Was war eigentlich 2020?
In Kooperation entstanden, ist die begehbare Raumskulptur „everything is happeing at once“ nach der erfolgreichen Präsentation im Salzburger Traklhaus, nun im Bildraum 01 in Wien zu sehen. Hier entführt Linus Riepler, Künstler der Galerie Krinzinger, in sein Erinnern und verführt dazu die Gegenwart kurz in den Pause Modus zu stellen.
„Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“, meinte Jean Paul und womöglich hatte er recht. Wohl gilt das aber nicht nur für die paradiesischen Erinnerungen, sondern auch für die abscheulichen – und alle dazwischen. Der für den aktuellen Kardinal König Preis nominierte Linus Riepler (*1984 Vöcklabruck) führt nun im Bildraum 01 vor, wie Erinnerungsarbeit funktionieren kann. Ein Jahr gepackt in einen begehbaren Korridor, Erinnerungen vermengt mit Stimmungen und Andeutungen. Eine große installative Collage ist es geworden, die Skulptur, Foto und Film zum immersiven Escape Room verbindet.
Bloß ist das Ziel hier nicht das Entkommen, sondern gegenteilig, das Verweilen. Ein Jahr voller Abschiede und Neuanfänge, ein Jahr in der Pandemie eingefroren in Szenen, denen der:die Betrachter:in interaktiv begegnet indem die Raumskulptur Schritt für Schritt begangen und erfahren wird. „Es gibt eine Nähe zum Theater ich sehe die Installation wie eine begehbare Vorstellung“, erklärt Linus Riepler beim gemeinsamen Ausstellungsbesuch. Das theatralische Narrativ löst sich allerdings in Gleichzeitigkeit auf, denn die Leserichtungen sind zahlreich, es ist ein Stolpern zwischen Versatzstücken, die der Künstler nicht unbedingt immer aufgelöst wissen will. Er versuche nichts zu verschönern, wolle aber doch die Interpretationen der teils sehr persönlichen Erinnerungs-Souvenirs offenlassen. Einen humoristischen Kommentar löst er aber wohl auf – in einem Schaukasten sitzt eine gealterte und müde Version des Sandmanns mit Bierflasche in der Hand im Homeoffice. Wie soll das Sandmännchen unter den Bedingungen des Lockdowns seiner Arbeit nachgehen? Ist er systemrelevant?
Eine Frage, die sich wohl auch in dem einen oder andern Künstleratelier 2020 und folgend stellte. Riepler selbst war viel unterwegs in dieser Zeit. Ein Hotelgang – das Indiz bietet ein Foto an der Außenwand der Installation – war formaler Taktgeber für den Korridor. Ein wiederkehrendes Element der Installation sind außerdem Verweise auf einen Besuch im tschechischen Karlsbad. Die Sound-Kulisse kommt von Handyvideos, die wie archivarische Schnappschüsse das Gesamterleben unterstreichen. Nicht immer ist Linus Riepler, der 2009 bei Manfred Pernice an der Akademie der bildenden Künste Wien sein Diplom machte, so zentral präsent in seinen Arbeiten wie hier. Fundstücke sind wiederholt der Ausgangspunkt seines Werks, im Fall der Ausstellung sind es eben Fundstücke des eigenen Erinnerns. Es ist ein Wiederaufleben lassen von großen Emotionen und den kleinen Kuriositäten des Alltags. So wird die große Installation im Bildraum 01 von einer weiteren ausgestellten Arbeit begleitet. „Der Sessel“ zeigt einen Abguss von Rieplers Atelierboden und imitiert eine banale Situation, wie sie so tatsächlich im Künstleratelier stattfand.
Der Blick auf die Winkel des Alltags, ihn hat Linus Riepler im Griff und führt damit den:die allzu schnell konsumierende:n Betrachter:in vor und entlockt ein Schmunzeln oder Seufzen, je nach allzu persönlicher Assoziation.
Bildraum 01
Strauchgasse 2, 1010 Wien
Österreich