Otto Muehl | Malerei zwischen Aktionismus und Reaktionismus

In Wien zeigen zwei Galerien das malerische Werk von Otto Muehl seit den 1980er-Jahren. Die Aufregung ist wie immer groß, denn die Biografie des Künstlers ist so skandalös wie komplex. Die Malerei hingegen vermag kaum mehr zu schockieren und zeigt ironische Paraphrasen auf geschätzte und verhasste Vorläufer.


Otto Muehls Einstellung zur Malerei hat seit 1960 in wenigen Jahren wie ein Pendel mehrmals in gegensätzliche Richtungen ausgeschlagen. Von der Zerstörung des Tafelbilds und der gesamten abendländischen Kunsttradition im Aktionismus hin zur Malerei als Mittel zum Zweck in den Agitprop-Bildern von 1967/68, von der Verdammung der Kunst als Sublimierung einer kranken Gesellschaft hin zur Malerei als einer angenehmen Beschäftigung, von der Auflösung der Kunst im Leben in der Kommune zu einer Malerei als fast schon spielerischem Ausleben kreativer Energien. Man vermeint, Günter Brus zustimmen zu können, der diese Entwicklung als schizophren kommentiert hat, doch zeigt sich darin auch Muehls stetes Ringen mit den Möglichkeiten der Malerei.

Bereits in den Jahren 1967/68, also während seiner Aktionszeit, fertigt Muehl Porträts von „Persönlichkeiten“ aus Politik und Unterhaltung in Dispersion auf Hartfaserplatte an, die er als Vorlagen für Siebdrucke heranzieht. Vier Jahre später verwendet er dieselbe Technik für die Umsetzung von Aktionsfotos in das Medium Malerei: die „12 Aktionen“. Muehl ist zu diesem Zeitpunkt mit seinen Aktionen an einen Endpunkt gelangt und lotet nun Möglichkeiten einer Neuausrichtung aus. Ähnlich wie Brus in seinem Bild-Text-Roman „Irrwisch“ scheut auch er keinen Tabubruch in seinen Darstellungen und setzt die Provokation als bewusste Konfrontation mit den Moralvorstellungen der Gesellschaft und den repressiven Instrumentarien des Staates ein. Formal zitiert er in diesen frühen Bildern bereits diverse Stile der Klassischen Moderne und entwickelt eine postmoderne Konzeption von Malerei, die für die kommenden Jahre prägend wird, auch wenn sie zunächst in den Hintergrund tritt. Nicht das Bildermachen, sondern der Aufbau der aktions-analytischen Kommune mit freier Sexualität und Abschaffung des Privateigentums steht nun im Vordergrund. Für die Erörterung der sozialen Mikrostruktur dieser Kommune fehlt hier der Platz.

Ausstellungsansichten Otto Muehl, Change – Bilder der 80er Jahre, Palais Schönborn-Batthyány, Wien, W&K – Wienerroither & Kohlbacher 2020, Fotos: Rudi Rapf, © W&K – Wienerroither & Kohlbacher, Wien

Mit der Porträtserie der „Persönlichkeiten“ von 1967/68 reiht Muehl sich in die Tradition der frühen „hand-painted“ Pop Art ein, auf die er ab Mitte der 1980er-Jahre mit Serien wie „Erdbeben“ oder „Unfälle im Haushalt“ wieder zurückgreift. Nach einigen Jahren der Malerei-Abstinenz beginnt er Mitte der 1970er-Jahre wieder zu malen und fühlt sich 1977 auch genötigt, sich dafür zu rechtfertigen: „die malerei ist für mich zum vergnügen und zur erholung geworden. sie fördert das ruhige denken und die sensibilität für rhythmik und farben.“1 Die erwähnte „Erholung“ und das „ruhige Denken“ erschließen sich auch auf den zweiten Blick nur schwer, denn was sich in seiner Malerei manifestiert, ist die polymorphe Perversität der Gesellschaft, als deren Darsteller Muehl sich sieht.2

Lesen Sie weiter in unserer PARNASS Ausgabe 04/2020.

Ausstellungsansichten Otto Muehl, Change – Bilder der 80er Jahre, Palais Schönborn-Batthyány, Wien, W&K – Wienerroither & Kohlbacher 2020, Fotos: Rudi Rapf, © W&K – Wienerroither & Kohlbacher, Wien

W&K Palais
Renngasse 4
1010 Wien

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Konzett Gallery
Spiegelgasse 21
1010 Wien

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1 Otto Muehl, OTTO: WARUM ICH WIEDER MALE (1977). In AA-Intern, Heft 16/1977, s.p.
2 Über den Urknall hinaus. Otto Muehl im Interview mit Peter Noever. In: Otto Mühl 7. Ausst.-Kat. MAK, Wien. Ostfildern 1998, S. 7–13, 11.

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