Zu schön, um wahr zu sein

Die Tizian Schau im KHM überzeugt nicht

Die Ausstellung „Tizians Frauenbild. Schönheit – Liebe – Poesie“ im Wiener Kunsthistorischen Museum wartet mit Leihgaben aus illustren Häusern auf. Wer sich allerdings einen zeitgemäßen Blick auf das Frauenbild der Kunst im Venedig des 16. Jahrhunderts erwartet, wird enttäuscht.


Voluminöses Kleid, aufrechte Haltung, die nur ganz leichte Andeutung eines Lächelns – und ein sehr gerader Blick, der sein Gegenüber fixiert: So steht sie vor dem Publikum, „La Schiavona“. Das Frauenportät von Tiziano Vecellio (1488/90–1576) aus der Londoner National Gallery entstand 1510/11. Die Dargestellte präsentiert frontal vor sich ein Relief, auf dem sie ein zweites Mal dargestellt ist, im Profil. Damit spielt der Maler, so die Forschungsmeinung, auf den Paragone, den Streit zwischen Malerei und Skulptur, an. 

 Tizian, La Schiavona, 1512, National Gallery, London

Junge Frau mit Federhut, Tizian (um 1488–1576), Um 1534/36, Leinwand, 96 × 75 cm, Eremitage, St. Petersburg © The State Hermitage Museum, 2021, Foto: Dmitri Sirotkin

Junge Frau bei der Toilette, Tizian (um 1488–1576), um 1515, Leinwand, 99 × 76 cm, Musée du Louvre, Département des Peintures, Paris © RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Franck Raux

Mädchen im Pelz, Tizian (um 1488–1576), Um 1534/36, Leinwand, 95,5 × 63,7 cm, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband

Junge Frau bei der Toilette, Tizian (um 1488–1576), um 1515, Leinwand, 99 × 76 cm, Musée du Louvre, Département des Peintures, Paris © RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Franck Raux

Junge Frau bei der Toilette, Tizian (um 1488–1576), um 1515, Leinwand, 99 × 76 cm, Musée du Louvre, Département des Peintures, Paris © RMN-Grand Palais (musée du Louvre) / Franck Raux

Das Werk gehört, obwohl es der Kunsthistorikerin Beverly Louise Brown zufolge dem gängigen Schönheitskanon folgt, zu den außergewöhnlicheren Frauenporträts Tizians, wie sich in der Ausstellung im Wiener Kunsthistorischen Museum (KHM) zeigt. Im Gegensatz zu so vielen anderen der hier Porträtierten scheint es der „Schiavona“ kaum darum zu gehen, ob sie einem männlichen Betrachter gefällt oder nicht, sie bietet nicht ihren nackten Körper dar, sondern steht mit beiden Beinen auf der Erde und scheint Besseres im Kopf zu haben als die Frage nach ihrer Schönheit.

Das Thema der Schau nach einem Konzept von Sylvia Ferino-Pagden (Ko-Kuratorinnen: Wencke Deiters, Francesca Del Torre Scheuch) gäbe einiges her: Das Frauenbild eines der größten Alten Meister tatsächlich zu hinterfragen, wäre wohl ein spannendes Unterfangen gewesen. Leider geschieht dies hier so gut wie überhaupt nicht. Denn die Ausstellung verharrt weitgehend in einer affirmativen Haltung gegenüber ihrem Sujet.

Das Frauenbild eines der größten Alten Meister tatsächlich zu hinterfragen, wäre wohl ein spannendes Unterfangen gewesen. Leider geschieht dies hier so gut wie überhaupt nicht.

Ausstellungsansicht, Tizians Frauenbild © KHM-Museumsverband

Das Problem der Geschlechterrollen

Nun ist es niemand zum Vorwurf zu machen, dass Tizian als Künstler seiner Zeit eben genau deren Vorstellung von Geschlechterrollen teilte. Seine Frauen sind „Belle veneziane“, wie die berühmte hauseigene „Junge Frau im Pelz“, die hier neben zwei sehr ähnlichen Frauen steht – der „La Bella“ aus der florentinischen Galleria Palatina und der fast etwas karnevalesken „Jungen Frau mit Federhut“ aus der Eremitage. Drei Frauen, ein Gesicht, eine „Matrix“, wie es Ferino-Pagden im Katalog treffend ausdrückt.

In der venezianischen Kunst des 16. Jahrhunderts sind Frauen darüber hinaus als tragische Heldinnen wie die Lucretia vorgesehen, die sich nach ihrer Vergewaltigung durch Tarquinius selbst ermordete; oder als mythologische Figuren wie die Danaë, die Göttervater Zeus in Gestalt eines goldenen Regens begattet. Auch die Susanne im Bade, die von zwei Greisen begafft wird, kommt in der Ausstellung vor, und natürlich Venusfiguren. Sehr viele Werke hier stammen nicht von Tizian, sondern von seinen Zeitgenossen – Lorenzo Lotto, Tintoretto, Bernardino Licinio, Jacopo Palma il Vecchio, Giovanni Bellini, Giorgione. Ein weiterer Fokus auf das Geschehen ist an sich erfreulich, doch dem sollte man auch im Ausstellungstitel Rechnung tragen.

Zu den spannenden Momenten der Schau zählen neue Forschungserkenntnisse, denen zufolge das offensive Präsentieren der Brust nicht als erotische Einladung zu verstehen ist, sondern als emotionales Sich-Öffnen.

Tizian, Venus mit Orgelspieler und Cupido, um 1555, Leinwand, 148 x 217 cm | Museo Nacional del Prado, Madrid Archivo Fotografico, Museo Nacionale del Prado Madrid. 

Ebenso erregen zwei Kabinette Neugier, in denen die Schriften von Petrarca und anderen präsentiert werden, die ihre Vorstellungen von Frauen zum Besten geben – und denen intellektuelle Frauen parieren, etwa Veronica Franco. Die Dichterin und Kurtisane gab ungeschönte Einblicke in das Leben von Prostituierten. Doch dieser Teil der Schau ist klein gehalten und mit nur wenig Material bestückt.

Etwas ermüdend dagegen gestaltet sich der große Saal, in dem Akte an Akte gereiht sind – ohne recht Schwerpunkte zu setzen. Natürlich kann man vor Tizians rätselhafter „Venus mit Orgelspieler und Cupido“ aus dem Prado in die Knie gehen, sich an dem venezianischen Kolorit und der virtuosen Wiedergabe der Wolken in seinem Gemälde „Venus und Adonis“ ergötzen. Doch was sagt das alles aus heutiger Sicht über Tizians Frauenbild? Dazu erfährt das Publikum wenig.

Lesen Sie die vollständige Kritik im aktuellen PARNASS 04/2021

Kunsthistorisches Museum

Maria-Theresienplatz, 1010 Wien
Österreich

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