Dorothy Lichtenstein

Wir sprachen mit Roy Lichtensteins Witwe

Roy Lichtenstein, An ihn denken, 1963, Acryl auf Leinwand, Yale University Art Gallery, New Haven, Gift of Richard Brown Baker © Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024, Foto: Yale University Art Gallery, New Haven

Als Roy Lichtenstein in den 1960ern in der New Yorker Kunstszene die Pop-Art mitbegründete, war Dorothy Lichtenstein mit dabei. Die beiden heirateten 1968, nach dem Tod des Künstlers gründete die Witwe die Roy Lichtenstein Foundation mit der Mission, den Zugang zum Werk ihres Mannes zu ermöglichen. Im Herbst 2023 wäre der Künstler 100 Jahre alt geworden. Wir trafen Dorothy Lichtenstein in Wien und sprachen mit ihr über das Leben mit Roy Lichtenstein in den USA der 60er-Jahre.


PARNASS: Als Roy Lichtenstein 1997 starb, war Ihnen da sofort klar, dass die Stiftung zur Bewahrung des Werks Ihre Aufgabe ist?

DOROTHY LICHTENSTEIN: Roys Tod kam unerwartet. Ich wusste gleich, dass wir eine Art Fundament brauchen würden. Seine gesamte Arbeit kam zu mir, abgesehen von den Werken, die wir bereits an unsere Kinder weitergegeben hatten. Ich dachte, dass es einen Aufbewahrungsort geben muss, falls mir etwas zustoßen würde, und dass es jemanden braucht, der eine Stiftung leitet. Und ich hatte großes Glück, dass Jack Cowart da war, den wir seit den 1970ern kennen:  ich bin wirklich froh, dass er seitdem durchgehend Direktor unserer Roy Lichtenstein Foundation war.

P: Wie gelang es dem künstlerischen Erbe Roy Lichtensteins gerecht zu werden und einen Weg zu finden es so zu verwalten, dass auch die Öffentlichkeit davon lernen kann?

DL: Nun, das war unsere Aufgabe: Informationen über Roy und die Kunst seiner Zeit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. In den 1990ern konnten wir zum Beispiel in der Tat eine erstaunliche Sammlung von Fotos erwerben, die von Harry Shunk und János Kender stammen. Sie haben auch Yves Kleins berühmten Sprung in die Luft fotografiert, Andy Warhol und all die Künstler, die zu Roys Zeit arbeiteten. Einer von ihnen kam bei uns vorbei und ich habe mir die Fotografien von Roy angesehen. Durch den Erwerb waren wir in der Lage, das an Institutionen weiterzugeben und zugänglich zu machen, was wirklich eine Hilfe für die Kunst und auch für seine Zeit war. Zuletzt war unser Hauptziel, einen Catalogue Raisonné zu erstellen. Wir haben ihn vor Kurzem online veröffentlicht, er ist für alle zugänglich.

Katalog

Dorothy Lichtenstein, Albertina: Roy Lichtenstein. Zum 100. Geburtstag (8. 3. - 14. 7.2024), Foto: eSeL.at - Lorenz Seidler

Dorothy Lichtenstein, Albertina: Roy Lichtenstein. Zum 100. Geburtstag (8. 3. - 14. 7.2024), Foto: eSeL.at - Lorenz Seidler

P: Sie führen über 5000 Arbeiten in diesem Online-Werkverzeichnis, das ist eine große Menge.

DL: Es war ein langer Prozess dorthin: Mindestens 20 Jahre engagierter Forschung mit einem ziemlich großen Team unter der Leitung der europäischen Kunsthistorikerin Andrea C. Theil. Zu Roys hundertstem Geburtstag im Oktober 2023 konnten wir starten.

P: Mit dem online Catalogue Raisonné ist also ein Hauptziel der Stiftung erreicht. Ich habe allerdings gelesen, Sie hätten praktisch von Anfang an gewollt, dass die Arbeit mit dem Werkkonvolut Ihres Mannes vorbei ist. Warum?

DL: Nun, wir haben begrenzte Ressourcen und gar nicht die Mittel, um ewig weiterzumachen. Es scheint Zeit zu sein. Wir müssen Roy einfach freilassen und sehen, was aus ihm wird. Wir können nicht ewig Verwalter sein. Im Moment schließen wir die Digitalisierung unseres Archivs ab und wenn das erledigt ist, haben wir wahrscheinlich unsere Aufgabe erfüllt. Wir hoffen, dass jemand anderes diese Dinge erhält, aber wir selbst werden die Stiftung nicht mehr fortführen. Wir haben auch verschiedene Schenkungen getätigt.

