Im Porträt

VALIE EXPORT | Albertina Wien

VALIE EXPORT zählt zu den bedeutendsten konzeptuellen Medien- und Performance-Künstlerinnen ihrer Generation. Mit radikalen Straßenaktionen wie ihrem „TAPP- und TASTKINO“ schrieb sie Kunstgeschichte. Ihr vielschichtiges fotografisches Werk steht im Mittelpunkt ihrer aktuellen Retrospektive in der Albertina. PARNASS traf die Künstlerin zu einem Rundgang durch ihre Ausstellung.


PARNASS: Mit der Wahl Ihres Künstlerinnennamens rückten auch Fragen über die weibliche Identität ins Zentrum Ihrer Kunst. Was bedeutete das für Sie konkret?

VALIE EXPORT: Die Identitätsfrage lautete für mich, wie sich Identität durch verschiedene Wirklichkeiten verändert. Wir haben alle mehrere Identitäten, es gibt nicht eine einzige Identität. Es ist ein tragendes Thema meiner Arbeit. Ich entschied mich, dass ich keine Identität habe bzw. eine Non-Identität. Die Vieldeutigkeit von Identität habe ich in den Fotografien „Identitätstransfer“ (1968) angedeutet, indem ich in eine indifferente Geschlechterrolle geschlüpft bin. Ich trage eine Perücke, eine Bomberjacke und habe einen ernsten Blick, ich transferiere meine Identität.

Ich entschied mich, dass ich keine Identität habe bzw. eine Non-Identität.

VALIE EXPORT

 

P: Wurden für die Retrospektive in der Albertina auch neue Werke realisiert?

VE: „FOTO-RAUM“ ist keine neue Arbeit, aber sie ist erstmals realisiert worden. Das Konzept stammt aus dem Jahr 1970. Mit dieser Arbeit wollte ich ursprünglich den Galerieraum mit der Umgebung erweitern, die fotografisch auf die Wände aufgezogen wird. So entsteht ein Trompe-l’œil-Effekt. Einerseits thematisiert die Arbeit, wie sehr man des geschlossenen Raums bedarf, andererseits wird der Raum erweitert. Ich verschiebe die architektonischen Grenzen.

P: Diese Grenzverschiebungen lassen sich auch auf eine ausdrücklich feministische Weise lesen, oder?

VE: Grenzen zu verschieben war in den 1970er-Jahren das große Thema. Ich fragte mich immer: Wie weit kann ich die Grenze künstlerisch noch einmal verschieben? Grenzen haben eine große politische Bedeutung. Damals haben politische Grenzen auch das soziale Leben bestimmt. In meiner Jugend nach dem Krieg war Linz von den Amerikanern besetzt – ich war leider noch zu jung, um in ihren Jazz-Club zu gehen. So etwas prägt einen.

VALIE EXPORT - SMART EXPORT Selbstportrait, 1970. Silbergelatineabzug. ALBERTINA, Wien – The ESSL Collection | © VALIE EXPORT, Bildrecht, Wien 2023, Foto: © Gertraud Wolfschwenger, Bildrecht, Wien 2023

P: Wie fand damals ohne Internet die Vernetzung mit der internationalen Kunstszene statt?

VE: Viele Künstlerinnen haben mit Video und Film gearbeitet, weil es die Medien waren, die noch nicht von männlichen Kollegen besetzt waren. Wie viele Künstlerinnen mit Malerei arbeiteten und wie viele Malereibewegungen es tatsächlich gab, war damals nicht gut bekannt und auch noch nicht vermittelt durch Kunstmedien. Der Austausch entstand durch Einladungen zu internationalen Festivals, auf denen wir gegenseitig unsere Filme sahen. Dort haben wir uns kennengelernt. In den Gesprächen ging es oft darum: Was ist der männliche Blick und was der weibliche Blick? Gibt es eine männliche oder weibliche künstlerische Sprache? Wir haben uns mit diesen Themen beschäftigt, anders als heute.

P: Neben Ihrer eigenen Kunst haben Sie auch Ausstellungen kuratiert und zahlreiche Texte verfasst – gerade erschien eine Publikation, die erstmals Ihre theoretischen Schriften versammelt. Gehörte das für Sie alles immer zusammen?

VE: Der schriftliche und der künstlerische Ausdruck durch Medien wie Fotografie gehört zusammen. Ich bin keine Theoretikerin. Ich habe aufgeschrieben, was ich mir zu meinen eigenen Arbeiten gedacht habe: Wie sind die Werke in die Gesellschaft eingepasst, was ist Feminismus, wie können Frauen künstlerisch arbeiten? Mit Sprache habe ich mich auch künstlerisch viel auseinandergesetzt.

P: War Wut eine Triebfeder für Ihre Kunst?

VE: Ganz sicher. Ich war wütend und wollte die Regeln und Repressionen in der Gesellschaft verändern. All die traditionellen, konservativen Vorstellungen, die mich zur Anpassung gezwungen haben, ohne dass ich einen Sinn dahinter erkennen konnte, haben mich zornig gemacht.

VALIE EXPORT, ALBERTINA Wien © Esel.at

Albertina

Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Österreich

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