ISAAC JULIEN
Der britische Künstler und Filmproduzent Isaac Julien stellt in der Tate Britain in London aus. Die umfassende Schau spiegelt die Entwicklung Juliens vom Anfang seiner Karriere in den 1980-Jahren bis in die Gegenwart wider.
Isaac Julien interessiert sich seit langem für das, was erinnert und vergessen wird, dafür, wie Objekte bewahrt und festgehalten werden und wie Ideen zirkulieren und wieder verschwinden. Am bemerkenswertesten an seiner jüngsten retrospektiven Ausstellung in der Tate Britain, „What Freedom Is To Me“, die bis zum 20. August 2023 läuft, ist jedoch die fortlaufende Entwicklung seiner filmischen und aktivistischen Sensibilität.
Die Ausstellung, die im Hauptraum sieben wichtige Filme und im Eingangsbereich drei frühere Werke zeigt, verfolgt Juliens filmische, ästhetische und politische Entwicklung von den 1980er-Jahren bis heute. Sein Kultfilm „Looking for Langston“ (1989) stellt einen entscheidenden Wendepunkt dar. In Anspielung auf Langston Hughes, einen wichtigen Vertreter der als Harlem Renaissance bekannten Blüte der afroamerikanischen Kultur in den 1920er-Jahren, heißt es hier: „you’re beautiful“, während die poetischen Dialoge anderer Figuren die Verletzlichkeit der queeren Liebe zu dieser Zeit reflektieren: „this kiss could turn to stone“. Diese zärtliche und unapologetische Sichtweise Schwarzer queerer Identität richtete sich gegen die Homophobie während der AIDS-Krise.
Der Einfluss von „Looking for Langston“ schwingt in der Ausstellung auf direkte und indirekte Weise mit. Die jüngste Arbeit, „Once Again... (Statues Never Die)“ (2022), eine Sechs-Kanal-Videoinstallation, kehrt ebenfalls zur Harlem Renaissance zurück. Sie zeigt Szenen und Zitate aus „Looking for Langston“, während sie damals wie heute im Fokus stehende Anliegen rund um die Grenzen von Kunst, Rasse und Politik aufgreift. Der charakteristische rhythmische Schnitt Isaac Juliens ist auch an anderer Stelle zu finden: „Lessons Of The Hour“ (2019), eine Studie über den führenden Abolitionisten Frederick Douglass, wechselt in einer beeindruckenden Installation mit zehn Bildschirmen zwischen dem grausamen Knall einer Peitsche, dem Schnaufen einer Dampflock und den kraftvollen Redekünsten des Protagonisten.
Zwar tauchen im Werk des Künstlers immer wieder Museums- und Galerieräume auf, wie die Barnes Foundation und das Pitts Rivers Museum in „Once Again“ (2022) und Sir John Soane's Museum in „Vagabondia“ (2000), doch am interessantesten ist Juliens sorgfältige Untersuchung, wie solche Räume und die zu ihnen gehörenden Vorstellungen von kultureller Macht geprägt werden. Vor dem Hintergrund von Statuen und Kabinetten entfalten sich Gespräche darüber, wie der Wert von Kunst gesellschaftlich konstruiert ist. Derselbe Gedanke findet sich auch an anderer Stelle wieder: In „Lina Bo Bardi – A Marvellous Entanglement“ (2019) feiert Isaac Julien die berühmte brasilianische Architektin aufgrund ihres sozialen Engagements. Unter Juliens schillernder filmischer Ästhetik schimmern seine aktivistischen Wurzeln durch. Im Eingangsbereich der Ausstellung wird sein erster Film „Who Killed Colin Roach?“ (1983) vorgeführt, der den Tod eines 21-Jährigen und die angebliche Vertuschung des Mordes an ihm durch die Polizei thematisiert. Weiter lesen Sie in der PARNASS Ausgabe 02/23.