung, – „Sorry“. Wenn man jemanden im Stadtraum anrempelt oder aber auch wenn man ihm eine Frage stellen will, wenn man ihn – wie der herbst – stören will. Es bleibt zu hoffen, dass nach einigen sehr stummen Jahren heuer wieder einmal mehr vom Festival als nur dieses „Sorry“ überbleibt.

Lesen Sie das Interview mit Leiterin Ekaterina Degot im aktuellen Parnass.

PARNASS 3/2018

Das könnte Sie auch interessieren