Kommentar

Wie viele überdimensionale Readymades verträgt die Welt?

Jeff Koons, Bouquet of Tulips © Jeff Koons. Photo Luc Castel. Courtesy Noirmontartproduction

Im Rahmen unseres Themenfokus »Neue Skulptur« im aktuellen PARNASS 04/2019 thematisiert unsere Redakteurin Paula Watzl die öffentliche Skulptur in ihrem Kommentar »Too Big to Fail«.


Es sind die bekannten gelb-schwarzen Punkte, die den überdimensionalen Kürbis am Place Vendôme in Paris Ende Oktober als Werk von Yayoi Kusama entlarvten und etwaige Assoziationen zum nahenden Halloween zurückdrängten. Zur FIAC positionierte die japanische Künstlerin, 2018 Nummer eins unter den Künstlerinnen, gemessen nach ihrem Auktionsumsatz, eine aufblasbare Version ihrer ikonischen Kürbisse im Pariser Zentrum. Der Titel? – „Life of the Pumpkin Recites, All About the Biggest Love for the People”.

Von Nächstenliebe wollen im Pariser Stadtraum derzeit gleich mehrere überdimensionierte skulpturale Erzeugnisse zeugen. Seit September dieses Jahres soll ein zehn Meter hohes und 33 Tonnen schweres Tulpenbukett von Jeff Koons an die 130 Todesopfer der islamistischen Anschlagsserie 2015 im Fußballstadion Stade de France, dem Musikclub Bataclan und auf den Terrassen von Restaurants und Cafés erinnern. Ein „Geschenk“ an die Stadt.

Rund 3,5 Millionen Euro brachten private Spender aus Frankreich und den USA auf, um den von Koons großzügig gestifteten Entwurf zu realisieren und damit einen weiteren gut platzierten Fokus Punkt für eine Koons-Skulptur zu stiften – man denke etwa an den Welpen aus Blumen vor dem Guggenheim Bilbao oder die umstrittene sitzende Ballerina am Rockefeller Center. Immerhin lenkte Koons ein, dass 80 Prozent des Erlöses aus dem Verkauf des Urheberrechts für kommerzielle Produkte im Tulpendesign an die Familien der Opfer gehen werden.

Jeff Koons, Bouquet of Tulips © Jeff Koons. Photo Luc Castel. Courtesy Noirmontartproduction

Jeff Koons, Bouquet of Tulips © Jeff Koons. Photo Luc Castel. Courtesy Noirmontartproduction

Schließlich sind Koonsche Tulpen in Überdimension so begehrt, dass sie durchaus auch in Miniaturform als Souvenir zum Must-have bringen könnten (erst unlängst wurde ein Balloon Dog um 28 Euro im Lagerhaus gesichtet). Inzwischen gibt es die knallbunten Tulpen von Koons am Kunstmarkt in ähnlich großer Anzahl wie am Amsterdamer Blumenmarkt – nur weniger variantenreich. Die einen welken in der Fondazione Prada in Mailand vor sich hin, die anderen auf der Terrasse des Guggenheim in Bilbao mit Blick auf den Ría de Bilbao oder im Wynn Hotel in Las Vegas – vielleicht der passendste Ort – und in Paris nun eben als Friedenszeichen – wer’s glaubt.


Die Oldenburgsche Tradition

Werke wie dieses sind so oft besprochen worden, dass sie – als Selffulfilling Prophecy, ist die Rede von aktuellen Tendenzen in der Skulptur – gar nicht mehr ausgelassen werden können: die Pop-Art-Megastars in Oldenburgscher Tradition. Künstler, die allein schon durch die Dimension ihrer skulpturalen Gesten ins Blickfeld rücken. Und das keineswegs nur im räumlichen Sinne.

Damien Hirst etwa gelang der Schritt in die Mega-Liga nicht nur mit räumlich imposanten, in Formaldehyd eingelegten Tierkörpern, sondern vor allem 2007 mit der vielbesprochenen Arbeit „For the Love of God (Um Himmels willen)“ – einem Platinabguss eines menschlichen Schädels, der mit 8.601 lupenreinen Diamanten besetzt wurde – bei Herstellungskosten von rund 14 Millionen Pfund.

Es ist wohl eine inhärente Macht der Skulptur, plakativ und großgestig Botschaften zu senden – so sollte etwa Benvenuto Cellinis Perseus vermitteln, dass Cosimo I. de’ Medici die Stadt Florenz aus den Händen ihrer Feinde befreit habe, und der heute im Kunsthistorischen Museum Wien befindliche kämpfende Theseus Antonio Canovas sollte zur Glorifizierung Napoleons beitragen. Es kam also nicht nur auf die Größe an, sondern auch wesentlich auf die Konzepte dahinter.

Freilich schlug die Pop Art zwischenzeitlich einen anderen Ton an, doch wie viele überdimensionale Readymades verträgt die Welt? Vermutlich reicht zum Spaß in jeder Großstadt eines. So versucht Koons in Paris einen tieferen Kontext zu konstruieren. Die Hand, die den Tulpenstrauß hält, solle an die Freiheitsstatue erinnern und die friedliche Beziehung zwischen Frankreich und den USA in den Vordergrund kehren, erläuterte der Künstler. Alles Inszenierung?

Jeff Koons, Bouquet of Tulips © Jeff Koons. Photo Luc Castel. Courtesy Noirmontartproduction

Jeff Koons, Bouquet of Tulips © Jeff Koons. Photo Luc Castel. Courtesy Noirmontartproduction

Vielleicht geht dem Größer-und-bunter-ist-gleich-besser-Konzept des Kunstmarkts irgendwann wieder langsam die Luft aus – so wie es Kusamas Kürbis während der FIAC immer wieder wortwörtlich widerfuhr – und Skulptur darf bald wieder mehr als nur zu glänzen. Die Chancen dafür stehen jedoch nicht gut: Denn rechtzeitig zur Thanksgiving Parade des New Yorker Kaufhausriesen Macy’s war schon der nächste Kusama-Ballon “Love Flies Up to the Sky” big in business.

 

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