Ein rundgang | Teil 2

KUNST IM SÜDEN FRANKREICHS

Es gibt viele gute Gründe, den Süden Frankreichs zu besuchen. Und sicher nicht der unbedeutendste ist – neben Klima, Kulinarik und „l’art de vivre“ – die Kunst. PARNASS 02/2021 lädt zu einer Entdeckungstour zu einigen der schönsten Orte im Umkreis der Côte d’Azur ein, an denen sich zeitgenössische Kunst und Architektur in besonderer Atmosphäre genießen lassen. Hier geht es zum ersten Teil des Rundganges.


 

FONDATION VENET

Im weitläufigen Garten der Fondation Venet stechen die eigenen Skulpturen des Künstlers ins Auge: großzügige, geschwungene, in der Sonne rostrot leuchtende Formen aus Cortenstahl. Auf Rasenstücken, zwischen Bäumen und jenseits des von Bernar Venet entworfenen, tunnelartigen Fußgängerstegs, der durch ausgeklügelte Öffnungen hunderte Sonnenlicht-Sprenkel im Inneren glitzern lässt, befinden sich monumentale Skulpturen und Installationen anderer bedeutender Vertreter der Minimal- und Konzeptkunst, mit denen der Hausherr befreundet ist – Arman, Tony Cragg, Richard Long et cetera. Die »Stella Kapelle« mit sechs großen Reliefs wurde von Frank Stella in situ zur Eröffnung der Fondation 2014 verwirklicht. Zwei Lichtinstallationen von James Turrell wurden 2016 enthüllt.

BERNAR VENET | Effondrement 200 tonnes, Le Muy, 2017 | © Foto: Gerard Schachmes Paris, Courtesy Archives Bernar Venet New York


GUY PIETERS FOUNDATION

Die Stiftung des belgischen Sammlerpaares Linda und Guy Pieters, die ein historisches Stadtpalais im Zentrum von Saint-Tropez adaptiert haben, zeigen in wechselnden Ausstellungen ihre Schätze. Der fast unscheinbare Eingang an der berühmten Place des Lices führt durch einen begrünten Hof in ein mehrstöckiges Ausstellungshaus, wo im vergangenen Sommer unter dem augenzwinkernden Titel „L’Art est un virus“ Arbeiten des französischen Fluxus-Künstlers Ben Vautier zu sehen waren. Heuer folgen eine Schau über Christo und Jeanne Claudes Verhüllungsprojekt „L’Arc de Triomphe, Wrapped“ sowie Skulpturen von Niki de Saint-Phalle. Außerdem werden jedes Jahr monumentale Skulpturen auf den Straßen und Plätzen von Saint-Tropez präsentiert – nach César, Arman oder Jan Fabre in diesem Sommer Werke der Künstlerin Rotraut, Schwester von Günther Uecker und Witwe von Yves Klein.

GUY PIETERS FOUNDATION | © Linda et Guy Pieters Foundation, Saint Tropez


FONDATION CARMIGNAC

Die im Jahr 2000 von Édouard Carmignac gegründete Kunststiftung der gleichnamigen, international tätigen Vermögensverwaltungsgesellschaft hat zwei Schwerpunkte: eine Sammlung von mehr als 300 Werken sowie die Ausrichtung des jährlichen Preises für Fotojournalismus. »Die beiden komplementären Achsen unseres Engagements lauten: von der Welt erzählen, indem wir Fotojournalisten unterstützen, und sie hinterfragen und neu erfinden, indem wir Künstler fördern und ihre Werke mit dem Publikum teilen«, definiert Direktor Charles Carmignac den Fokus der Stiftung. Im Sommer 2020 waren aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums die Siegerprojekte des Fotojournalismus-Preises ausgestellt – ein beeindruckender Querschnitt von unter die Haut gehenden Bildern zwischen Gewalt und Schönheit, aus den Flüchtlingslagern in Libyen, den Eiswüsten der Arktis oder den Slums Südamerikas

UGO RONDINONE | Four seasons, 2018 | © Fondation Carmignac, Foto: Camille Moirenc


Villa Noailles

Carmignac kooperiert auch mit verschiedenen anderen Kunstinstitutionen in der Region, so etwa mit der Villa Noailles, einem Art-Deco-Architekturjuwel in den Hügeln über der Küstenstadt Hyères. Erbaut 1924 von Robert Mallet-Stevens für die Pariser Intellektuellen und Mäzene Charles und Marie-Laure de Noailles, ist der auch unter dem Namen Clos Saint-Bernard bekannte Bau eines der frühesten Beispiele des Modernismus in Frankreich – inspiriert übrigens unter anderem von Frank Lloyd Wright und Josef Hoffmann. Die teilweise erhaltene Innenausstattung mit Möbeln und Kunstwerken sowie eine Fotoausstellung lässt die Besucher in das glamouröse Leben der Eigentümer und ihrer illustren Gäste eintauchen, darunter Man Ray, Dora Maar oder Eileen Gray. Ganz in deren Sinn ist die seit 1973 von der öffentlichen Hand betriebene Anlage mit mehreren Gebäuden, Terrassen und einem einzigartigen kubistischen Garten auch heute noch ein Zentrum für junge Kunst und Avantgarde. 

 © Villa Noailles


MUCEM

Ein Betongitternetz verhüllt wie ein dunkler Spitzenschleier den monolithischen Block des Mucem, das mit seinen Ausstellungen kunstgeschichtliche Themen ebenso anspricht wie historische oder anthropologische und sich explizit an ein breites Publikum wendet. Der gewagte weiße Baukörper der Villa Méditerranée mit dem unter Wasser liegenden Unterund einem 40 Meter weit auskragenden Obergeschoß musste allerdings 2018 wegen Wassereintritts geschlossen und soll noch in diesem Jahr als Museum wiedereröffnet werden.

MUCEM | Fußgängerbrücke | © MUCEM, Agnes Mellon, Architektur Rudy Ricciotti und Roland Carta


Château La Coste

Als Höhepunkt für Kunstreisende mit erlesenem Anspruch empfiehlt sich Château La Coste nördlich von Aix. Auf 250 Hektar Land lassen sich in einem rund zweistündigen Parcours über 40  Skulpturen, Installationen und Bauten der Crème de la Crème der internationalen Kunst- und Architekturszene entdecken: Louise Bourgeois’ über einem Wasserbecken schwebende Riesenspinne, Werke von Tracey Emin, Richard Serra oder Ai Weiwei, der Musikpavillon von Frank O. Gehry, der Weinkeller von Jean Nouvel oder das von Tadao Ando erbaute Kunstzentrum. In den Suiten der Villa La Coste lässt es sich durchaus länger verweilen. Und falls es irgendwann langweilig zu werden droht: Keine Sorge, in der Umgebung gibt es noch genug zu entdecken …

CHÂTEAU LA COSTE | © The Easton Foundation, ADAGP Paris, 2021, Foto: Richard Haughton

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