Einer der wichtigsten österreichischen Architekten wird im MUSA gewürdigt

Otto Wagner, Adolf Loos... Richard Neutra?

RICHARD NEUTRA, CA. 1960 © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung

Er ist einer der wichtigsten österreichischen Architekten und doch in Österreich hauptsächlich bei Experten bekannt: Richard Neutra (1892–1970). Für ihre Ausstellung im Wien Museum sind der Fotograf David Schreyer und Kurator Andreas Nierhaus durch Kalifornien gefahren und haben mit den aktuellen Bewohnern der Neutra Häuser gesprochen.


Als er 1923 das nötige Geld angespart hatte, hat sich Richard Neutra von seinem Lehrer Adolf Loos verabschiedet, der in mit seiner Amerika Begeisterung angesteckt hatte, und ist auswandert. Schon kurz nach seiner Ankunft begann Neutra bei Frank Lloyd Wright (1867–1959) in Wisconsin zu arbeiten.

Durch offene Raumgestaltung, horizontale Ausrichtung und die Verwendung natürlicher Materialien soll Wrights “Prairie Style” die Integration der Häuser in ihre natürliche Umgebung erlauben. Dieses Ziel verfolgt auch Neutra mit seinen zahlreiche Privatbauten in Kalifornien. Außergewöhnlich an Neutra ist allerdings weniger der Einfluss von Wright als sein Interesse an Psychologie und Physiologie. Seine Architektur ist nicht von großen Gesten bestimmt, wie sie bis heute Architekten zu Marken werden lassen, sondern vom Wunsch, sich den Bedürfnissen der zukünftigen Bewohner so präzise wie möglich anzupassen.

Dazu führt Neutra lange Gespräche mit ihnen und lässt seine Kunden sogar detaillierte Fragebögen ausfüllen. Dass seine architektonischen Lösungen sich trotzdem ähneln, mag daran liegen, dass er an die Universalität menschlicher Grundbedürfnisse glaubt. Die Einbindung der Natur spielt dabei eine tragende Rolle. Neutra argumentiert, dass das menschliche Nervensystem besonders gut mit einer natürlichen Umgebung umgehen könne, in dem es sich die meiste Zeit entwickelt hat.

Exemplarisch für seine Integration von Außen und Innen steht Neutras „Spider Leg“, das Andreas Nierhaus im Katalog der Neutra-Ausstellung “eines der markantesten und am häufigsten imitierten Motive in Neutras Spätwerk” nennt. Nierhaus erklärt: “Der Bau ist im Erdreich verankert und scheint zugleich im Begriff zu sein, sich davon zu lösen”.

Aber neben dieser ästhetisch-visuellen Rechtfertigung, bei der das Haus gleichsam wie ein Bild von Außen betrachtet wird, lässt sich auch hier eine humanpsychologische Begründung finden, wenn man das Haus von seinen Bewohnern her denkt. Wie die Architekturhistorikerin Barbara Lamprecht erklärt, sollen die Stützen die Hausbewohner schrittweise von Innen nach Außen leiten, wie die vereinzelten Bäume am Waldrand ein Tier aus dem geschützten Gehölz geleiten.

MILLER HOUSE, PALM SPRINGS, 1936/37 Photo: David Schreyer 2017

MILLER HOUSE, PALM SPRINGS, 1936/37 Photo: David Schreyer 2017

Seine Überlegungen, die Neutra “biorealistisch” nannte, verstand er auch ökonomisch zu rechtfertigen. Als er beim Bau der Los Angeles County Hall of Records, eines öffentlichen Gebäudes für 1200 Mitarbeiter, einen Augenphysiologen einbezog, beeindruckte nicht zuletzt das Versprechen, mit Neutras “Biorealismus” werde der Krankenstand minimiert und es ließen sich viele Millionen Dollar einsparen, die sonst für psychosomatische und medizinische Behandlungen anfallen.

Die Ausstellung im Wien Museum legt den Fokus auf Neutras Privatbauten. Während wir den architektonischen Modernismus oft mit Reichtum assoziieren, wollte Neutra mit seinen kleinen Wohnhäusern zeigen, dass sich auch auf engem Raum und mit wenig Ressourcen eine “gesunde” und stilistisch anspruchsvolle moderne Architektur schaffen lässt, in der Menschen sich wohlfühlen. Damit kann man ihn heute auch als einen Vorläufer der “Tiny Houses” betrachten, denn er schuf optimierten Wohnraum auf engstem Raum.

Dass in den USA ein Denkmalschutz in unserem Sinne nicht existiert und der Erhalt solcher Häuser nur vom Gutdünken der Besitzer abhängt, lässt die Arbeit von Andreas Nierhaus und David Schreyer auch zu einer wichtigen Dokumentation werden. Denn einige Bauten sind schon verschwunden und bei explodierenden Grundstückspreisen könnten weitere Gebäude Neutras der Abrissbirne zum Opfer fallen. Mit Dokumenten, Büchern und einigen Interview-Ausschnitten werden im Zentrum der Ausstellungsräume Neutras Wien-Bezüge, unter anderem auch zu Otto Wagner aufgezeigt.

Aber der beeindruckendste und wichtigste Aspekt der Ausstellung sind die großformatigen Fotografien vieler Neutra-Häuser, die von Texten begleitet werden. Sie sind auf Holzgestellen installiert, die Resonanzen mit Neutras Architektur erzeugen und beschreiben die Häuser und das Leben der jetzigen Bewohner. So wird dann letztlich die Architektur Neutras doch vom Menschen her gedacht, auch wenn Neutras “Biorealismus” nur gestreift wird. Unter dem grauen Himmel Wiens wird die Ausstellung zum Ort des “California Dreaming”.

Neutras beeindruckender Versuch, seine Architektur stringent aus physiologischen und psychologischen Erkenntnissen zu entwickeln, die heute viele Anknüpfungspunkte hat und ihn zum Vorläufer von Ikonen des modernen Designs wie Dieter Rams oder John Ives werden lässt, spielt dabei jedoch eine geringere Rolle als die Poesie des künstlerisch-literarischen Blicks auf fremde Leben in beeindruckenden Häuser.

Musa Museum

Felderstraße 6-8, 1010 Wien
Österreich

RICHARD NEUTRA. WOHNHÄUSER FÜR KALIFORNIEN

13. Februar 2020 bis 20. September 2020

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