Interview mit Nina Schedlmayer

VALIE EXPORT: „Der Feminismus muss radikaler werden“

Bildrechte: Ausstellungsansichten von VALIE EXPORT, Body Politics: Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac | Foto: Ulrich Ghezzi

War VALIE EXPORT ihrer Zeit mehr voraus auf dem Gebiet der feministischen Kunst oder der Performance, im Video oder in der Kunst im öffentlichen Raum? Die Frage lässt sich schwer beantworten. Fest steht, dass die 1940 geborene Künstlerin in den vergangenen Jahren auch international verstärkt herumgereicht wird. Anlässlich ihrer Ausstellung am Bard College 2016 zeigte sich sogar die New York Times euphorisch. 2017 eröffnete in ihrer Geburtsstadt Linz das VALIE EXPORT Center, kürzlich ihre Ausstellung in der Galerie Thaddaeus Ropac. Zeit für ein Gespräch.


PARNASS: VALIE EXPORT, Ihre aktuelle Ausstellung in der Galerie Thaddaeus Ropac hat einen Schwerpunkt auf früheren Arbeiten, vor allem aus den 1970er und 1980er Jahren. Wessen Entscheidung war das?

VALIE EXPORT: Es war zunächst die Idee der Galerie, aber eine gemeinsame Entscheidung. Wir haben anfangs „Körperkonfigurationen“in der Galerie Thaddaeus Ropac in Paris gezeigt, jetzt wollten wir bei meiner ersten Ausstellung in der Salzburger Galerie Ropac, zunächst die früheren Arbeiten zeigen.

P: Wie ist heute Ihr Blick auf diese Werke? 

VE: Ich finde sie noch immer aktuell. Das Verhältnis zwischen Körper und Architektur, das die „Körperkonfigurationen“ beleuchten, ist nach wie vor ein großes Thema. Wobei auch interessant ist, wie sich heute der Zugang geändert hat. Es ist mir im Besonderen aufgefallen bei den beiden Aktionen mit Brot, die Bedeutung von Brot hat sich sehr gewandelt, ist Besonderes.  Zur Zeit der Entstehung meiner Arbeit „Homometer“ 1973 war das völlig anders. Ich hatte zwei große handgebackene große Brotlaibe um die Beine und Füße gebunden und bin damit, kriechend im Sand, aus dem Meer herausgekommen und wieder ins Meer zurückgegangen. Für diese Arbeit war ein Text von Simon N. H. Linguet wichtig, in dem es unter anderem heißt, dass „kein anderes Nahrungsmittel den Menschen in größerer Abhängigkeit erhält.“ Später habe ich einen Laib Brot vor den Bauch gebunden und bin damit auf die Mariahilfer Straße gegangen: Die Leute durften sich ein Stück herausschneiden. Damals waren viele scheu und hatten Angst, mich zu verletzen. Doch so genau erinnere ich mich nicht mehr. 

P: Tatsächlich? Merkt man sich das nicht ganz genau? 

VE: Da ist viel weg. Außerdem ist es schon so lange her.

Wir haben damals alles neu entdeckt. Für uns war weniger die Vergangenheit wichtig, sondern die Gegenwart

VALIE EXPORT

P: Hatten Sie als junge Künstlerin so etwas wie Identifikationsfiguren? 

VE: Überhaupt nicht. Wir haben damals alles neu entdeckt. Für uns war weniger die Vergangenheit wichtig, sondern die Gegenwart: mit anderen die eigenen Ideen zu besprechen, sich auszutauschen, auch international – zum Beispiel mit Filmemacherinnen wie Chantal Akerman und Helke Sander oder auch mit Carolee Schneemann.

