Kunst Haus Wien

Wenn der Wind weht

Unter dem poetischen Titel „Wenn der Wind weht“ entfaltet sich im Kunst Haus Wien eine facettenreiche Ausstellung zum elementaren Thema Luft, Atem und Atmosphäre. Neben Fotografie und Video werden auch Interventionen gezeigt, die das Publikum unmittelbar in unerwartete Interaktionen verwickeln und den Besuch zu einem nachhaltigen Erlebnis machen.


Der Fokus der Ausstellung (eine Kooperation mit der Universität für angewandte Kunst Wien) richtet sich darauf, die unsichtbare Materie Luft ins Bewusstsein zu heben: Wenn der Wind weht, tritt sie in Erscheinung, erlangt anschaulichen Körper, akustische und taktile Präsenz und vermag sich zu unbändiger Dynamik zu steigern. Das weitreichende ambivalente Spektrum von Atem – Luft – Wind, das lebensnotwendige Essenz einerseits, verheerende Bedrohung andererseits bedeutet, wird in der Schau in einem schillernden Zusammenspiel unterschiedlichster Werke reflektiert. Die Kuratorinnen Verena Kaspar-Eisert und Liddy Scheffknecht führen durch ein vielgestaltiges Geflecht, das sein Potenzial im assoziativen Ineinandergreifen von Gedanken wie Emotionen ausspielt.

Noch vor dem Betreten der Ausstellung wird man im Stiegenhaus durch einen Luftzug auf das Thema eingestimmt, verursacht durch eine versteckte Installation von Ólafur Elíasson. Darauf folgt ein erster Einblick in die Komplexität der Thematik. In einer vielteiligen Wandcollage ruft Niina Vatanen in eindringlichen Fotografien unterschiedlichste Erscheinungsformen von Luft, Wind und Atem auf, die sie aus ihrem Bilderkosmos „Time Atlas“ entnommen hat.

Sjoerd Knibbeler schildert in leichtfüßigen, experimentellen Fotografien von rotierenden Fäden, Rauch und Plastikfolien seine Versuche Luft sichtbar zu machen. Ayumi Ishii setzt den eigenen Atem als bildgebendes Mittel ihrer Fotos ein. In einprägsamen und poetischen Aufnahmen an einer Meeresenge im Süden Irans verdeutlicht Hoda Afshar die Prägung und Verbundenheit von Landschaft und menschlicher Kultur durch den Wind. Doch wird die mediale Dominanz der Fotografie im Parcours stetig durchbrochen: Emily Parsons-Lord extrahiert aus Ansprachen zum Klimawandel die Pausen zwischen den Worten und schafft mit ihrer Videoarbeit eine nach Luft ringende Parodie. Roman Signer lässt ein Holzbrett auf dem Luftzug einer Windmaschine schweben und hält es in exakter, doch prekärer Balance. Eine Projektion zeigt die Performance „Breathing in / Breathing out“ von Marina Abramović und Ulay; das Paar tauscht seine Atemluft ausschließlich über die Münder aus, so lange, bis es sich in diesem gleichsam vampiristischen Akt gnadenlos erschöpft hat.

Hoda Afshar, aus der Serien Speak the wind, 2015-2020 © Hoda Afshar

Werner Reiterer richtet sich mit an der Wand montierter Schrift direkt an den Besucher: „Holen Sie tief Atem und tragen Sie die Luft in das nächste Stockwerk!“ Er instrumentalisiert den Besucher – wobei die Frage bleibt, ob nun der agierende Besucher Reiterers bewegte Skulptur ist oder selbst Künstler, der seine eigene Luft-Skulptur in sich trägt. Eine doppelbödige ironische Note zeigt auch die Dokufiktion von Bigert & Bergström, wenn sie mittels ihres „Tornado Diverter“, einer wundersamen Maschine, den vermeintlichen Versuch unternehmen klimatische Verhältnisse zu kurieren: eine unbehaglich komische Anspielung auf das klägliche Scheitern menschlicher Hybris.

Ein solch verheerender Hurrikan wird von Julius von Bismarck in „Irma to Come in Earnest“ filmisch in Szene gesetzt. In Schwarz-Weiß-Aufnahmen werden gebeutelte Pflanzen und Landschaft in greifbare Nähe gezoomt, durch Zeitlupe als gigantisch wogendes Naturschauspiel demaskiert und das bildliche Pathos akustisch verstärkt. Zuletzt wird das Resultat des Hurrikans Irma, der 2017 über die Karibik und Florida hinwegraste, gezeigt. Der überhöhende Modus der Aufnahme ist derselbe, Julius von Bismarck potenziert das Elend in surrealer Grausamkeit.

Bigert & Bergström, Wrecked house after EF5-rated tornado hit the town of Joplin, Missouri, May 22, 2011 © Bigert & Bergström

In der Ausstellung soll das Phänomen Luft in seiner Vielgestalt und Relevanz nicht nur sichtbar und hörbar vergegenwärtigt werden, Emily Parsons-Lord bietet in ihrer Intervention Luft aus verschiedenen Epochen der Erdgeschichte zum Verkosten an. Auf wissenschaftlicher Basis ist Luft aus dem Karbon und aus dem Ende des Paläozoikums rekonstruierbar sowie Zukunftsluft errechenbar. Somit wird Luft in der Schau auch zu einem geschmacklichen Erlebnis und rundet das Spektrum der unmittelbaren Erfahrung sinnlich und pointiert ab.

Kunst Haus Wien

Untere Weißgerberstraße 13, 1030 Wien
Österreich

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