The Milk of Dreams: 59. VENEDIG BIENNALE

Von ihrem New Yorker Apartment aus habe sie via Zoom große Teile der Hauptausstellung der 59. Venedig Biennale kuratiert, erklärte Cecilia Alemani bei der Eröffnungspressekonferenz.


Nach der Corona-Pause und mitten im Ukraine-Krieg startete diese Ausgabe der Biennale in unsicheren Zeiten. Die Kunst müsse die Komplexität unserer Gegenwart reflektieren, so Alemani. Das gelingt ihr in Venedig nur teilweise, anderes – wie eine kunsthistorische Logik, Sichtbarkeit für Künstlerinnen, eine Auswahl, die verstärkt postkoloniale und außereuropäische Positionen in den Mittelpunkt stellt, sowie eine angenehme Ausstellungsführung im Arsenale – gelingt dafür großartig.

Mehr als 1.500 Arbeiten von 213 Künstlern, so viele wie nie zuvor, sind es, die Cecilia Alemani in „The Milk of Dreams“ präsentiert. Als Leitmotiv wählte sie das Fabelbuch der britisch-mexikanischen Surrealistin Leonora Carrington „The Milk of Dreams“, in dem es um die Macht der Verwandlung geht, aber auch um die Grenzen sprengende Vorstellungskraft. Insgesamt sind es die Künstlerinnen, die diese Venedig Biennale prägen. Ihnen räumt die aus Italien stammende Cecilia Alemani Bühnen ein, rückt Avantgarde-Künstlerinnen der Moderne und des frühen 20. Jahrhunderts unmissverständlich in den Mittelpunkt und schreibt sie damit wieder in die Kunstgeschichte ein – von Maria Sibylla Merian über Ruth Asawa bis zur deutschen Bauhausschülerin Gertrud Arndt und der italienischen Surrealistin Leonor Fini. Ihnen stellt die Kuratorin weibliche Kunstschaffende gegenüber, die in ihren Werken ähnliche Sujets und Themen, wie Transformation und Identifikation, verhandeln. So erhalten in der Hauptausstellung Positionen wie Sandra Mujinga, Raphaela Vogel, Tau Lewis oder Marguerite Humeau prominente Aufmerksamkeit.

KATHARINA FRITSCH | Elefant, 1987 | Foto: PARNASS

Den beeindruckenden Auftakt macht Simone Leigh, die für„Brick House“, ihre monumentale Skulptur am Eingang der Arsenale-Schau, mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Ebenso stark ist ihre Präsentation im amerikanischen Pavillon. Ebenfalls großgestisch eindrucksvoll: der Elefant von Katharina Fritsch, die gemeinsam mit Cecilia Vicuña einen Golden Löwen für ihr Lebenswerk erhielt.

Die Ausstellung lässt einen eintauchen in die Vielfalt der Kunstgeschichte, verbindet Vergangenheit und Gegenwart ebenso wie europäische Kunst mit Einblicken in die Kunstszene Asiens, Afrikas und Süd- wie Nordamerikas. Cecilia Alemani sucht nach alternativen Erzählungen. Die Neubefragung und -deutung der Kunstgeschichte ist ein wichtiger Bestandteil ihres Konzepts, ebenso wollte sie den Besuchern das Rüstzeug geben, vernetzend auf die Kunst zu blicken, wie sie bei der Eröffnung erklärte. Dafür hat sie fünf sogenannte „Zeitkapseln“ entwickelt, die den Fluss der Hauptausstellung unterbrechen und mit historischen Arbeiten eine Brücke in die Kunst- und auch Kulturgeschichte schlagen. Darin vertreten finden sich unter anderem Werke der Österreicherinnen Birgit Jürgenssen und Kiki Kogelnik. Zeitkapseln in Arsenale und Giardini beschäftigen sich mit programmierter Kunst und kinetischer Abstraktion der 1960er-Jahre, mit der Verbindung zwischen Körper und Sprache oder mit Robotern und Cyborgs und der Verschmelzung von Mensch und Maschine. Das Ausstellungslayout und -design dazu stammt aus der Feder des Mailänder Designstudios FormaFantasma. Ihre Architektur gepaart mit Alemanis Strukturen ergibt eine sehr dichte und doch angenehm erfahrbare Großausstellung, die eindeutig unter gewissen Vorsätzen steht, dabei jedoch unmissverständlich über den eurozentrischen Rand hinausblickt. Zahlreiche Positionen aus Afrika und Lateinamerika hinterlassen Eindruck, wie Portia Zvavahera (Simbabwe), Belkis Ayón (Kuba) oder Delcy Morelos (Kolumbien). Video und neue Medien sind kaum dominant, hingegen wird dem Surrealismus und dem Transformativen Raum gegeben­­.

SIMONE LEIGH | Brick House, 2019 | Foto: Christof Aigner

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