Richard Gerstl: Früh vollendet, spät entdeckt

Richard Gerstl, Selbstbildnis als Halbakt, 1902/04, Öl auf Leinwand, 159 x 109 cm | Foto: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger

Richard Gerstl (1883–1908) zählt heute zu den bedeutendsten Vertretern der österreichischen Moderne. Dabei blieb der radikale Visionär lange unbeachtet. Gerstl war seiner Zeit voraus. Zeitlebens stellte er nicht aus, seine Bedeutung wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg erkannt. Das Leopold Museum widmet ihm ab 27. September 2019 eine Retrospektive.


Als Kokoschka auf der Kunstschau 1908 erstmals in Erscheinung trat und zum Enfant terrible der Kunstszene wurde, nahm sich Gerstl mit 25 Jahren das Leben. Vor Schiele und Kokoschka hat Gerstl mit seiner radikalen Bildsprache den Expressionismus in der österreichischen Kunst antizipiert. Die expressionistischen Ausbrüche auf der Leinwand, das Selbstporträt als psychologische Reflexion und der Kahlkopf als Zeichen der Rebellion – die Umdeutung traumatischer Alltagserfahrungen setzte Gerstl in Wien um 1900 als Erster in Szene.

Mit seinen Porträts und Landschaftsbildern, von denen wir heute etwa 70 Arbeiten kennen und die in nur wenigen Jahre entstanden sind, hinterließ Gerstl ein reifes und originelles Werk, das sich an der internationalen Kunst vom Symbolismus über den Pointillismus bis zum Neoimpressionismus orientierte. Sein expressionistisches Schaffen und seine tiefe Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper sollten auch Einfluss auf die späteren Generationen ausüben: von den Wiener Aktionisten bis zur Gegenwartskunst unter anderem von Martha Jungwirth. Darüber hinaus setzt das Leopold Museum Richard Gerstl auch in Dialog mit Positionen internationaler Kunst, so sind beispielsweise Willem de Kooning und Francis Bacon ebenfalls Teil der umfassenden Ausstellung.


Gegen alles und jeden

Als schwierig und jähzornig könnte man Gerstl bezeichnen, Trends und Meinungen stand er kritisch gegenüber. Bereits in Teenagerzeiten zeigte er Verhaltensauffälligkeiten, wurde des angesehenen Piaristengymnasiums verwiesen und wechselte in eine Privatschule. Nach dem Unterricht beim Akademiestudenten Otto Frey und der von Ladislaus Rohsdorfer geleiteten Zeichenschule Aula, bestand er als 15-Jähriger die Aufnahmeprüfung an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

Sein Vater, ein erfolgreicher Geschäftsmann, stand den Ambitionen seines eigenwilligen Sprösslings skeptisch gegenüber, unterstützte ihn finanziell aber zeitlebens – vielleicht auch ein Grund, warum Gerstl es mit Regeln und Konventionen nicht so genau nahm. Mit seinen Professoren Christian Griepenkerl und Heinrich Lefler sollte er es sich bald verscherzen.

RICHARD GERSTL INSPIRATION – VERMÄCHTNIS Leopold Museum, Wien Foto: Leni Deinhardstein

RICHARD GERSTL. INSPIRATION – VERMÄCHTNIS Leopold Museum, Wien Foto: Leni Deinhardstein

Als schwierig und jähzornig könnte man Gerstl bezeichnen, Trends und Meinungen stand er kritisch gegenüber.

Stefan Üner

Letzteren kritisierte er nicht nur wegen dessen Teilnahme am Jubiläumsfestzug von Kaiser Franz Joseph 1908, sondern auch in einem Beschwerdebrief an das Ministerium, da seine Arbeiten bei der Akademieausstellung 1908 nicht gezeigt wurden, obwohl er ein Jahr zuvor von der Presse in der Wiener Abendpost, Beilage zur Wiener Zeitung als „vielversprechendes Talent“ bezeichnet wurde.

Freundschaften pflegte Gerstl kaum, Künstlervereinigungen interessierten ihn nicht. Stattdessen besuchte er in den Sommermonaten die Künstlerkolonie des ungarischen Malers Simon Hollósy, der nach französischem Vorbild eine koloristische Freilichtmalerei propagierte, die Gerstl später...


Den vollständigen Artikel lesen Sie in unserem aktuellen PARNASS 03/2019.

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1070 Wien
Österreich

Richard Gerstl

bis 20. Jänner 2020

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