Gallery Diary - Gabriele Senn Galerie | Cäcilia Brown und Imi Knoebel

Die Gabriele Senn Galerie zeigt Arbeiten von Cäcilia Brown und Imi Knoebel bis 30. April 2021.


Auf die Frage, wie es ist ihre Arbeiten in einer gemeinsamen Ausstellung mit Bildern von Imi Knoebel zu zeigen, meint Brown: „Ich hab es als spannende Herausforderung gesehen, mich mit einer künstlerischen Position zu beschäftigen, die überhaupt nicht naheliegend ist. Nicht nur gehört Imi Knoebel einer ganz anderen Generation an (Anmerkung: Knoebel ist Jahrgang 1940, Brown Jahrgang 1983), die meisten Arbeiten habe ich nie in echt gesehen, sondern kenne sie nur aus dem Katalog. Da haben sie für mich Ähnlichkeiten mit ganz formalen Positionen, die mit industriell gefertigten Oberflächen und Materialien arbeiten und sehr wenig von sich hergeben. Durch Knoebels Titelgebung bin ich eingeladen, eine Erzählung in den Arbeiten zu erkennen. Die Aluminiumprofile mit den malerischen Oberflächen bei „Der Deutsche“ bekommen durch den Titel eine ganz andere Aufladung und laden zu einer politischen Lesart der Arbeit ein. Da denke ich eine künstlerische Verbundenheit zu erkennen – wissen tu ich es nicht, weil ich ihn leider noch nicht persönlich kennen gelernt habe.“

Wer mit offenen Augen durch Wien geht, kann es nicht übersehen: Abriss und Bauboom an allen Ecken und Enden. Historische Häuserensembles wurden zerstört, markante Gebäude mit aufwändigen Stuckfassaden geschliffen und völlig intakte Altbauten durch Neubauten ersetzt. Ein Jahrhundert nach dem Ende der Gründerzeit erfasst eine Abrisswelle die Stadt. Rufe nach strengeren Gesetzen stießen bei der Politik lange Zeit auf taube Ohren. Erst 2018 trat ein effektiverer Abrissschutz in Kraft: Ob der brisanten Situation musste die Gesetzesverschärfung zum Ensembleschutz vorgezogen werden und trat nicht erst mit Jänner 2019 sondern bereits im Sommer 2018 in Kraft. Auch in der Nachbarschaft der Künstlerin wurden Gebäude wie das biedermeierische Gasthaus Sperl im 4. oder das legendäre neogotische Kaffee-Urania im 3. Bezirk abgerissen. In dieser Zeit transportierte Brown Dachbalken aus den Abrissgruben und Schüttmulden ins Studio und suchte für sie neue erzwungene Verbindungen. Den daraus entstandenen Skulpturen sind die schlechten Verknüpfungen von Investoren, Kapital, Bauspekulation und Abriss inhärent. In der Neuzusammensetzung ist die Spannung zu spüren, die aus dem sich gegenseitig abstoßen, dem Verkeiltsein und Ausbalancieren resultiert.

Imi Knoebel, Der Deutsche (12), 2010, Cäcilia Brown, obdachlos und trotzdem sexy II, 2020, Cäcilia Brown, Eingeengt durch Bäume, 2019, Courtesy by Gabriele Senn Galerie, Foto: kunst-dokumentation.com

„Mit den beiden großen Skulpturen aus der Serie „Der verklemmte Haufen“ von 2019 denke ich über Zwangsbeziehungen nach, zwischen zwei Materialien, die sich gegenseitig brauchen, um in der Form stehen zu können, die sich ineinander verkeilen. Diese Beziehung hat gleichzeitig etwas Fragiles und Brutales. Die Holzbalken sind Archivmaterial und stammen von Baustellen in Wien, von Gebäuden und Dachstühlen, die in den letzten Jahren abgerissen wurden und von einer Stadtentwicklung erzählen, von Investoren und Leerstellen, von Bestrebungen entgegenzuhalten oder davon zu profitieren. Sie setze ich in Beziehung zu Betonplatten – ich nenne sie Zitate von Betonfliesen – oder einer Marmorterrazzofliese. Diese tragen die Balken oder werden von ihnen durchbohrt. Mit ihnen beginnt wieder eine Geschichte, die von etwas Neuem erzählt, von dem, was nach den Balken kommt. Und darüber, wie sich das danach auf das davor bezieht.“

Die Anordnung der Dachbalken erinnert auch an Wellenbrecher oder Lawinenverbauten, beides Instrumente um vor Naturelementen und -katastrophen zu schützen, wie sie durch die menschgemachte Zerstörung der Umwelt und dem daraus resultierenden Klimawandel vermehrt produziert werden. Die Balken sind in einem System so ineinander gesteckt, dass sie in sich gleichzeitig labil und stabil stehen und eine neue tragende Konstruktion bilden. 3 Brown arbeitet mit widersprüchlichen Materialien, die nicht zusammen wollen, sich widersprechen oder sogar abstoßen – Beton, Gips und Wachs und betreibt künstlerische Forschung mit Materialexperimenten. Sie hat sich selbst beigebracht Zementfliesen zu gießen, experimentiert mit deren Einfärbung und zitiert hier die Marmorterrazzofliesen, die in den eingangs erwähnten alten Häusern als Bodenbelag verwendet wurden. Zuletzt hat sich Brown intensiv mit der Herstellung und Weiterverarbeitung von Ton beschäftigt. Ton ist Bestandteil von Lehm, welcher aktuell als ökologischer und nachhaltiger Baustoff ein Revival erfährt.

Cäcilia Brown, Tunnelfragment #1, 2020, Cäcilia Brown, obdachlos und trotzdem sexy II, 2020, Imi Knoebel, Der Deutsche (12), 2010, Courtesy by Gabriele Senn Galerie, Foto: kunst-dokumentation.com

„Die beiden keramischen Arbeiten, die ich auch in der Ausstellung zeige, gehören zu einer Serie, in der ich mich inhaltlich mit unsichtbarer Arbeit beschäftigt habe. Sie entstanden aus dem Konglomerat der „Gewerkschafterin“ beziehungsweise aus einem zweiten Versuch, Ton selbst herzustellen und zu brennen. Es geht um die Eigenschaft von Ton, sich Bewegung zu merken, das Brennmaterial zu zeigen und das Versprechen den Prozess sichtbar zu machen.“

Die „Tunnelfragment #1“ und „Tunnelfragment #2“ genannten Arbeiten verweisen im Titel auf die U-Bahnbaustelle am Matzleinsdorfer Platz, von wo der Ton entnommen wurde. Zu Zeiten der Monarchie haben in dieser Gegend Arbeiter aus Böhmen und Mähren für die Wiener Ziegelwerke unter miserablen Bedingungen Lehm gestochen. Aus den daraus gebrannten Ziegeln wurde in der Folge halb Wien gebaut.

Imi Knoebel, Russisch Brot I, 1999, Courtesy by Gabriele Senn Galerie, Foto: kunst-dokumentation.com

Gabriele Senn Galerie

Schleifmühlgasse 1a, 1040 Wien
Österreich

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