Mehr als Eskapismus: Warum Sie diesen Herbst ins MQ schauen sollten

Japan Unlimited im frei raum Q21 | Foto: Pablo Chiereghin

An beiden Enden Kunst, könnte man sagen: Mit "Escape!", einem interaktiven Kunstprojekt von Deborah Sengl und "Japan Unlimited", einer Ausstellung, die sich Gedanken zur künstlerischer Freiheit zwischen Provokation und Diplomatie in Japan macht, warten diesen Herbst zwei spannende Projekte im Museumsquartier darauf entdeckt zu werden. Clarissa Mayer-Heinisch hat sich für PARNASS umgesehen.


Die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 und die Leidenschaft der Künstlerin Deborah Sengl Escape Räume zu besuchen, waren die Auslöser für „Escape!“. Auf 300 Quadratmeter hat sie den Raum klassischer Kunstpräsentation gesprengt und das weltweit populäre Phänomen des Escape Rooms für ihre Zwecke genützt. „Ich bin eine Rätseltante“, sagt Deborah Sengl lachend, als wir gemeinsam den ersten Raum betreten. Die Tür schließt sich hinter uns und ich blicke ratlos um mich. Ein Tisch mit aufgemalter Weltkarte, ein Kästchen mit drei verschlossenen Türen, ein Schachbrett, dessen Felder beim Umstellen der Figuren leuchten, ein unbequemes Klappbett und einige Koffer befinden sich in diesem Raum.

„Wie könnte es sich anfühlen, wenn man vertrieben wird, wenn man endlos warten muss, Verlust verspürt und Existenzängste einen quälen“ – so die Fragestellungen, die Deborah Sengl ihrem Projekt zu Grunde legte. Während der Besucher Aufgaben löst und spielerisch Raum nach Raum durchwandert, begegnen einem Texte, Filme und Erinnerungsstücke von Geflüchteten ebenso wie Kunstobjekte von Deborah Sengl. Ihr legendärer Wolfskopf beispielsweise steht für einen Beamten am Einbürgerungsschalter.

Das Erzählerische interessiert mich, das interaktive Element

Deborah Sengl

Escape Rooms wurden um 2007 in Japan erfunden und haben seitdem eine Erfolgsgeschichte hingelegt. Einer, der weiß, wie es funktioniert ist Michael Ginner. Er ist der Betreiber der „Time Busters“ und ihn hat Sengl für ihr Projekt an Bord geholt. Ebenso den Verein „Fremde werden Freunde“, der sich seit 2015 um Geflüchtete kümmert. „Diese Menschen sind ein maßgeblicher Teil meines Projekts“ , erklärt Sengl, denn von ihnen stammen nicht nur die Gegenstände und Geschichten in den Vitrinen, sondern sie sind auch als temporäre Mitarbeiter in den Räumen anzutreffen.

„Das Erzählerische interessiert mich, das interaktive Element“ so Deborah Sengl und sie stellt es mit ihrer künstlerischen Intervention unter Beweis. Escape lässt eine Erfahrungswelt entstehen, in der sich die Besucher mit dem Thema Flucht auf mehrdeutig-kritische Weise auseinandersetzen können.

Escape 3 | Foto: © esel.at/Lorenz Seidler

Escape 3 | Foto: © esel.at/Lorenz Seidler


Japan Unlimited

Die Auseinandersetzung mit der künstlerischen Freiheit war der Anlass der Ausstellung „Japan Unlimited“ kuratiert von Marcello Farabegoli. 150 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen dem „Land der aufgehenden Sonne“ und Österreich, Einblicke in die Gedankenwelt der Japaner und deren Verhaltensnormen, die Farabegoli auch dank einiger enger Beziehungen zu Japanern seit vielen Jahren erhält, und last but not least die Welt der Diplomatie, die ihn immer schon fasziniert hat, waren ausschlaggebend folgende Fragen zu stellen: „Darf/Soll Kunst diplomatisch sein?“

Anhand von Werken namhafter zeitgenössischer Künstler aus Japan greift er die Verhaltensregeln auf, die die Gesellschaft Japans prägen. Themen wie Todesstrafe, Homosexualität, die Katastrophe von Fukushima oder das Kaiserhaus sind tabu. Dennoch, oder gerade deshalb beschäftigen sich Kunstschaffende mit diesen Sujets. Chim Pom, ein Künstlerkollektiv aus sechs jungen Menschen beispielsweise, provoziert mit Sprechchören auf einem Video, das in der radioaktiv verseuchten Stadt Soma aufgenommen wurde.

Bubu de la Madeleine und Yoshiko Shimada, zwei feministische Künstlerinnen, haben ein historisches Foto des Kaisers Hirohito und des Kommandanten der US Streitkräfte zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, Douglas MacArthur, nachgestellt und mit einem roten Samtherz umrandet. Hana Usui beschäftigt sich in Form von Papierskulpturen und übermalten Fotografien mit der Todesstrafe.

Diese und etliche weitere gezeigte Arbeiten erregen in der japanischen Gesellschaft Abneigung, sie fallen unter Zensur oder überschreiten zumindest diplomatische Grenzen. „Wir wollen diesen Künstlern hier in Österreich eine Plattform geben, die sie im eigenen Land nicht in diesem Maße haben und hoffen, dass die Kunst mit der Zeit auch dort freier wird“, so Marcello Farabegoli. Doch was bedeutet es für die künstlerischen Fragestellungen, wenn sie das Land, an das sie ihre Fragen richten verlassen und auf Reisen gehen? Die Ausstellung gibt in einer geschützten Atmosphäre einen relevanten Kommentar ab und eröffnet hierzulande erstmals einen Diskurs zu diesem Thema.

Aktuelle Anmerkung der Redaktion:
Die Atmosphäre ist auch in Österreich nicht geschützt. Der lange Arm der japanischen Politik reicht auch nach Österreich. So entzog die Japanische Botschaft der Ausstellung ihren Status als offizieller Beitrag zum "150-jährigen Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Japan", wie der ORF am Samstag 2.11. berichtete. "Ziel der Ausstellung", so Kurator Marcello Farabegoli im Interview des ORF. "ist es Kunstwerke zu zeigen, die in Japan zensuriert werden. Wir dachten in Österreich haben wir etwas mehr Freiheit als in Japan und können diese Werke problemlos zeigen." Zeigen dürfen sie die Arbeiten auch weiterhin, aber ohne der offiziellen Anerkennung der Japanischen Botschaft. Ein Akt, der zeigt, wie eng nach wie vor das Korsett für politische Künstlerinnen und Künstler in Japan ist. (RED)

frei_raum Q21

Museumsquartier, 1070 Wien
Österreich

Japan Unlimited

bis 24.11.2019

Escape! von Deborah Sengl

ab 14.10.2019

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