Roy Lichtenstein, Ertrinkendes Mädchen, 1963, Öl und Acryl auf Leinwand, The Museum of Modern Art, New York, Philip Johnson Fund (by exchange) and gift of Mr. and Mrs. Bagley Wright © Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024, Foto: The Museum of Modern Art, New York/Scala, FlorenceRoy Lichtenstein, Ertrinkendes Mädchen, 1963, Öl und Acryl auf Leinwand, The Museum of Modern Art, New York, Philip Johnson Fund (by exchange) and gift of Mr. and Mrs. Bagley Wright © Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, W

Roy Lichtenstein, Ertrinkendes Mädchen, 1963, Öl und Acryl auf Leinwand, The Museum of Modern Art, New York, Philip Johnson Fund (by exchange) and gift of Mr. and Mrs. Bagley Wright © Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024, Foto: The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence

 

P: Sie haben anlässlich des hundertsten Geburtstags Roy Lichtensteins Arbeiten an vier US-amerikanische Museen gespendet – und an die Albertina in Wien. Warum haben Sie sich für dieses europäische Museum entschieden?

DL: Wir wollten eine Präsenz in den USA haben, aber auch in Europa. Wir hatten bereits eine Beziehung zur Albertina, weil wir hier vor rund 15 Jahren die Ausstellung „Roy Lichtenstein. Black & White 1961 – 1968“ mit dem Fokus auf Zeichnungen hatten. Die Albertina hatte bereits grafischen Arbeiten von uns geschenkt bekommen. Wien ist vielleicht keine Hauptstadt wie Paris oder London, aber es ist Mitteleuropa und ein wunderbares Museum mit einer Sammlung von frühen Werken der Pop-Up-Ära.

P: Haben Sie selbst eigentlich ein Lieblingskunstwerk?

DL: Einige! Die Spiegel-Serie mag ich wirklich gerne. Ich liebe auch seine Idee, dass sogar eine Kuh abstrakt wird. Er betrachtete die ganze Kunst als Abstraktion und ich glaube, er war der Meinung, dass selbst Kunst mit einem starken Bild eine Reihe von abstrakten Zeichen ist. Vielleicht stellen wir uns eine Kuh vor, oder man liest es als Stillleben. Aber es muss trotzdem formal als Komposition funktionieren

P: Roy Lichtenstein gehörte in den 1960er-Jahren zu einer Reihe von Künstlern in New York, die berühmt wurden indem sie etwas Revolutionäres, Neues gemacht haben. Wie sieht das aus heutigem Blick aus, ist es noch immer revolutionär? 

DL: Ich denke, dass Roys Arbeit immer noch diesen revolutionären Charakter hat, dass sie zeitgenössisch aussieht, viele Werke könnten heute gemacht werden – sie haben ihre Kraft nicht verloren. Natürlich bin ich voreingenommen, ich kenne ihn und das Werk so gut.

P: Roy Lichtenstein hat sich provokativ bei Stilmitteln der Werbegrafik bedient und sich Werke von etwa Picasso angeeignet. Gab es auch mal Vorwürfe wegen vermeintlicher Kopien oder klischeehafter Frauendarstellungen?

DL: Oh, ja. Vor allem in Bezug auf Nacktheit. Die Zeiten haben sich geändert, vor allem in Amerika, Kontext ist zweitrangig. Ich hoffe, wir kommen über die Idee hinweg, bei allem, was man zeigt, woke sein zu müssen.

Roy Lichtenstein, Glas und Zitrone vor einem Spiegel, 1974, Öl und Magna auf Leinwand, ALBERTINA, Wien - Sammlung Batliner © Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024, Foto: ALBERTINA, Wien

Roy Lichtenstein, Glas und Zitrone vor einem Spiegel, 1974, Öl und Magna auf Leinwand, ALBERTINA, Wien - Sammlung Batliner © Estate of Roy Lichtenstein/Bildrecht, Wien 2024, Foto: ALBERTINA, Wien

P: Als Sie in den 1960ern Roy Lichtenstein kennenlernten, arbeiteten Sie in New York in der Paul Bianchini Gallery. Haben Sie Ihre eigene Karriere in der Kunstszene weiterverfolgt oder damals zusammengearbeitet?

DL: Ich habe aufgehört in einer Galerie zu arbeiten. Wir sind nach Southampton auf Long Island gezogen, zusammen gereist, und ich habe meine eigenen Interessen verfolgt. Ich war ziemlich unabhängig und mir war bewusst, was er mit seiner Kunst tat. In den 1960er-Jahren dachten wir, dass sich die Welt verändert. Es spielte keine Rolle, ob man reich oder arm war, welche Hautfarbe man hatte. Es war eine aufregende Zeit. Es war, als hätten wir viele Vorurteile überwunden. Die Musik hat sich verändert, in der Kunst waren Bewegungen wie Pop Art, Minimalismus und Farbfeldmalerei im Kommen. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass es eine Revolution zum Besseren gab. Wer hätte gedacht, dass wir uns heute in diesen schwierigen Zeiten wiederfinden würden? 

Albertina

Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Österreich

Roy Lichtenstein
Zum 100. Geburtstag

bis 14. Juli 2024

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