„Das ist eine gewaltige Lebensüberhöhung“

Ende Juli werden auf Schloss Prinzendorf im Weinviertel die ersten zwei Tage von Hermann Nitschs zweiter Fassung des 6-Tage-Spiels zur Uraufführung gebracht – posthum. Der am 18. April verstorbene Wiener Aktionist hat im Lauf der vergangenen Jahre  in mehreren Interviews mit PARNASS sein komplexes Orgien Mysterien Theater erklärt. Hier eine Zusammenschau.


Schon lange war Hermann Nitsch von der Idee beseelt, ein weiteres 6-Tage-Spiel als Höhepunkt seines synästhetischen, also alle fünf Sinne beanspruchenden, Orgien Mysterien Theaters zur Aufführung zu bringen. 2007 sagte er, die erste Aufführung 1998 sei nur „eine mögliche Fassung“ gewesen: „Ich habe vor, meine Arbeit immer mehr zu verdichten und zu verbessern. Und ich hoffe, dass ich noch ein bis zwei Fassungen bieten kann.“ Im August 2018, unmittelbar vor der Uraufführung der „Sinfonie für großes Orchester“, erklärte er: „Sie ist ein vorbereitendes Werk für das 6-Tage-Spiel, das ich 2020 realisieren möchte. Ich hoff, dass ich es hinkrieg’.“

Dann brach die Pandemie aus. Aber Nitsch hielt am zweiten 6-Tage-Spiel fest – und gab als neues Datum den Sommer 2021 aus: „Ich arbeite weiter an der Partitur. Es verlangt natürlich eine gewaltige Organisation. Beim ersten Mal, 1998, hatten wir 500 Mitwirkende. Das neue 6-Tage-Spiel wird vielleicht schlanker sein, aber die Musik wird eine größere Rolle spielen.“

Doch es kam nicht dazu, obwohl bereits viele Vorarbeiten abgeschlossen waren. Auch deshalb, weil Nitsch die Einladung erhalten hatte, 2021 in Bayreuth drei konzertante Aufführungen der „Walküre“ im wahrsten Sinn des Wortes zu untermalen. Da konnte er nicht Nein sagen. Weil er Richard Wagner, einen Gesamtkunstwerker wie er, unendlich schätzte. Und gut war es: Die Malaktionen waren ein Triumpf, sein letzter, wie sich herausstellen sollte.

HERMANN NITSCH | 6-Tage-Spiel, 1998 | © Heinz Cibulka

Um die Gesundheit des am 29. August 1938 in Wien geborenen Nitsch  war es schon einige Jahre nicht gut bestellt. Im Winter 2021/22 wurde er ernsthaft krank. Am Leben hielten ihn vielleicht die Gedanken an sein großes Existenzfest. Die Hoffnung aber schwand, dass alle sechs Tage bestritten werden könnten. Notfalls sollte nur der dritte Tag der Partitur, Dionysos gewidmet, aufgeführt werden. So wollte es Nitsch. Dadurch jedoch wäre das Spiel um sein Herzstück beraubt beziehungsweise in drei Teile zerrissen worden. Rita Nitsch, seine Frau, und ihre Mitstreiter beschlossen also, den ersten und zweiten Tag aufzuführen – am 30. und 31. Juli. Das bedeutet nicht nur eine Risiko-Minimierung in Zeiten der Pandemie-Bekämpfung: Bei nächster Gelegenheit können die restlichen Tage als Block folgen. Bei Bekanntgabe des Plans lag Nitsch längst auf der Intensivstation. Das neue 6-Tage-Spiel ist daher sein Vermächtnis, der Succus seiner Kunst. Zunächst sah es nicht unbedingt so aus, als würde aus Nitsch, im Wiener Vorstadt-Bezirk Floridsdorf aufgewachsen, etwas werden.

HERMANN NITSCH | 100. Aktion, 5. Tag, Schloss Prinzendorf, 1998 | © Atelier Hermann Nitsch, Foto: Archiv Cibulka-Frey

1944, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, fiel sein Vater. 2018 erzählte der Künstler: „Meine Mutter hatte nicht die Kraft, mich zu erziehen. Ich hab’ nur Fußball gespielt. Und in der Schule war ich ein Träumer, ich hab’ mir Romane erdacht, wie Karl May sie geschrieben hat. In der dritten Klasse haben sie mich aus dem Gymnasium geschmissen – mit fünf Fünfern. Meine Mutter hat beim Direktor der Hauptschule gesudert, dass ich nicht wiederholen muss. Und so wurde ich in den B-Zug gesteckt. Da hab’ ich so einen Zorn gekriegt! Binnen kürzester Zeit kam ich in den A-Zug. Und der war die Voraussetzung, dass man eine höhere Lehranstalt besuchen durfte. Man hat sich dann erinnert, dass ich immer gut gezeichnet hab’, und mich auf die Graphische geschickt. Es gab 300 Bewerber, 30 haben sie aufgenommen. Das hat alles verändert. Ich hab’ mich vom Fußball abgewendet – und die Malerei studiert: Michelangelo, Tizian, Veronese, Giotto, Caravaggio … Rembrandt hab' ich sehr verehrt. El Greco!“

Weiter lesen Sie in unserer PARNASS Ausgabe 02/2022.

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