Clarissa Mayer-Heinisch

Flying High: Künstlerinnen der Art Brut

 Julia Krause-Harder, Nanotyrannus, 2013, verschiedene Materialien | Courtesy Atelier Goldstein, Foto: © Uwe Dettmar

„Nur was wahrgenommen werden kann, existiert auch“, so das Credo von Ingried Brugger, Direktorin des Bank Austria Kunstforums Wien und Kuratorin der Ausstellung „Flying High“, die sich den weiblichen Positionen der Art Brut von 1860 bis heute widmet. Mehr als 300 Arbeiten gehen inhaltlich und ästhetisch an die Grenzen unserer Vorstellungskraft.


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Sie stammen von den Außenseiterinnen der Gesellschaft, von Frauen in psychiatrischen Anstalten, von mediumistischen, also vom Geist geführten Künstlerinnen und von Menschen mit Behinderung. „Ihre Arbeiten sind authentisch, wunderbar, ganz große Kunst“, schwärmt Brugger.

Sie hat sich in der Vorbereitung zur Ausstellung intensiv mit dem wegweisenden Buch des legendären Kunsthistorikers und Psychiaters Hans Prinzhorn, „Die Bildnerei der Geisteskranken“, sowie den Schicksalen und Fallgeschichten der Frauen auseinandergesetzt und auf diese Weise auch den Titel der Schau erfunden, denn „dank der Malerei erleben die Patientinnen mitunter seelische Höhenflüge“.

Aloïse Corbaz ist einer der großen Namen in der Art-Brut-Szene. Die 1886 in Lausanne geborene gelernte Schneiderin sah 1911 in der Schlosskapelle von Sans-Souci durch einen Zufall aus der Ferne den deutschen Kaiser Wilhelm II. und entwickelte in ihren Wahnvorstellungen eine obsessive Leidenschaft für ihn, die sich in einer 60 Meter langen Liebesgeschichte abbildet. Ihre Kunst wird von Jean Dubuffet, dem Doyen der französischen Nachkriegskunst, entdeckt, der sie fortan fördert, ihre Werke ausstellt und sammelt. Er ist es auch, der den Begriff „Art Brut“ begründet.

Nur was wahrgenommen werden kann, existiert auch

Ingried Brugger, Direktorin

Andere, wie Marie Lieb, die aus zerrissenem Bettzeug Muster und Schriftkonfigurationen auf dem Boden ihres Zimmers auflegte, Hedwig Wilms, die Figuren und Alltagsobjekte aus aufgetrennter Wäsche häkelte, oder die Engländerin Madge Gill, die unter dem Einfluss des Geistes feine Zeichnungen von Frauen mit eleganten Gesichtern und kunstvollen Frisuren anfertigte, gelten als wichtige Protagonistinnen der Art Brut.

Julia Krause-Harder Nanotyrannus 2013, verschiedene Materialien Courtesy Atelier Goldstein Foto © Uwe Dettmar

Julia Krause-Harder Nanotyrannus 2013, verschiedene Materialien Courtesy Atelier Goldstein Foto © Uwe Dettmar

Ganz besonders eindrucksvoll sind auch die Arbeiten der Amerikanerin Judith Scott, die bis zu ihrem Tod im Jahr 2005 über 160 textile Objekte schuf, in denen es meist um das Verpacken und Verstecken von Körperteilen geht. Das Gleiche gilt für die riesengroßen Dinosaurier von der im freien Atelier Goldstein in Frankfurt am Main arbeitenden Julia Krause-Harder. Die Autistin baut ihre anatomisch exakt nachempfundenen Objekte ausschließlich aus Abfällen. Verstörend auch die Zeichnungen von Laila Bachtiar, die im Atelier Gugging arbeitet.

Ihre Arbeiten sind authentisch, wunderbar, ganz große Kunst.

 

 

Ingried Brugger, Direktorin

Mit „Flying High“ nimmt Ingried Brugger die Fäden von „Kunst und Wahn“, der vor knapp 20 Jahren stattfindenden Ausstellung im Kunstforum Wien, unter erweiterten und aktualisierten Gesichtspunkten auf und zeigt diese anhand von 93 internationalen Positionen. „Wer sich mit Empathie auf diese Kunst einlässt, kann hier Höhenflüge erleben“, verspricht sie.

Misleidys Castillo Pedroso Ohne Titel, um 2016 Gouache auf Papier Collection Amr Shaker, Genève Courtesy Galerie Christian Berst © Misleidys Castillo Pedroso

Misleidys Castillo Pedroso Ohne Titel, um 2016 Gouache auf Papier Collection Amr Shaker, Genève Courtesy Galerie Christian Berst © Misleidys Castillo Pedroso

Bank Austria Kunstforum

Freyung 8, 1010 Wien
Österreich

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