Gallery Diary - Galerie Krinzinger | Björn Dahlem

Parallel zur Schau von Brigitte Kowanz zeigt die Galerie Krinzinger aktuell eine Einzelausstellung von Björn Dahlem. Björn Dahlem (* 1974 München) lebt und arbeitet in Berlin und unterrichtet Freie Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar. Dahlem studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie. Ein Jahr nach seinem Studienabschluss gründete er gemeinsam mit André Butzer das „Institut für SDI-Traumforschung". Seine Präsenz in den „NEW POSITIONS", dem Förderprogramm der Art Cologne, brachte bereits früh einen internationalen Durchbruch und führte zu internationalen Museumsausstellungen.


Für die Galerie Krinzinger konzipierte er eine raumgreifende Installation. „Wahrheitsraum" (Palus Somni) ist eine Auseinandersetzung mit der Deutung von Welt über das physikalische Modell und wissenschaftliche bildgebende Verfahren sowie deren Anspruch auf Gewissheit. „Wahrheitsraum“ ist Utopie und Dystopie zugleich und ein unerreichbares Sehnsuchtsbild.“ Der Raum besteht aus Holzlatten, Neonröhren und Alltagsgegenständen, die Dahlem zu Skulpturen formt – vom Globus bis zur Koralle – eine klassische Rauminstallation wie Björn Dahlem es beschreibt. Darin jedoch sind einzelne Skulpturen eingewoben, die grundsätzlich auch für sich stehen können, jedoch innerhalb des installativen Gefüges den inhaltlichen Fokus veranschaulichen. Dahlem setzt die „Fundstücke“, sprich die Gegenstände aus der realen Dingwelt sehr symbolträchtig ein. Dabei sind die möglichen Assoziationen vielfältig. Es ist nicht nur eine Leserichtung möglich, vielmehr bietet uns der Künstler an teilzuhaben an seinen Gedankenschleifen über die Welt. Utopie und Kosmologie sind die zentralen Themen, die ihn interessieren, so Dahlem.

BJÖRN DAHLEM, Der Wahrheitsraum (Palus Somni), Ausstellungsansicht Galerie Krinzinger: Foto: PARNASS

Im Titel der Skulptur „Sonnenstaat“ bezieht er sich auf Tommaso Campanellas „Die Sonnenstadt“, eines der bekanntesten Beispiele utopischer Literatur. Wortwörtlich übersetzt bedeutet „Utopie“ so viel wie „Keinort“ (griechisch „ou-“ = nicht-; „topos“ = Ort). Aus dem Wort spricht Sehnsucht und Enttäuschung zugleich: Eine Utopie ist stets nicht nur eine unerfüllbare Wunschvorstellung, sondern auch eine Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Der Utopist sucht nach einer Form für einen Idealstaat. „Die Koralle – bereits in der Antike verehrt, verkörpert in ihrer baumartigen Struktur etwas Architektonisches aber auch ein Netzwerk. Letzters“, so Dahlem, „gilt als Vorbild für eine Staatsstruktur. Diese inhaltliche Konnotierung der Koralle zieht sich von der Antike, über die Renaissance bis hin zur Forschung Darwins“ – und bis zu Björn Dahlem der die Koralle als Symbol für den Idealstaat nun kurzerhand auf den Globus setzt.

Naturwissenschaft verbinden sich bei Dahlem mit philosophischen Überlegungen und zur Frage ihrer Darstellbarkeit mit dem Mitteln der Kunst – und auch im Wissen um die Ambiguität wissenschaftlicher Erklärungen. Die Werke kreisen um Fragen der Fragen der Kosmologie und Grundlagen der Physik. Doch je tiefer wir mit Teleskopen ins All sehen, umso mehr Fragen tauchen auf.

Die Frage ist doch auch: wie stellen wir uns überhaupt die Welt vor, in der wir leben und wie bestimmt Wissenschaft unser Weltbild – und wie wenig verstehen wir eigentlich von der Wissenschaft, obwohl wir hier mitten in einer Realität leben, die uns von der Wissenschaft vermittelt wird.

Björn Dahlem

Dies zeigten Sprüche, wie sie etwa in der Friday for Future- Bewegung auftauchen: „Unite behind the Science“. Doch was bedeutet dies eigentlich?“, fragt Dahlem. Die Arbeit ist während der Corona Zeit entstanden und kreist daher auch um die Unsicherheit und Diversität der Wissenschaften. „Wir haben uns an die scheinbare Sicherheit gewöhnt, sobald ein Experte anrückt, kann die Welt wissenschaftlich erklärt werden. Die Pandemie hat jedoch gezeigt, dass dies nicht möglich ist. Das Bedürfnis nach einer eindeutigen Wahrheit ist jedoch groß, und öffnet Tore für Verschwörungstheoretiker.“ Daher der Wahrheitsraum? „Es ist natürlich nicht ernst gemeint, aber ja, es wäre schon schön, hätte man einen Raum – und da ist sie dann die Wahrheit.“

Björn Dahlem, Foto: PARNASS

Der Raum ist jedoch auch ein Verweis auf das Unfassbare, ein vager Verweis auf das Cosmic Web, auf die größte Makrostruktur, in der seit 2000 alle verfügbaren Daten über das Universum eingespeist werden. Systeme die mathematisch nachvollziehbar, jedoch räumlich nicht fassbar sind. Daher vielleicht auch der Untertitel der Ausstellung „Palus Somni – Sumpf des Schlafs“, der sich auf eine lavabedeckte Ebene am Mond bezieht die eine Ausdehnung von 163.45 Kilometer hat. 1965 konnte von ebendort die Raumsonde Ranger 8 die ersten Bilder der Mondoberfläche liefern. Dieser Titel scheint hier jedoch vor allem Metapher zu sein, für das Paradoxon, „dass ein Zuwachs an Wissen das Unwissen eher zu vermehren als zu vermindern scheint“, so der Pressetext.  Der „Wahrheitsraum“ ist der Versuch etwas zu verstehen, das sich einer konkreten Greifbarkeit entzieht – oder können Sie sich das Ende des Universum vorstellen?

BJÖRN DAHLEM, Der Wahrheitsraum (Palus Somni), Ausstellungsansicht Galerie Krinzinger: Foto: PARNASS

Galerie Krinzinger

Seilerstätte 16, 1010 Wien
Österreich

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