Ein Besuch in Irland

Im Porträt: Gottfried Helnwein

Bekannt ist Helnwein für seine hyperrealistischen Bilder, seine Fotoportraits von Michael Jackson bis Marilyn Manson, für die Darstellungen von Donald Duck und Micky Maus. Helnweins Bilder zeigen jedoch vor allem auch Themen wie Gewalt und Missbrauch, das Aussondern von Menschen durch Rassenideologie, die Gräueltaten des NS-Regimes und immer wieder die Fragilität und Zerbrechlichkeit der Kinder, die wehrlos einer Erwachsenenwelt ausgeliefert sind. Gottfried Helnwein stellt das unter der Oberfläche Lauernde, das Unausgesprochene, die sozialen und kulturellen Bedingungen unserer Gesellschaft und die Auseinandersetzung des Einzelnen mit diesem Spannungfeld in den Fokus.


Helnwein hat das Schloss Gurteen in Irland in den späten 1990er-Jahren gekauft und in den Folgejahrengemeinsam mit seiner Frau Renate liebevoll restauriert. Der weitläufige Park bietet ihm einen guten Ausgleich zur Welt der Kunstszene. Nach einer ausführliche Führung über das Anwesen sprachen wir mit Gottfried Helnwein in seinem  Atelier über sein Werk und über die Kunst im Allgemeinen

Ich finde die Kunst sollte gar keine Aufgabe haben.

Gottfried Helnwein

PARNASS: Sie sprechen mit Ihren Arbeiten stets brisante gesellschaftspolitische Themen an. Hat die Kunst überhaupt die Möglichkeiten etwas zu bewegen, neue Gedankenprozesse auszulösen und überkommene Traditionen aufzubrechen?

Gottfried Helnwein: Das ist schwer zu beantworten. Kunst ist etwas vollkommen Immaterielles, etwas, das außerhalb des materiellen Universums steht. Vielleicht kann man es als „spirituell“ bezeichnen – das meine ich nicht im religiösen Sinn, sondern so wie David Bowie es formuliert hat: ‚Religion is for people who believe in hell, spirutality is for people who have been there.‘ Das trifft für die künstlerische Praxis und Methodik einer Reihe von Künstlern zu – von Goyas Zyklus „Los Caprichos“ bis hin zu den späten Selbstporträts von Rembrandt, die für mich zu den wichtigsten Kunstwerken zählen, die jemals geschaffen wurden.

GOTTFRIED HELNWEIN | Studio Irland | Foto: © Studio Helnwein

P: Was fasziniert an diesen Bildern? Haben sie auch heute noch inhaltliche Gültigkeit, jenseits ihrer formalen, malerischen Qualität? Macht das gute Kunst aus?

GH: Gute Kunst steht außerhalb des Zeitkontinuums, sie ist zeitlos und immer gültig. Das ist das größte Wunder der Geschichte der Menschheit und es ist auch das, was die Welt zusammenhält. Rembrandt malte die späten Selbstporträts zu einem Zeitpunkt, als er bankrott, sein Leben vorbei und er fast vergessen war. Sie zeigen sein Gesicht, das sich langsam dem Tod annähert. Diesen Prozess als Betrachter zu erfahren, ist absolut erschütternd. Wenn ich mir diese Bilder ansehe, habe ich das Gefühl, dass ich in das geistige Universum einer anderen Person eintrete. Ich kann in der Gegenwart Gefühle nachvollziehen, die ein anderer in der Vergangenheit erlebt hat. Ebenso basieren Goyas Zyklen „Los Caprichos“ und „Desastres de la Guerra“ auf dem damaligen politischen Geschehen und seinen Auswirkungen auf die Menschen. Goyas Bilder zeigen den Wahnsinn und die Grausamkeiten des Krieges und seine Sinnlosigkeit. Eine Aussage, die heute genauso  gültig ist wie damals.

GOTTFRIED HELNWEIN | Studio Irland | Foto: © Studio Helnwein

P: Sahen Sie in der Kunst eine Möglichkeit sich gegen das Establishment zu stellen, sich eine eigene Position zu erarbeiten?

GH: Ich hatte damals das Gefühl, dass es in der Gesellschaft keinen Platz für mich gibt. Und ich erkannte, dass die Kunst für mich der einzig mögliche Ausweg war. So habe ich begonnen zu malen und zu zeichnen. Wie ein autistisches Kind. Es waren wirklich meine eigenen inneren Bilder. Ich hatte keinerlei Vorbilder oder äusseren Einflüsse, soweit mir das bewusst war. Ich habe damals die Werte und die Tradition und auch die Kultur meiner Elterngeneration vollkommen abgelehnt. Ich wollte damit nichts zu tun haben. Ich sah mich als Underdog und begann meine eigenen Bilder zu malen: das zu malen, was mir wichtig erschien. Es war mir damals egal, ob das jemand gut oder schlecht findet würde, ich wollte keinen Standards oder Regeln entsprechen und hatte nicht vor mich in irgendein System einzufügen. Ich hatte auch nicht vor die Bilder auszustellen. Aber irgendwie sprach es sich herum, und Leute kamen zu mir auf die Akademie, um meine Bilder zu sehen. Zu meinem Erstaunen reagierten die meisten Menschen sehr emotional auf meine Arbeiten. Ich war verblüfft, dass ein  kleines Aquarell von mir einen erwachsenen Menschen so völlig aus der Fassung bringen konnten, und das war der Moment in dem ich etwas von der potenziellen Macht eines Bildes spürte.

SCHLOSS GURTEEN DE LA POER | Foto: © Studio Helnwein

P: Ihre Bilder sind hyperrealistisch. Warum bevorzugen Sie dennoch die Malerei und nicht die Fotografie?

GH: Es hat sich für mich herausgestellt, dass diese übersteigert realistische Maltechnik für den Sinn meiner Arbeit unverzichtbar ist. Ich kann es schwer erklären, aber vielleicht verleiht sie dem Anliegen meiner Bilder die notwendige Eindrücklichkeit, der man sich dann nicht so leicht entziehen kann. Dass die Bilder gemalt sind, macht erstaunlich viel aus. Im Gegensatz zur Fotografie benötigt die Malerei unzählige Arbeitsstunden in denen man aber unendlich viele Möglichkeiten hat, Nuancen eines ganz bestimmten Ausdrucks herauszuarbeiten. Es ist wie ein alchemistischer Prozess, und die Gedanken, Mühen und die Emotionen, die dabei in dieses Werk investiert werden, spürt der Betrachter auf irgendeine Art und Weise. Es entsteht etwas Magisches, das sich überträgt, das man sinnlich erfahren, aber mit Worten nicht beschreiben kann. 

P: Sie wohnen seit vielen Jahren gemeinsam mit Ihrer Familie in Schloss Gurteeen. Was bedeutet dieses Zuhause für Sie?

GH: Ich sehe es als großes Privileg, dass ich so leben kann, wie ich es mir immer gewünscht habe, - inmitten meiner Italienischen Grossfamilie, wo Arbeit und Leben eine Einheit bilden, verschiedenen Generationen miteinander essen, trinken und reden, und ständig Kinder und Hunde mit einem Riesen-Raudau durch die Räume toben.

Dieser Text wurde gekürzt. Das ganze Interview finden Sie in der PARNASS Ausgabe 01/22.

SCHLOSS GURTEEN DE LA POER | Foto: © Studio Helnwein

SCHLOSS GURTEEN DE LA POER | Foto: © Studio Helnwein

GOTTFRIED HELNWEIN | Der Künstler im Shloss Gurteen de la Poer | Foto: © Studio Helnwein

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