VALIE EXPORT, Body Politics, 2018, Ausstellungsansicht, Galerie Thaddaeus Ropac, Villa Kast, Salzburg | Foto: Ulrich Ghezzi

VALIE EXPORT, Body Politics, 2018, Ausstellungsansicht, Galerie Thaddaeus Ropac, Villa Kast, Salzburg | Foto: Ulrich Ghezzi

P: Als Sie in den 1960er Jahren mit Videokunst begonnen haben, war das Medium noch ganz neu. Heute leben wir in einer Zeit voller technologischer Neuerungen, vor allem im Bereich der Digitalisierung. Interessieren Sie Dinge wie Künstliche Intelligenz und Social Media?

VE: Über künstliche Intelligenz wurde schon in den 1960er Jahren und früher diskutiert, wobei das alles natürlich eher Ideen und Überlegungen waren, aber auch die Wissenschaft hat sich schon ausführlich damit beschäftigt. Wir haben uns außerdem vorgestellt, dass wir einander eines Tages beim Telefonieren sehen können. Und das ist jetzt tatsächlich der Fall: Ich kann mit meiner Tochter, die in Los Angeles lebt, skypen. Aber andererseits gibt es Phänomene wie Fake News.

Donna Haraways „Cyborgs Manifesto“ haben wir alle gelesen.

VALIE EXPORT

P: Manche Arbeiten von Ihnen reflektieren die Interaktion zwischen Mensch und Kamera, also zwischen Mensch und Maschine. Diese Beziehung hat sich stark intensiviert, der Cyborg ist nicht mehr Science-Fiction. Was sind Ihre Beobachtungen dazu?

VE: Der Cyborg war ja schon in den 1980er Jahren ein großes Thema. Das hat mich sehr interessiert, Donna Haraways „Cyborgs Manifesto“ haben wir alle gelesen. 1986 habe ich den Film „Ein perfektes Paar oder die Unzucht wechselt ihre Haut“ gedreht. Da sieht man, wie einer Frau eine Bankomatkarte in den Arm gesteckt wird. 

P: Und heute pflanzen Unternehmen, wie in den Nachrichten zu hören war, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Chips unter die Haut.

VE: Man schafft den gläsernen Menschen, wie es damals schon hieß. 

P: Am Bard College waren 2016 Ihre Arbeiten gemeinsam mit denen jüngerer Künstlerinnen zu sehen, sie selbst haben lange unterrichtet. Welche künstlerischen Entwicklungen sehen Sie gegenwärtig in der Generation der 30- bis 40-Jährigen? 

VE: Ich finde, die Künstlerinnen und Künstler sind zu angepasst. Sie schauen, dass sie mit ihrer Kunst in Galerien kommen, dass ihre Arbeiten in Messekojen passen. Sie leisten keinen Widerstand, zu wenig Widerstand. 

P: Sie meinen, die Kunst kreist zu sehr um sich selbst? 

VE: Ja, schon. Wobei ich da jetzt nicht gegen eine ganze Künstlergeneration sprechen möchte. 

VALIE EXPORT, Foto: Violetta Wakolbinger

VALIE EXPORT, Foto: Violetta Wakolbinger

P: Einerseits merken wir in Bereichen wie der Kunst, dass Frauen aufholen. Andererseits gibt es rückwärtsgewandte Tendenzen, die sich breit machen. Wie beobachten Sie das?

VE: Diese politischen Entwicklungen sind schlimm, etwa wenn man in Polen die Abtreibung verbieten will. Doch andererseits gibt es große Gegenbewegungen, die wiederum sehr wichtig sind– in Washington der große „Women’s March“ etwa. Da sah man eine Sprecherin, die Trump ausrichtete: Ich habe dich nicht gewählt!  Wir alle werden dich nicht wählen. Und das ist genau der Punkt: zu sehen, dass so viele Frauen gegen die herrschende Politik sind. 

P: Leider haben auch sehr viele Frauen Trump gewählt. 

VE: Wie nur eine amerikanische Frau Trump wählen kann, verstehe ich nicht. Aber gut, viele haben ökonomische Schwierigkeiten. Im TV sah man bei einem Bild, eine riesige US-Flagge von oben, auf der Trump und seine Frau tanzten, die er so oft betrogen hat und betrügt. Eine einzige Lüge, das Bild! 

