Fotofestival La Gacilly-Baden Photo

Festival-Direktor Lois Lammerhuber im Gespräch

Begeistert für Fotografie und am Zenit einer erfolgreichen Karriere als Fotograf, Ausstellungskurator und Verleger, hat der vielfach ausgezeichnete Künstler Lois Lammerhuber eines der wichtigsten französischen Fotofestivals nach Österreich geholt. Diesen Sommer geht Europas größtes Freiluft-Fotofestival La Gacilly-Baden Photo in die fünfte Saison. Im Gespräch mit PARNASS spricht Lammerhuber über Idee, Ausrichtung und Erfolg des Festivals sowie über die Macht der Bilder.


LAMMERHUBER: Seit der Erfindung des Smartphones haben wir es mit einer nicht deklarierten Kulturrevolution zu tun. Unsere Kultur basiert auf dem Wort. „Am Anfang war das Wort“, heißt es im Johannes-Evangelium, „und das Wort war bei Gott.“ Ich füge hinzu: Und das Wort war bei der Macht. Das ist heute nicht mehr sakrosankt. Neben dem Primat des Wortes hat sich als zweite Säule das Bild etabliert. Es waren Bilder, die den Vietnamkrieg entscheidend beeinflusst haben. Die Überlegenheit der Fotografie gegenüber allen anderen Medien ist revolutionär und dramatisch.

PARNASS: Bilder bewirken also nonverbale Kommunikation und nonverbales Lernen?

L: Sehr oft lernen wir nur entlang gesicherten Wissens und werden nicht damit konfrontiert, Neues zu sehen und zuzuordnen zu lernen. Aber genau das passiert in Baden: dass wir Menschen dazu einladen, durch bewusstes Sehen neue Erfahrungen zu machen. Spitzenfotografen können einen Sachverhalt so ins Bild setzen, dass sie zunächst ästhetisch verführen, egal wie hart oder brutal der Inhalt ist. Das ermöglicht den Menschen, diese Inhalte anzunehmen. Und sobald die erste Barriere niedergerissen ist, sind sie auch bereit, die inhaltliche und die Textebene wahrzunehmen. Daraus entsteht Reflexion, schließlich Erinnerung und Wissen, das man mit nach Hause nimmt. Aber es braucht wirklich Spitzenfotografie, denn die Inhalte sind nicht immer „schluckfreudig“.

P: Die vielleicht zunächst absichtslose Konfrontation mit den Bildern bei einem Spaziergang durch den Park oder in der Stadt erleichtert sicher den Zugang.

Tine Poppe, Credit by the artist

L: Die Barrierefreiheit ist wesentlich, das niederschwellige Angebot, aber eben auch der offene Raum, in dem jeder die Distanz zu den Bildern selbst bestimmen kann. Offensichtlich trägt die verdammt großzügige Raumhöhe unter freiem Himmel dazu bei, die Bilder verkraftbar zu machen, die in dieser überbordende Menge in einem Museum oder einer Galerie niemand vertragen würde. An der Südmauer des Doblhoffparks hängen üblicherweise die heftigeren Themen. Als wir dort Bilder von Tschernobyl präsentierten, herrschte an manchen Nachmittagen trotz hoher Besucherdichte eine geradezu atemlose Stille. Das sind für mich Glücksmomente: zu sehen, wie sehr die Menschen bereit sind, sich auf so etwas einzulassen.

P: Die Themensetzungen basieren ja jeweils auf zwei Narrativen.

L: Das eine ist der jährlich wechselnde geografische Schwerpunkt, auf dem die Conditio humana verhandelt wird. Jacques Rocher hat als Bürgermeister von La Gacilly vor 18 Jahren das Festival ins Leben gerufen, um seinen Mitbürgern die Welt nahezubringen, weil die wenigsten Menschen aus diesem bretonischen Dorf weit herumkommen. Der zweite Erzählstrang ist die Umwelt im weitesten Sinn.

P: Ein immer aktueller werdendes Thema.

L: Das war vor 18 Jahren noch lange nicht so sehr im Zentrum der Gesellschaft angekommen wie jetzt. Heute  hat es einen hohen Legitimationsgrad. Um diese Legitimation zu unterstreichen, muss man Jacques Rochers fast zeitgleich entstandene Initiative würdigen, eine Million Bäume zu pflanzen; inzwischen sind es sogar schon mehr. So etwas unterstreicht das Standing des Festivals und hilft sehr in der Kommunikation.

SANNA KANNISTO | Orangerie Baden | © La Gacilly-Baden Photo 2022 / by the artist

P: Nach eher konfliktreichen Regionen wie Osteuropa oder Lateinamerika liegt heuer der Fokus auf Skandinavien.

L: Wir schauen „Nordwärts!“ und haben uns diesmal für eine ruhigere Region entschieden, eine Vorzeigeregion mit hohem Wohlstand, hohem Bildungsgrad, hohen sozialen Standards, wo es auch mehr positive Erzählstränge gibt. Nächstes Jahr wird es nach Zentralasien gehen: Iran, Afghanistan – dort, wo man derzeit eher nicht hingeht. Wir werden zeigen, dass es dort nicht nur Terroristen gibt, sondern auch Mütter, die ihre Kinder lieben. Wir wollen die Dinge ein bisschen gegen den Strich bürsten, und ich erwarte mir für nächstes Jahr auch wieder mehr Konflikte und Diskussionen. So wie es 2018 mit dem Thema Afrika einigen Widerstand von etablierten Bürgern dieser Stadt gegeben hat. Die Stadtgemeinde Baden hat damals sofort eine Umfrage über die Akzeptanz gestartet, die 82 Prozent Zustimmung ergeben hat – ein völlig unerwarteter Wert. Es hat mich selbst gewundert, dass das Festival auf Anhieb so erfolgreich war. Ich lebe seit 1985 in Baden und finde es schön, etwas verantworten zu dürfen, das der Stadt einen Mehrwert bringt. Mich freut, dass aus dem Festival heraus so viel guter Wille und positive Meinung entsteht, so viel Zuspruch, der weit über mein Netzwerk hinausgeht.

Tourist Information Baden

Brusattiplatz 3, 2500 Baden
Österreich

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