Must See in Paris: Sandro Botticelli
Noch bis 24. Jänner präsentiert das Pariser Musée Jacquemart-André den Renaissance-Maler Alessandro di Mariano Filipepi aka Sandro Botticelli als „Künstler und Designer“.
Die Ausdeutung zum Kunst-Unternehmer soll die romantisierende Vorstellung des Einzelgenies korrigieren: Der Mächtige war nie allein, er kooperierte mit Gehilfen, Meistern wie seinem Lehrer Filippo Lippi oder mit Kollegen wie Andrea del Verrocchio. Als Werkstattleiter, baute er früh seinen Erfolg durch zahlreiche Nebenprodukte aus. Eindrücklich vermitteln das drei „Cassone“: In den luxuriösen Brauttruhen übergaben wohlhabende Florentinerinnen ihre Mitgift. Auf den Außenpaneelen, oft das einzige, was von den Kisten überdauerte, tobte sich die Florentiner Künstler-Schickeria aus. So präsentiert die Ausstellung ein „Saplieri“, ein auf Leinwand mit Tempera ausgeführtes Langbild, an dem Botticelli 1485–88 neben seinem Lehrer Filippo Lippi federführend mitwirkte.
Wusste man bereits, dass in der Renaissance die Malerei ein Kunsthandwerk unter anderen war, wird nun deutlich, wie von den Ateliers mit Bildfiguren umgegangen wurde. Sie sind nicht, wie oft angenommen, individuelle Darstellungen von Charakteren. Vielmehr handelt es sich um Typisierungen, die den wiederholten Einsatz derselben Figur in wechselnden Rollen ermöglichten. Frappierend, das 1485–90 gemalte Gesicht einer der beiden Venus-Darstellungen – Highlight des Ausstellungs-Rundgangs – auf den Schultern des Heiligen Lorenz wiederzufinden, 1495–96 neben der thronenden Jungfrau mit Kind für den Trebbio-Altar gemalt. Erfolgreiche Bildelemente mehrfach zu verwenden war nicht neu – Botticelli verstand es, sie ebenso austauschbar wie individuell erscheinen zu lassen.
Zwar gehört der auf einem Florentiner Landgut im familiären Kreis lebende Künstler zu jenen Brücken-Figuren, die den Weg zum starken Künstler-Ich bereiten. Doch dieses ist noch weit entfernt vom „freien Künstler“ – so insistiert die Ausstellung –, den man in dem Renaissance-Maler später sehen wollte. Wenn er von oben herab maliziös aus dem Bild blickt, mit ironischer Finesse an den Rand einer „Anbetung der heiligen drei Könige“ aus dem Jahr 1476 gemalt (in der Ausstellung nur als Reproduktion zu sehen), dann belegt das sein Inszenierungs-Talent: Sandro Botticelli, das ist zuerst und vor allem ein „Image“, wie man im heutigen Werbe-Jargon sagen würde.
Mit diesem Image veränderte er den Stellenwert der Malerei: Weiterhin kunsthandwerkliches Produkt, von vielen Händen angefertigt, wird sie – in der zunehmend unter Bild-Einfluss stehenden Gesellschaft der Medici – zur „Brand“. Damit förderte Botticelli den Verkauf seiner Werke, auch als Möbel-, Teppich- und Textil-Designer.
Sandro Botticelli – ein Florentiner Start-up?
Sehr schön wird das am Beginn der Ausstellung anhand verschiedener Versionen einer Madonna mit Kind sichtbar. Malt der junge Botticelli etwa 1467 eine sich die Brust entblößende „Madone Campana“ unter antikisierendem Rundbogen, so folgt 1482–83 eine üppig mit Gold gehöhte Mutter Gottes im Dialog mit ihrem Kind. Umgeben von Insignien von Wissen und Macht, liefert das christliche Sujet seinen Auftraggebern emblematische Projektionsflächen.
Botticellis Stärke liegt in seinem Erzähltalent: Jedes Bild ist ein Füllhorn von Binnen-Geschichten. Kritische Stimmen sehen in der anachronistischen Bezeichnung als „Designer“ und der Darstellung Botticellis als dynamischer Jung-Unternehmer eine unzulässige Annäherung der Renaissance an Emmanuel Macrons „Start-up-Nation“. Zu unterstellen, das Museum liefere ein Narrativ zu den historischen Wurzeln neoliberaler Kreativunternehmer, geht vielleicht zu weit. Gleichwohl belegt die Ausstellung, dass Lesarten der Kunstgeschichte immer vom Zeitgeist inspiriert sind.
Musée Jacquemart-André
158 Boulevard Haussmann, 75008 Paris
Frankreich