Das Porträt im Blickfeld der Sofortbildkamera | Irene Andessner

Spot On: Polaroid

Das Porträt stand am Beginn der Sofortbildfotografie. Als eines der bekanntestes gilt Oliviero Toscanis 1974 entstandenes Porträt von Andy Warhol. Das Schwarz-Weiß-Polaroid zeigt den Künstler in frontaler Haltung, in den Händen hält er eine SX-70. Der Finger ist am Auslöser und das fotografierte Bild bereits entwickelt. Ein vermeintliches Selbstporträt, als ob der Künstler in einen Spiegel blicken würde. Ein Bild, das vielfach publiziert nicht nur zur Ikone von Warhols Selbstinszenierung wurde, sondern auch zu jener des Sofortbilds. Für die österreichische Künstlerin Irene Andessner wurde es zum Ausgangspunkt eines umfassenden fotografischen Projektes.


Das erste Polaroid der Künstlerin Irene Andessner entstand 1982: ein Selbstporträt mit einer SX-70, ein Foto als Tagebucheintrag vom 23. April 1982 – das Gesicht anonymisiert und malerisch überarbeitet. Andessner kommt ursprünglich von der Malerei und studierte an der Akademie der Schönen Künste in Venedig bei Emilio Vedova sowie in Wien an der Akademie der bildenden Künste bei Max Weiler und Arnulf Rainer. Die Fotografie und das Video lösten in der Folge die Malerei ab, das Sujet des Selbstporträts entwickelte Andessner Mitte der 1990er-Jahre weiter. Die Serie „Vorbilder“ kann dabei als formaler wie programmatischer Wendepunkt gesehen werden. Andessner verlässt den gewohnten Rahmen des Selbstporträts und übersetzt gemalte Selbstporträts von Künstlerinnen wie Sofonisba Anguissola, Angelika Kauffmann, Gwen John oder Frida Kahlo in die Gegenwart.

Die Basis bildet, wie auch in all ihren folgenden, oft sehr aufwendigen Projekten, die Auseinandersetzung mit den Biographien und Werken der Künstlerinnen, die Anfertigung ihrer Kleidung, die Aneignung ihres Blickes und ihrer Haltung. Der Prozess der Verwandlung in die Künstlerinnen wurde für „Vorbilder“ mit der Videokamera dokumentiert. Die Fotos, Polaroids, entstanden damals zunächst als Nebenprodukte – rückten jedoch alsbald in den Mittelpunkt.

Frauen, Künstlerinnen, Pionierinnen und Vorreiterinnen der Geschichte stehen zumeist im Fokus von Andessners künstlerischer Arbeit. Es sind starke und politisch engagierte Frauen, kreativ, klug und in jeder Hinsicht bemerkenswert und alle oft zu Unrecht vergessen. Sie werden von Irene Andessner unmissverständlich wieder in den Mittelpunkt gestellt: Von Barbara Bloomberg (1527–1597), Regensburger Bürgerstochter und Geliebte von Kaiser Karl V.,  Milli Stubel-Orth (1852–1890), Balletteuse an der Wiener Hofoper und spätere Ehefrau von Erzherzog Johann Salvator (später Johann Orth), den „Frauen von Salzburg“ bis hin zu großen Projekten wie „I.M. Dietrich“, 2001 und „Donne Illustri“, 2003.

Über ein Jahr lang befasste sich Andessner mit dem „Mythos Marlene“ und vollzog eine schrittweise Verwandlung in „die Dietrich“, vom blond gefärbten Haar über die Hosenanzügen, die sie nach Originalschnitten der Schauspielerin anfertigen ließ, bis hin zum Auftritt als Sängerin auf einer Kölner Travestiebühne. Der Frack, den Andessner auf einem der Fotos trägt, stammt von Marlene Dietrichs Lieblingsschneider Knize. Um die Arbeitsergebnisse mit ihrem zweiten Vornamen Maria mit „I.M. Dietrich“ zu signieren, castete sie Männer mit dem Nachnamen Dietrich, die bereit waren eine „Ehe für die Kunst“ einzugehen. Geheiratet wurde – festgehalten durch Kameraleute und Fotografen – in Charlottenburg, die Scheidung erfolgte nach Abschluss des Projektes.

Weiter lesen Sie in unserer PARNASS Ausgabe 03/2021!

Irene Andessner, Barbara-Debbie, 2021, Polaroid, 24 x 19 cm (10 x8 Inch), © by the artist

Galerie Ruberl

Himmelpfortgasse 11, 1010 Wien
Österreich

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