Gehen ist klimaneutral, platzsparend, gesund und ein existenzielles Grundbedürfnis. „Die Zweibeinigkeit ist die Grundlage der Menschheit“, schreibt der Anthropologe David Le Breton im Katalog zur Ausstellung „WALK!“. Mit dieser gewichtigen Gruppenschau setzt die Schirn Kunsthalle ein nachhaltiges Statement und zeigt auf, dass es in der Walking Art um mehr ‚geht‘.


Es hat sich als Maßstab längts etabliert, dass jeder täglich seine 10.000 Schritte absolvieren sollte. Dabei ist das Maß nicht direkt medizinisch belegbar, vielmehr steckt dahinter ein Zufall, der zum Regelfall wurde. In den 1960er-Jahren kam in Japan der „10.000-Schritte-Zähler“ auf – die Marke hielt sich über das Ableben seines technischen Apparats hinweg, ähnlich wie Michael Jacksons Moonwalk über den Tod seines Protagonisten hinaus. Die Popkultur ist eine Einstiegsmöglichkeit in die komplexe neue Ausstellung der Schirn Kunsthalle in Frankfurt. Die südkoreanische, in Wien lebende Künstlerin Miae Son zeigt eine Anleitung zum Moonwalk, umgesetzt als Spieluhr. Auch sie selbst rutscht – freilich bloß mittels Video – über den Ausstellungsboden. Doch der Anfang der Auseinandersetzung mit dem Gehen steckt tiefer in der Kunstgeschichte. Charles Baudelaire sprach vom Flaneur als „Maler des modernen Lebens“, ehe die avantgardistische Künstlerbewegung „Situationistische Internationale“ in den 1950er-Jahren die Raum-Bewegung zum Prinzip erklärte und sich aus der Konzeptkunst die „Walking Art“ formierte.

Die Zweibeinigkeit ist die Grundlage der Menschheit

David Le Breton

Minouk Lim, Portable Keeper, 2009, Video (Farbe, Ton), 12:53 min, Filmstill, © the artist and Tina Kim Gallery, New York

Miae Son, Anleitung für Moonwalk (Anfänger), 2016, Zeichnung mit Spieluhrmechanismus, Musik „Billie Jean“ von Michael Jackson, Synth-Brass Abschnitt, 20 × 20 × 10 cm, © Miae Son

Miae Son, Anleitung für Moonwalk (Anfänger), 2016, Zeichnung mit Spieluhrmechanismus, Musik „Billie Jean“ von Michael Jackson, Synth-Brass Abschnitt, 20 × 20 × 10 cm, © Miae Son

Sebastián Díaz Morales, Pasajes III, 2013, Video (Farbe, Ton), Monitor, 12:30 Min. im Loop, Filmstill, © the artist and carlier | gebauer, Berlin/Madrid

Tiffany Chung, A Thousand Years Before and After, 2012, Video (Farbe, Ton), 09:01 Min., Filmstill, © Tiffany Chung

Minouk Lim, Portable Keeper, 2009, Video (Farbe, Ton), 12:53 min, Filmstill, © the artist and Tina Kim Gallery, New York

Allora & Calzadilla, Land Mark (Foot Prints), 2001–02, Chromogene Abzüge von digitalen Dateien, © Allora & Calzadilla / Galerie Chantal Crousel, Paris

Letztere ist nur ein Ankerpunkt der umfassenden Schirn-Ausstellung – über 40  Künstler werden miteinbezogen und spannen den Bogen vom wandelnden Flaneur zum bewegten Akteur. In sechs Kapiteln begehen die beiden Kuratoren Matthias Ulrich und Fiona Hesse den Versuch den Diskurs rund um das Schlagwort „WALK!“ zu fassen, ohne einzuengen. Das erste Kapitel „Umherschweifen“ eröffnet mit Francis Alÿs. Zu sehen sind kleine, magnetische Spielzeughunde auf Rädern – mit ihnen ging der Künstler 1991 durch Mexico City und sammelte Straßenspuren auf. „Alÿs ist ein gutes Beispiel dafür, wie man das Gehen nutzen kann, um ein künstlerisches Narrativ zu schaffen“, meint Fiona Hesse. Weiter lesen Sie im PARNASS 01/22.

Schirn Kunsthalle

Römerberg, 60311 Frankfurt am Main
Deutschland

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