Galerie nächst St. Stephan

Großmeisterin der Farben: Katharina Grosse

Seit etwa zwanzig Jahren betreibt Katharina Grosse exorbitante Malerei, die sich mit expansiver Geste über Grenzen hinwegsetzt und flächenübergreifend ganze Interieurs, Ausstellungsräume und -häuser, auch ausgedehnte Landstriche erfasst und in ihrem spektakulärem Farbuniversum verschlingt. Die Farbe ist nicht Mittel, sie ist Akteur.


Katharina Grosse bereitet ihre in situ Eingriffe anhand maßstabsgetreuer Modelle akribisch vor, der kalkulierte Effekt ist dem entgegengesetzt: Als wäre der Künstlerin die Kontrolle entgleist, ergießt sich der Farbstrom über sämtliches Inventar und Gelände und zwingt diesen seine eigene Logik auf.

Ausstellungsansicht, Foto: Markus Wörgötter, Copyright Katharina Grosse und VG Bild-Kunst, Bonn, 2021, courtesy Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien

Mittels Sprühpistole schafft Katharina Grosse ihre unverkennbaren Farbräume, in welchen die Farbe eigensinnig zu agieren scheint. Dem Farbmaterial ist eine Aktivität übertragen, mit welcher räumliche Hierarchien umgekehrt und das Verhältnis zwischen Natur und Artifiziellem durcheinandergewirbelt werden. Der reale Raum wird zu einem Farbraum mit dessen eigenen Gesetzmäßigkeiten, welche vorhandene Strukturen unterwandern und mit einer andersartigen Energie erfassen. Sie transformieren die bestehenden Raumkonstitutionen zu Handlungssituationen. Doch stellt sich ein eigenartiger Stillstand des überschwappenden Prozesses ein, ein befremdliches Nebeneinander der verschiedenen Systeme in einem flirrenden Schwebezustand. Der Schauplatz gleicht einer entgrenzten Bühne, auf der die BesucherInnen in das Geschehen involviert werden und Teile des immersiven Kunstwerks sind.

Wolke in Form eines Schwertes

Nun stellt Katharina Grosse in der Galerie nächst St. Stephan unter dem Titel „Wolke in Form eines Schwertes“ neue Arbeiten aus. Das oben geschilderte Szenario scheint sich im präsentierten achtteiligen Zyklus zu großformatigen Gemälden verdichtet zu haben. Der Titel basiert auf einem Text von Antonio Negri, in dem der Autor die Macht und Intelligenz in den vielfältigen Formationen von Schwärmen thematisiert. Er sieht den Schwarm als eine Erscheinung, die in einer spezifischen Gestalt auftaucht, ihre manchmal unheilvolle Wirkung ausübt und wieder verschwindet, eine Erscheinung, derer man nicht habhaft zu werden vermag. Gleich Schwärmen hat sich eine Vielzahl der Farbtröpfchen auf Katharina Grosses Werken niedergelassen, ist darüber hergefallen und hält sie besetzt.

Ausstellungsansicht, Foto: Markus Wörgötter, Copyright Katharina Grosse und VG Bild-Kunst, Bonn, 2021, courtesy Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien

Auf den Leinwänden sind geschnittene Leinwandstücke appliziert, in deren Schichtungen die Künstlerin Äste und Treibholz eingewoben hat, Fundstücke aus der Umgebung ihres Ateliers in Neuseeland. Die montierten Leinwandteile scheinen nach den Fundstücken zu greifen, sie umschlingen diese und binden sie fest an sich. Über die komplexen Gebilde ergießt sich der charakteristische opulente Farbstrom und festigt die gegensätzliche Symbiose, die zur Gänze von der Kraft der Farbbahnen erfasst ist. Der geschlossene Farbraum des Bildfeldes ist aufgeplatzt, potenziert und intensiviert in Plastizität. Der Farbe selbst ist körperliche Präsenz und Aktivität verliehen (ist doch die Leinwand nicht mehr als ihr Vehikel). Die Kraft des Farbstroms kommt einer Naturgewalt gleich, die in einem heterogenen, orchestrierten Schwall in schweren dunklen Tönen ausgebrochen ist, deren überquellende Stärke deutlich Rinnsale hinterlassen hat. Die eingearbeiteten Zweige, die filigranen Ästchen mit ihren zarten Kapseln sind dem Farbstrom einverleibt, getaucht in Polychromie ragen sie über den Bildrand hinaus.

Ausstellungsansicht, Foto: Markus Wörgötter, Copyright Katharina Grosse und VG Bild-Kunst, Bonn, 2021, courtesy Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien

Katharina Grosse hat sich in ihren großen Interventionen ganze Territorien angeeignet und weitausgreifend ihre eigenen Wirklichkeiten erzeugt. Nun holt sie diesen Raum zurück ins Bild, sie selbst definiert ja dezidiert ihre neuen Arbeiten als Bilder. Auch wenn diese in ihren plastischen Teilen in den Raum ausholen, so zieht doch der subjektivierte farbige Sog hinein ins Gemälde, in die orthogonalen Grenzen des Bildes zurück, das Katharina Grosses Wirklichkeiten – komprimiert in sich vereint.

Galerie Nächst - St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder

Grünangergasse 1, 1010 Wien
Österreich

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