Eine Ausstellung ohne Publikum

HOUSE OF RITUALS

Rituale erscheinen heute wie Boten aus anderen Zeiten und von fernen Orten, doch sie sind bis heute in unserem Leben und in der Gesellschaft tief verwurzelt. Ein Weihnachten ohne Baum, ein Jahreswechsel ohne Neujahrskonzert – kaum vorstellbar. Doch sind wir uns der Bedeutung der Rituale noch bewusst oder agieren wir wie ferngesteuerte Lemminge sobald im Oktober die Weihnachtsdekoration angeboten wird? Die in der Hauptausstellung der Vienna Art Week präsentierten Arbeiten setzten sich auf vielfältige Weise mit dem Thema auseinander. „House of Rituals“ verbindet auf gelungen Weise die Kunstwerke mit der Aura eines verlassenen Hauses. 


U-Bahn-Station Simmering. Die stark befahrene Hauptstraße. Eine Häuserzeile mit niedrigen Häusern und Hinterhöfen, Gewerbegebäude und gegenüber ein Hochhaus, das in diesem architektonischen Mix nahezu bedrohliche Ausmaße hat. Eine kleine Tür öffnet sich zu einem kleinen Garten. Ebendort empfängt einem das Tor der ehemaligen Notgalerie von Reinhold Zisser und gibt dem Garten etwas nahezu Japanisches. Das Nomadentum der 2015 gegründeten Notgalerie wird hier einmal mehr manifest. Dahinter eine Skulptur von Erwin Wurm – eine sympathische „One Minute Sculpture“ verbunden mit der Aufforderung: „Können Sie bitte starken Alkohol sowie Gläser auf den Tisch stellen“. Der Besucher wird zum Benützer der Skulptur und bald zum trinkfreudigen Performer. Und dann tritt man ein in das Haus, in dem sich die Spuren der ehemaligen Bewohner mit den Exponaten der von Robert Punkenhofer und Angela Stief kuratierten Ausstellung verbinden. 

Garten, Reinhold Zisser „Notgalerie“, Erwin Wurm „Balken", Foto: rainerstudio.com

„House of Rituals“ bringt Arbeiten internationaler und Wiener Künstlerinnen und Künstler unter dem Dach des Vorstadthauses zusammen von Vito Acconci über Marina Abramović, Nives Widauer, Elisabeth von Samsonow bis zu Fotoarbeiten der Berliner Künstlerin Iwajla Klinke. Sie kleidet die von ihr porträtierten Personen in Gewänder, die Anleihen nehmen an rituelle Kleider zeremoniellen Ursprungs. 

Elisabeth von Samsonow hingegen untersucht das Thema Ritual auf Basis einer literarischen, handlungsgebunden und vor allem feministischen Ebene. Denn, so Samsonow: „In Ritualen sind auch Text- oder Sprachebenen eingebaut, Rezitationen, Hantierungen mit gewissen Gegenständen, also all dies ist wichtig in meiner performativen Arbeit. Ich betrachte sehr genau die literarischen und liturgischen Vorlagen für die großen Rituale und versuche, diese in eine Gegenwart zu übersetzen, in der Frauen als Ritualistinnen handeln.“ 

Ausstellungsansicht, House of Rituals, Iwajla Klinke, Untitled, Serie "Pearls in Herod's Eyes", Bukowina/ Rumänien, 2018, Foto: rainerstudio.com

Ausstellungsansicht, House of Rituals, Elisabeth von Samsonow, Foto: rainerstudio.com

Eine Soundinstallation von Mia Zabelka kreiert eine auditive Grundstimmung, die den Besucher bei seinem Rundgang vom Keller bis zum Dachboden begleitet. Die präsentierten Kunstwerke setzen sich auf unterschiedlichste Weise mit Ritualen auseinander. 

Beeindruckend sind die beiden Videoarbeiten im Keller: „The Current“ eine Videoarbeit Marina Abramovićs, entstanden 2017 sowie „The Celebration“ der in Guatemala lebenden Performancekünstlerin Regina José Galindo. Galindo lässt in dieser Arbeit Paare durch Morast tanzen und macht uns auf die verdrängten Ursprünge des Neujahrskonzerts aufmerksam – das wir wie ein Ritual jährlich in die Welt senden. Das erste Konzert fand im Kriegsjahr 1939 statt. Die Wiener Philharmoniker organisierten es als ein Konzert mit Strauß-Stücken und widmeten den Reinertrag der nationalsozialistischen Spendenaktion. 

Nives Widauer unterhält sich mit Daniel Spoerri über Rituale und projiziert das Video auf eine Backofenform und gestaltete einen Raum mit Interieurzeichnungen durch die Geister schweben. Erwin Wurm lädt zu einem Balanceakt mit Milch-TetraPaks ein, Oliver Hangl zum Schaukeln, allerdings ohne das Gegenüber zu sehen und lässt am Dachboden den Wiener Beschwerdechor krampfhaft Grinsen. Gelungen auch die Inszenierung von Emiko Kasaharas Videoinstallation „Setting“, in achtundachtzig Frauen im Alter von den frühenTeenagern bis über achtzig Jahren ihr tägliches Pflegeritual durchführen – ein Einblick in einen persönlichen Moment der sich hier mit der Einrichtung des Badezimmers kongenial verbindet. Am Dachboden verbreitet das 1992 entstandene Video „Heidi“ von Mike Kelley Paul McCarthy eine gruselig-schaurige Atmosphäre und hätte nicht besser platziert sein können. Ebenso sehenswert Thomas Gänszlers Skulptur „Ohne Titel“ aus Pappelholz und Schaumstoff. „Rituale markieren oft den Übergang von Daseinszuständen, so der Künstler. „Das Aufeinandertreffen von zwei in ihrer Ausbreitung gegensätzlich anmutenden Volumina, kann als Sinnbild unterschiedlicher Aggregatzustände interpretiert werden.“ Andererseits entstehen aufgrund der Form und Größe der Skulptur auch Assoziationen zum menschlichen Körper, zu Sterberitualen. Wobei die Skulptur an sich allein schon formal interessant ist und sicher in einem anderen Setting anders kontextualisiert werden wird. 

Ein Haus, das nun mit Kunst aufgeladen ist – können Rituale jedoch die Geschichte des Hauses und ihrer Bewohner neu schreiben? Eine Frage die Markus Hanakam & Roswitha Schuller in ihrem Video „Crystal Healing“ stellen, wenn sie die Rolle des Artefakts in der Populärkultur hinterfragen – zwischen Marketinginstrument und Fetisch. 


HOUSE OF RITUALS Eine Ausstellung ohne Publikum
Online erlebbar und live gestreamt aus einem Haus in Simmering
Mit Arbeiten von Marina Abramović, Vito Acconci, Paul Mc Carthy, Scott Clifford Evans, Regina José Galindo, Thomas Gänszler, Hanakam & Schuller, Oliver Hangl, Emiko Kasahara, Mike Kelley, Iwajla Klinke, Rudolf Molacek und Maria Serebriakova, Hermann Nitsch, Elisabeth von Samsonow, Nives Widauer, Erwin Wurm, Mia Zabelka, Reinhold Zisser 

VIENNA ART WEEK 2020
13. – 20. 
November

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