Nilbar Güreş: Emanzipation mit Fausthieb
Zum dritten Mal zeigt die Martin Janda Galerie die Arbeiten der Künstlerin Nilbar Güreş in einer Einzelschau. Mit Skulpturen und Collagen aus Stoff kritisiert sie in „See/Saw“ das türkische und das westliche Weltbild, verzichtet auf binäre Geschlechter und schneidet patriarchalen Strukturen die Eier ab.
Auch, wenn man es nicht gleich sieht handelt es sich hier um einen Kampf: Auf der einen Seite steht eine Frau mit Kopftuch und traditioneller türkischer Kleidung und auf der anderen eine freizügig gekleidete Person ohne Geschlecht und mit Medusa-Haar. Die Frau mit dem Kopftuch schießt auf diese bunte Figur. Womit scheint nicht ganz klar – ist es ein Maschinengewehr oder ein Nudelholz?
Zum dritten Mal zeigt die Galerie Martin Janda die Arbeiten der türkischen Künstlerin Nilbar Güreş in einer Einzelausstellung. Unter dem Titel „See/Saw“ füllen Skulpturen, Fotografien, Collagen und Installationen die drei Stockwerke der Galerie. Güreş lebt in Wien und Istanbul, studierte in beiden Städten, auch an der Akademie der bildenden Künste. 2015 erhielt sie den BC21 Art Award und zeigte vergangenes Jahr ihre Schau „Overhead“ im Lentos Kunstmuseum in Linz. Auf ihren Reisen sammelt sie Stoffe, die als Material eine wichtige Rolle in ihren Arbeiten spielen.
So auch in „See/Saw“, wo es insbesondere ihre Collagen sind, die hervorstechen. Auf bunte Textilien stickt, malt, klebt oder zeichnet sie und nutzt sie zugleich als Skizze, Mindmap und Sprachrohr. Allerdings muss man sich erst in ihnen zurechtfinden: So auch in der Collage „Akp’s Light Bulb or America’s Freedom Sculpture“ (2018), in der Güres zwei Lebenswelten aufeinanderprallen lässt: die türkische und die US-amerikanische. Zacken zieren den Kopf der verschleierten Frau, die an das Symbol der konservativen Partei AKP erinnern und zugleich an die Krone der amerikanischen Freiheitsstatue. Die amerikanische Figur trägt ein strahlendes Einhorn auf dem Kopf – ein Zeichen für Toleranz und Diversität. Auf der türkischen Seite bildet ein osmanisches Symbol das Fundament auf dem die schießende Frau steht, neben ihr eine riesige undurchdringliche Blackbox.
Wie mit einem Fausthieb übt Güreş scharfe Kritik an ihrer Heimat und dem dort herrschenden Weltbild. Die dynamisch-bunten Linien und gemusterten Textile dämpfen diese – jedoch nur vordergründig. Mit messerscharfem Humor spielt sie anhand von kulturellen Klischees und Stereotypen mit Geschlechterrollen, Genderthemen und Emanzipation. So auch in ihrer Skulptur „Under the Skin“ (2019), die zwei sich aneinander schmiegende Figuren zeigt und aus Kissen gemacht sind, die frisch verheiratete Paare in der Türkei geschenkt bekommen – wer wer ist soll dabei offen bleiben. Persönliche Geschichten erzählt Güreş mit „escaped“ (2005): Ein dunkler Haarzopf hängt an einem türkischen Kamindeckel, den sich die Künstlerin als Jugendliche abgeschnitten hatte. Ein Akt der Befreiung aus einem System, das keine Andersdenkenden duldet. Zugleich stellt sie auch das westlich-moderne System mit dem stets in Gegensätzen gedachten Weltbild infrage: Muss Kultur das Gegenteil von Natur sein, müssen Westen und Osten zwingend Feinde sein oder müssen sich Geschlechter ausschließlich in Mann und Frau trennen?
Mit dem Titel „See/Saw“ möchte Güreş einen Blick auf diese beiden Weltbilder werfen, möchte Kulturen und Menschen sehen – diese und das Dazwischen erkennbar machen. In ihren Arbeiten stellt Güreş oft Frauen als Protagonistinnen ins Zentrum, verhüllt oder enthüllt sie, hebt ihre Röcke oder Kopftücher, lässt sie für sich selbst sprechen. Und äußert mittels bildlicher Codes wortwörtliche und wenig subtile Kritik an patriarchalen Strukturen: So schneidet eine Frau in dem Foto „Coconut Cutters“ (2018) nicht nur ihr eigenes Kopftuch durch, sondern auch die Kokosnüsse der phallischen Palme.
Galerie Martin Janda
Eschenbachgasse 11, 1010 Wien
Österreich
Nilbar Güres. See/Saw
bis 20. Dezember 2019