Gallery Diary

Galerie Krobath | Jenni Tischer

Die Ausstellung HARD FACTS (I SEE / YOU MEAN) setzt Darstellungen reproduktiver Arbeit und ihrer Infrastrukturen zueinander ins Verhältnis. Architekturentwürfe und Analysen der Architektin Alice Constance Austin (1862–1955), der Krankenpflegerin und Statistikerin Florence Nightingale (1820–1910) und der Künstlerin Friedl Dicker-Brandeis (1898–1944) bilden die zentralen Referenzen der raumgreifenden Installation. Jenni Tischer folgt den Abstraktionen ihrer Vorbilder formal und inhaltlich. Sie untersucht deren visuelle Formen als Erkenntnisinstrumente und Werkzeuge der Transformation sozialer Beziehungen in unterschiedlichen Varianten von Mimikry, Wiederholung, Re-Formatierung und Re-Materialisierung.


Dem Motiv des Rasters kommt in dieser Hinsicht ein zentraler und ambivalenter Status zu. Es liegt der Ausstellung einerseits als modulares Prinzip (Tischer verwendet standardisierte, multiplizierbare Formate) und entgrenzter modernistischer Grund zugrunde, in den ungegenständliche Figuren und Markierungen eintragen werden. Andererseits kippt es aus dieser Eigenschaft mehrfach in eine materielle Spezifik. So liegt es als gitterförmiger Teppich aus Kaktusleder am Boden, hängt als Rest eines Gewebes aus dünnen Streifen lose von einem gläsernen Objekt, das es gleichzeitig durchzieht, oder ist Grundlage eines optischen Effekts, der auf der Verschiebung gitterförmig an ihren Kanten besprühter DIN-A4-Blätter beruht, wodurch das Raster unlesbar, der Papierstapel hingegen als orange-grauer Quader wahrgenommen wird.

Dem Raster stehen in den vier großformatigen Bildern zugleich weitere visuelle Logiken gegenüber: In Diagrammatic Image (a) Llano del Rio überschneidet eine vom Zentrum der Leinwand ausgehende radiale Struktur ein schwarzes Gitternetz auf grauem Grund. Die an den Kreuzungspunkten entstehenden Dreiecke, Trapeze und Rechtecke bilden eine symmetrische Formation aus Sternen, Hexagonen und (über den Rand der Leinwand hinausführenden) Bahnen, die sich im nächsten Bild fortsetzen. Tischer zitiert hier Austins vogelperspektivisch angelegten Entwurf einer Garden City für das nie fertiggestellte sozialistische Projekt Llano del Rio (Antelope Valley, Kalifornien, 1911–1914), der auf eine von Geschlechtszuschreibungen unabhängige, grundsätzliche Neuverteilung reproduktiver Arbeiten im Kollektiv und damit auf eine Umarbeitung familialer Beziehungsmodelle abzielte. Dass Austins feministische Städtebaupolitik nicht zuletzt die ökonomische Notwendigkeit sozialer Reproduktion buchstäblich, nämlich räumlich ins gesellschaftliche Zentrum rückte, unterstreicht Tischer auf humorvolle Weise, indem sie einen Friedl Dicker-Brandeis Entwürfen entnommenen Herd in den Mittelpunkt der radialen Struktur setzt.

Die über die Grenzen der Leinwand hinausreichende, regelmäßige Wiederholung des Herdmotivs mittels Farbspray und Schablone bei Diagrammatic Image (c) The power of the Center is the Function of the Frame aktualisiert den aufgerufenen historischen Zusammenhang in einem doppelten Sinn. Die Repetition imitiert die „thankless and unending drudgery“ (Austin) reproduktiver Arbeit und reflektiert darüber hinaus die Fortsetzung ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung, ihre ungebrochene Geschlechtsbezogenheit und Rassifizierung, wie auch ihre spätkapitalistische Auslagerung in prekäre Arbeitsverhältnisse.

Installation view: Krobath Wien 2023. Foto: Rudolf Strobl

Der Radialstadt Austins antwortet in Diagrammatic Image (d) Rose Diagram die Form eines von Florence Nightingale entworfenen coxcomb oder rose diagrams, eines frühen Versuchs der Visualisierung komplexer Datenlagen, der 1858 im Rahmen eines Reports veröffentlicht wurde. Dieser diagrammatischen Figur liegen, wie ein ebenso der Publikation entnommener, auf die Leinwand übertragener Erklärungstext zeigt, unterschiedliche Faktoren der von Nightingale empirisch untersuchten Mortalität britischer Soldat:innen während des Krimkriegs zugrunde.

Durch die formale Gleichsetzung von Austin und Nightingales Figuren in und auf einem Raster führt Tischer zwei konzeptuell unterschiedliche Modi der Visualisierung auf eine Weise eng, die ihre jeweilige Spezifik in den Hintergrund treten und sie abstrakter werden lässt, als sie es ihrer ursprünglichen Intention nach wären: Auf der einen Seite das auf perspektivischer Konstruktion basierende Modell einer räumlichen Struktur, die die Fiktion einer zukünftigen Stadt/Raumordnung ermöglicht und so die Herstellung neuer gesellschaftlicher Beziehungen vorstellbar macht – auf der anderen Seite ein auf Quantifizierungen beruhendes Diagramm, das über das Mittel der Abstraktion ansonsten unsichtbar bleibende Relationen qualitativ verschiedener Faktoren (Verwundungen, Krankheiten, Jahreszeit und Hygienemaßnahmen) unmittelbar denk- und verstehbar werden lässt.

Tischers Arbeiten markieren an anderer Stelle wiederum die Historizität der von ihnen aufgeführten Figuren – etwa durch Beibehaltung der ursprünglichen Typografie des eingefügten Erklärungstexts in Diagrammatic Image (d) Rose Diagram. Die zwischen Dekontextualisierung und Anachronismus oszillierenden Figuren erlauben, den Abstand von Nightingales Verfahren zu gegenwärtigen Strategien der Datenvisualisierung zu ermessen, aber auch nach Machtdynamiken in diagrammatischen Darstellungen zu fragen, etwa in Bezug auf Ein- und Ausschlüsse von Faktoren und Perspektiven. Auf diese Weise berühren sie schließlich auch Fragen nach der disziplinären und perspektivischen Vielfalt, auf die Auseinandersetzungen mit reproduktiver Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen angewiesen sind, um die Diskrepanz zwischen ihrer gesellschaftlichen Relevanz und ihrer vielfältigen Ab- und Entwertungen adäquat beschreiben zu können. (Stefanie Kitzberger)

Installation view: Krobath Wien 2023. Foto: Rudolf Strobl

Galerie Krobath

Eschenbachgasse 9, 1010 Wien
Österreich

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