P: Letztens sagten Sie in einem Interview mit dem „Kunstforum International“: „Der Feminismus schreibt immer noch dogmatisch Regeln vor, wie sich die Geschlechter zu verhalten haben.“ Können Sie das näher erklären? 

VE: Im Nachhinein war ich selbst überrascht! Doch ich habe es gesagt, und es stimmt auch. Aber ich betone, ich sagte: „immer noch“. Denn das war früher schon so, und es hat sich nicht besonders verändert. Der Feminismus ist noch immer zu sehr auf diesem Dualismus zwischen Mann und Frau aufgebaut. Das ist falsch, es gibt mehr Geschlechter und überhaupt mehr Identitäten. Und da schauen oft Feministinnen zu wenig über den Tellerrand. Schon vor langem war ich bei einem Feminismus-Symposion in den USA, wo eine afroamerikanische Frau aufstand und sagte: „Ihr sprecht immer nur über den weißen Feminismus. Was ist mit uns?“ Außerdem muss der Feminismus viel radikaler werden. Denn in Wirklichkeit geht es um Macht. Das wird zu oft übersehen.

P: Sie sind doch recht gut bekannt mit Alice Schwarzer. Haben Sie mit ihr darüber diskutiert? 

VE: Nein, so oft sehe ich sie auch nicht.

Der Feminismus ist noch immer zu sehr auf diesem Dualismus zwischen Mann und Frau aufgebaut.

VALIE EXPORT
VALIE EXPORT, SMART EXPORT - Selbstporträt, 1970, Black and white photograph, Paper Dimensions: 69,5 x 61 cm, Framed Dimensions: 91,7 x 83 cm | © VALIE EXPORT / Adagp Paris, 2018 | Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London/Paris/Salzburg

VALIE EXPORT, SMART EXPORT - Selbstporträt, 1970, Black and white photograph, Paper Dimensions: 69,5 x 61 cm, Framed Dimensions: 91,7 x 83 cm | © VALIE EXPORT / Adagp Paris, 2018 | Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London/Paris/Salzburg

P: Voriges Jahr wurde das VALIE EXPORT Center in Linz eröffnet. Verfolgen Sie, worüber dort geforscht wird?

VE: Schon, aber eher am Rande. Das VALIE EXPORT Center ist ein Forschungszentrum für Medien - und Performancekunst.  Es gibt großes Interesse an Austausch-Kooperationen und Stipendiaten. Das internationale VALIE EXPORT Center hat 2017 mit einem internationalen besetzten Symposion „Wilde Archive. Kunst und ihre papiernen Spuren“ eröffnet.

P: Im Archiv sind auch Schulhefte von Ihnen. Was finden wir darin?

VE: Kritzeleien, Gedanken, Zeichnungen, solche Sachen. Auch habe ich Schulhefte später immer wieder für Notizen, Zeichnungen verwendet.

P: Aber nicht solche wie in Ihren „Kinderzeichnungen“ aus den 1970er Jahren, wo zum Beispiel die Mutter tot am Lampenschirm hängt?

VE: Nein! Das waren ja Erwachsenenzeichnungen damals. 

P: Womit beschäftigen sie sich denn aktuell künstlerisch? 

VE: Mit dem Würfel. Damit habe ich schon öfter gearbeitet, zum Beispiel in einer Installation anlässlich des Mozartjahres. Demnächst installiere ich für die EVN eine Tapete mit Würfeln und ein Würfelvideo. Ich habe in den vergangenen Jahren viel über verschiedenen Würfelformen recherchiert. Was genau daraus jetzt entsteht, muss sich erst herausstellen. Wahrscheinlich wird es eine Installation mit Video, digitalen Medien.

 

www.valieexport.at www.valieexportcenter.at 

Galerie Thaddaeus Ropac

Villa Kast
Mirabellplatz 2
5020 Salzburg
Österreich

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