Herr Schreyer, wie würden Sie das Ziel eines guten Architekturfotos beschreiben?

OHARA HOUSE, SILVER LAKE, LOS ANGELES, 1961 Photo: David Schreyer 2017

Im Rahmen der aktuellen Richard Neutra Ausstellung im Wien Museum MUSA traf Klaus Speidel den Fotografen David Schreyer zum Gespräch. Darin verrät er unter anderem, was gute Architekturfotografie ausmacht und weshalb Richard Neutras Bauten ein Gegenmodell zum aktuellen Konsumwahn sind.

Richard Neutra


PARNASS: Wie würden Sie das Ziel eines guten Architekturfotos beschreiben? Und wie unterscheidet es sich von den Zielen anderer Fotografien, die sie machen? Oder wie ähneln sich die Ziele?

David Schreyer: Pieter Bruegels „Turmbau zu Babel“ - das ist ein gutes Architekturbild. Es zeigt alles was die Faszination Architektur ausmacht. Diesem Ideal versuche ich mich mit meinen – natürlich fotografischen – Werkzeugen anzunähern. All meine Fotografien setzen sich mit Architektur und Baukultur auseinander. Das Spektrum spannt sich dabei vom Stadt- und Landschaftsraum über das Bauwerk an sich bis hin zum Menschen. All das ist für die Vermittlung von Architektur relevant: der Mensch verleiht Gebautem seinen Sinn, Stadt und Land bieten den Kontext auf den das Gebaute im besten Fall reagiert. Und das Gebäude ist Zentrum der Auseinandersetzung: Situierung, Raumkonfiguration, Materialität, Detail, Leben, Atmosphäre. In Ihren freien fotografischen Arbeiten kommen regelmäßig Menschen und deren Umgang miteinander vor.

Bei den Fotografien in der Ausstellung ist das anders: Wie ist die Entscheidung gefallen, in den Bildern selten Menschen einzubeziehen?

In meiner Arbeit geht es immer darum, Architektur, egal aus welcher Epoche, zu vermitteln – und Menschen dafür zu begeistern. Wie begeistert man jemanden für eine gute Wohnsituation? Ich glaube, indem man ein konkretes Angebot schafft, sich gedanklich in die Situation zu begeben. Nach dem Motto: Hier lese ich die Zeitung zum Schwarztee, während dort der Hund um den Couchtisch kreist. Es ist meine grundsätzliche Haltung, sich nicht vor den Spuren des Lebens zu fürchten. Mit vorbereiteter Inszenierung hat das nichts zu tun, vielmehr reagiere ich sehr schnell auf Situationen und Begebenheiten, um daraus für viele Menschen spannende Bilder entstehen lassen.

Was hat für sie den besonderen Reiz ausgemacht, gerade die Bauten Richard Neutras abzulichten und dann auch die Ausstellung mit zu kuratieren?

Uns, Andreas Nierhaus und mir, ist aufgefallen, dass Richard Neutra, der global gesehen wohl prominenteste und einflussreichste österreichische Architekt der Moderne, in seiner eigenen Heimat kaum bekannt ist – und das wollten wir ändern. Neutra hat auch gezeigt, wie man ohne hohen technologischen Aufwand baulich auf extreme Klimabedingungen, im Speziellen auf Hitze, reagieren kann und mit geschickten Raumkonfigurationen an sich kleine Häuser groß werden lässt.

Wie war es, bewohnte Bauten so viele Jahre nach ihrer Entstehung wieder zu besuchen?

Aus architekturfotografischer Sicht ist es immer spannend Bauwerke nach jahrzehntelanger Nutzung zu besuchen, und wenn sie sich bewähren genau das mit den Mitteln der Fotografie zu erzählen. In Los Angeles bekommt das eine besondere Dimension. Die ganze Stadt würde in der Form, wie sie heute ist, nicht sein, hätte man nicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts angefangen, künstlich Wasser einzuleiten – und dafür Seen bis zu einer Entfernung von 1.000 Kilometern trockengelegt. Ohne dieses Wasser würde in Los Angeles fast nichts wachsen. Ein Zitat von Hans Eisler: „Würde man dort drei Tage das Wasser einstellen, würden die Schakale wieder auftauchen und der Sand der Wüste.“

Uns, Andreas Nierhaus und mir, ist aufgefallen, dass Richard Neutra, der global gesehen wohl prominenteste und einflussreichste österreichische Architekt der Moderne, in seiner eigenen Heimat kaum bekannt ist – und das wollten wir ändern.

David Schreyer
Was können uns die Bauten Neutras heute noch sagen?

John Bertram setzt sich tagtäglich mit Häusern aus dieser Zeit auseinander und hat unsere Begeisterung befeuert. Er hat uns auf das anti-konsumistische Potential dieser Bauten aufmerksam gemacht: man muss sich auf so ein Haus einstellen und auch auf einiges verzichten. Ein Schrank ist ein Einbauschrank, ein Sofa ein eingebauter Tiwan. Sprich: man kauft diese Dinge einmal und nie wieder. So ergibt sich ein Lebensstil den man als Gegenmodell zu den von Konsum dominierten Gesellschaften unseres Planeten bezeichnen könnte. Belohnt wird man dafür mit einer lebensbejahenden Wohnsituation.


David Schreyer und Andreas Nierhaus haben nicht nur die Ausstellung gemeinsam gestaltet, sondern sich auch in ihrem Buch „Los Angeles Modernism Revisited – Häuser von Neutra, Schindler, Ain und Zeitgenossen“ mit Neutras Bauten im Kontext seiner modernis-tischen Mitstreiter kontextualisiert.

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