Kapwani Kiwanga im Porträt
Ihre Installation „Hour Glass“ im Arsenale in Venedig war ein Höhepunkt der Biennale 2022. Im Oktober erhielt die kanadische Künstlerin Kapwani Kiwanga (*1978 in Hamilton, CA) den jährlich vom Museum Haus Konstruktiv und der Zurich Insurance Company Ltd. vergebenen Zurich Art Prize. Noch bis 15. Jänner ist ihre Ausstellung dort zu sehen. Ein Porträt.
Gewebe strukturierten mit Farbverläufen wie Sonnenauf- und Untergänge auf der letzten Venedig-Biennale den Ausstellungsraum als farbenbehängte, fließende Welt ohne feste Wände. Ein theatraler Raum, der „in der disziplinären Architektur des Arsenale den Besuchenden die Möglichkeit gibt, sich zu positionieren“, erklärt die heute in Paris und den USA lebende Künstlerin im Zoom-Interview. Währenddessen zeichnen die Strahlen der Morgensonne durchs Fenster ihrer Künstler-Residenz im amerikanischen Cambridge ein changierendes Muster auf ihr Gesicht.
„Hour Glass“, so Kiwanga, spiele „mit der sich wandelnden Subjektivität entlang eines Ausstellungsbesuchs, mit der Beziehung verschiedener Vorstellungen und Betrachtungsweisen, die ein bestimmter Raum auslöst.“ Solche dem künstlerischen Werk Dan Grahams verwandten Publikumsplatzierung prägt viele Arbeiten, so etwa die 2018 entstandenen, einem Paravent gleichenden Skulpturen „Jalousie“ oder „Shady“. In Venedig standen zwischen den Schleiern mit Sand gefüllte durchsichtige Objekte. Gemeinhin mit der Vorstellung des nahenden Todes verbunden, zerrinnt Sand in Kiwangas modernistischen Stundengläsern nicht, setzt vielmehr im Innehalten die Zeit aus. Darum geht es dieser Kunst: aussetzen, zur Besinnung kommen, bewusst werden: „Auch wenn ich in letzter Zeit viel mit performativen Vorträgen arbeite, wie mit ‚Afrogalaktika‘, in der ich seit 2012 als Anthropologin aus der Zukunft auftrete: Wissen entsteht nicht nur im Kopf, es ist eine körperliche Erfahrung im Raum“, erklärt Kiwanga.
Geopolitische Kunst
2020 erhielt die Kanadierin, die 2005, wie sie sagt, „ohne einen blassen Schimmer von zeitgenössischer Kunst“ nach Frankreich kam, bereits den angesehenen Prix Marcel Duchamp. Die Tageszeitung Le Monde schrieb damals: „Kapwani Kiwanga nutzt Methoden aus den Sozialwissenschaften, um Darstellungen der zeitgenössischen geopolitischen Sphäre zu dekonstruieren.“ Zwar habe sie durch ihre Studien, Anthropologie und vergleichende Religionswissenschaften an der McGill Universität, einen entsprechenden Hintergrund, aber, so Kiwanga: „Die künstlerische Arbeit kommt aus dem Inneren, verlangt vollen Einsatz, ist körperlich.“ Zum Beispiel „Flowers for Africa“, ihre seit 2012 fortlaufende Serie nachgestellter Blumen-Arrangements, die einst offizielle Veranstaltungen zur Unabhängigkeit afrikanischer Länder schmückten.
Kiwanga wuchs in Kanada auf, ihr Vater stammt aus Tansania, auch heute lebt ein Teil ihrer Familie dort. Dennoch steht die afrikanische Diaspora nicht im Fokus ihrer Forschungen. „Ich halte nicht viel von kurzschlüssigen, aufgeregten Stellungnahmen“, sagt die Künstlerin, „für mich ist alles politisch, doch Kunst ist nicht mein politisches Projekt.“ Ihr gehe es vielmehr im weiteren Sinn um Macht-Spiele und wie sich diese als Objekt im Raum manifestieren.
Strukturen, Symbole, Stillleben
„Mich interessieren zugrunde liegende Strukturen, die Formen, die sie provozieren. Die Sinne sollen angesprochen werden über Symbolkraft, Schönheit und Vergänglichkeit. „Die Blumen verwelken während der Ausstellungen, das ist wichtig“, erläutert sie noch einmal zu „Flowers for Africa“. Eine ästhetische Brücke zum Stillleben, seiner barocken Memento-Mori-Funktion? „Die Arbeiten bestehen aus Bedeutungs-Schichten, die sich überlagern, Perspektiv- und Blickwechsel ermöglichen. Nehmen Sie die Serie ‚Nations‘, in der ich Stoffe und teilweise mit Perlen bestickte Tücher wie Flaggen aufhänge. Jede Arbeit behandelt ein konkretes Ereignis der Kolonialgeschichte. Das kann man ignorieren –die ästhetische Erfahrung der Ungewissheit von Transformationsprozessen vermittelt es dennoch.“ Kapwani Kiwangas Arrangements, könnte man sagen, werken an einer „Ästhetik des Dispositivs“.
Die Ästhetik des Dispositivs nutzen derzeit einige Kunstschaffende. „Subjektivität steht im Zentrum meiner Arbeit“, bestätigt Kapwani Kiwanga. In der Ausstellung im Zürcher Haus Konstruktiv mische sie „Methoden kongolesischer Kosmogonien mit Formen der Abstraktion moderner europäischer Kunst.“ Wieder gehe es ihr, sagt sie abschließend, „um das „world making“, darum, wie Dispositive Welten strukturell zugänglich machen – oder versperren.“ Das von dem Philosophen Michel Foucault in den 1970er-Jahren politisch geprägte Konzept meint die Organisation institutioneller, kultureller, gesellschaftlicher Instanzen, die bedingen, was „man“ denken, sagen, tun und wissen kann.
Museum Haus Konstruktiv
Selnaustrasse 25, 8001 Zürich
Schweiz