mumok Wien

Wolfgang Tillmans | Schall ist flüssig

Längst überfällig, wird Wien aktuell mit einer umfassenden Wolfgang-Tillmans-Personale verwöhnt. Im mumok führt der deutsche Künstler gleichzeitiges Sehen vor – nicht nur entlang der Blickachsen seiner Fotografien, sondern auch quer hinweg über die Szenen der Popkultur von den späten 1980er-Jahren bis 2021.


Ausstellungsarchitektur wollte Wolfgang Tillmans keine. Im Gegenteil, sogar die Wände, die die Fluchttüren, Sicherheitshinweise und Feuerlöscher üblicherweise verdecken, lies er entfernen, um das Maximum an purer Ausstellungshalle als Ausgangspunkt zu nehmen. „Völlig angstfrei macht sich Tillmans so auch die Piktogramme der Besucherhinweise zu eigen“, erklärt Kurator Matthias Michalka den gleichzeitig ereignisreichen und ereignisarmen Moment, in dem ein beleuchtetes Fluchtwegsignal des Museums in einen scheinbar natürlichen Dialog mit einer Fotoaufnahme aus einem Nachtclub tritt. So funktioniert diese Ausstellung und Wolfgang Tillmans ganzes Œuvre – durchkomponierte Zufälligkeit.

Mich interessiert, was wir teilen, und nicht, was uns trennt.

Wolfgang Tillmans

Zu ihnen gehörten neben den großen Werkserien „Silver“ und „Freischwimmer“ auch ältere und jüngere Landschaftsbilder, Szeneaufnahmen der Nachtschatten der 1990er-Jahre, zahlreiche Porträts (von Lady Gaga über Frank Ocean zu Oscar Niemeyer) und immer wieder der Blick in die Astronomie, die den Künstler magisch anzieht. Der Mond und die Sterne, sie sind einer der Taktgeber dieser gelungenen Ausstellung, die Architektur ist ein zweiter. Nicht nur die tatsächliche Raumstruktur – und wie gekonnt Wolfgang Tillmans mit ihr spielt –, sondern auch seine werkinhärente Beschäftigung mit ihr. So auch die Arbeit „Book for Architects“, die Tillmans 2014 auf der Architekturbiennale in Venedig präsentierte: eine etwas andere Architekturfotografie, die weniger die Architektur in den Fokus stellt und  stattdessen nahe dran ist an den Bewohnern und Nutzern der Gebäude und ihrem Alltag.

Wolfgang Tillmans, Freischwimmer 227, 2012, Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

„Schall ist flüssig“ ist ein Spiel zwischen Oberfläche und Tiefe, Distanz und Nähe, ein Experiment am „Randbereich des Sichtbarmachens, des Sichtbarwerdens“, so der Künstler gegenüber dem ORF. Markante Augenblicke gibt es in der Ausstellung viele. Etwa die Fotoarbeit, in der Tillmans ein Smartphone fotografiert, das an einer Wasserflasche platziert wurde, um ein Gespräch per Video zu führen. Man sieht den in einem Krankenbett liegenden Künstler im oberen Eck des Telefons, seinen Gesprächspartner allerdings nicht. Er ist aus dem Bild gefallen, es bleibt nur eine Bettdecke als Indiz für das Gegenüber. Tillmans bricht die Grenzen von dem, was wir sehen und was die beiden Kameras abbilden, auf und evoziert gleichzeitig eine vielfältige Assoziationskette unseres aktuellen von Quarantäne und Homeoffice geprägten Alltags. Tillmans nutzt die Fotografie als Fokusgeberin von Schärfe und Unschärfe mit einem offenen Deutungsangebot. Der Kurator fasst treffend zusammen: „In seinen Arbeiten und insbesondere in dieser Ausstellung geht es Wolfgang Tillmans darum, Aggregatszustände zu verändern.“

Dieser Text wurde gekürzt. Den ganzen Artikel finden Sie in der PARNASS Ausgabe 01/22. 

Ausstellungsansichten, Wolfgang Tillmans, Schall ist flüssig, 2021-2022, Photo: Georg Petermichl, © mumok Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

1/4 | Wolfgang Tillmans Lüneburg (self), 2020 Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

2/4 | Porträt, Wolfgang Tillmans in der Ausstellung Schall ist flüssig, Photo: Georg Petermichl, © mumok Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

3/4 | Porträt, Wolfgang Tillmans in der Ausstellung Schall ist flüssig, Photo: Georg Petermichl, © mumok Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

4/4 | Ausstellungsansichten, Wolfgang Tillmans, Schall ist flüssig, 2021-2022, Photo: Georg Petermichl, © mumok Courtesy of Galerie Buchholz, Maureen Paley, London, David Zwirner, New York

mumok

Museumsplatz 1, 1070 Wien
Österreich

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