40 Jahre PARNASS

AUS DEM ARCHIV: Museumsquartier Wien – ein Kulturkonzept für das 21. Jahrhundert?

Im April 1998 begann der Umbau der kaiserlichen Hofstallungen (1922 zum Messepalast umfunktioniert) zum Museumsquartier. In PARNASS 1/1998 blickte Dieter Bogner kritisch und überschwänglich optimistisch dem Bauvorhaben entgegen. Was ist aus den Visionen von damals geworden und wie wird das MQ zukunftsfit weiterentwickelt?


Das MQ ist gilt heute europaweit als Vorzeigeprojekt für eine Museumscampus und erfreut sich mit seinen Lokalen, aber auch den Möglichkeiten des konsumfreien Besuchs des Campus und mit seinen vielfältigen Programmen großer Beliebtheit. Mit der Libelle wurde eine bereits damals angedachte Erweiterung im letzten Jahr eröffnet. Doch bereits vor über 20 Jahren galt die die Architektur der Museen, die sich nur mittels Treppen, nahezu tempelartig erreichen lassen und die nicht als offene Baukörper zum Campus hin konzipiert wurden, nicht mehr als State of die Art und das wird vielfach bis heute kritisiert. Die Erdgeschosszonen öffnen sich nicht in das MQ, das mumok umgibt ein großer "Burggraben", dessen Notwendigkeit sich nicht erschließt. Die Lifte für die weniger gehfesten Besucher*innen sind klein, versteckt und ihr Auffinden gleicht einem Suchrätsel – ein no go für einen inklusiven Ansatz.

Wie wurde das MQ 1998 damals diskutiert? Lesen Sie hinein in den Artikel von Dieter Bogner


Aus dem Archiv PARNASS 1/1998

Mit der Erteilung der notwendigen behördlichen Genehmigungen tritt nach fast zehnjähriger Diskussion das Projekt Museumsquartier in Wien in die Realisierungsphase ein. Im heiß geführten, kulturell jedoch wenig ergiebigen Kampf um die urbanistische Prägnanz dieses (immer noch) größten Kulturprojekts Wiens und Österreichs blieben die inhaltliche Konzeption und deren Stellenwert an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert weitgehend unbeachtet. Dies gilt für die Diskussionsbeiträge der meisten Befürworter und fast ohne Einschränkung für jene der Gegner. Vielleicht war dies gut so, denn in der mehr personen- als sachorientierten Diskussions(un)kultur Österreichs entgaltet sich Qualität zumeist dort am besten, wo öffentliche Diskussion ausgeblendet bleibt.

(c) Arge Architekten Ortner & Ortner und M. Wehdorn

Der Grundstein des inhaltlichen Konzepts für das Museumsquartier wurde 1989 in der Vorbereitung der zweiten Phase des Architektenwettbewerbes gelegt. In den folgenden Jahren produktiv weitergedacht, fielen manche Inhalte dem Druck kulturpolitischer Entwicklungen zum Opfer, neue konnten integriert werden. Allen unseligen (und unkultivierten) Turbulenzen, denen Stück für Stück die urbanistische Prägnanz des spannenden Siegerprojekts von Ortner & Ortner zum Opfer fiel, zum Trotz behielten jedoch die in den ersten Jahren festgelegten konzeptionellen Leitlinien ihre Gültigkeit.

Auf ihrer Basis begann sich – zunächst von der Öffentlichkeit kaum beachtet – an der urbanistischen Gelenkstelle zwischen Innenstadt und Vorstadt das neue „Kulturquartier“ (im Sinne des französischen „quartier“) in einem 1:1-Modellversuch zu entfalten. Erst als durch die Fülle der Aktivitäten eine kritische Schwelle überschritten war, geriet das neue Kulturareal in den Blickwinkel der kulturinteressierten Szene und fand trotz oder vielleicht gerade wegen seinen provisorischen Charakters rasch Anklang.

(c) Alexander Eugen Koller

Eine breite und vielschichtige Palette an Ausstellungen, Tanzereignissen, Theater- und Opernaufführungen, Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, Künstleraktionen und -produktionen, Ausbildungsprogrammen und Festen prägt das Geschehen im museumsquartier in einer Dichte wie an keinem anderen Ort in Wien. Die „Wiener Festwochen“ produzieren Musik- und Theaterveranstaltungen, die „Kunsthalle Wien“ hat nicht nur ihre Büros in das Areal verlegt, sondern bespielt auch eine Altbauhalle mit Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, das „Architektur Zentrum Wien“ heizt die Architekturdiskussion mit Ausstellungen, Vorträgen und Diskussionen an, Veranstaltungen zu Kunsttheorie und Kunstvermittlung in Verbindung mit Projekt- und Leseräumen bietet das „Depot“ und die „basis wien das institut für kulturwissenschaft“ bildet in postgradualen Aus- und Weiterbildungsprogrammen den Nachwuchs für den Ausstellungs- und Museumsbetrieb aus, die „Springer“-Redaktion produziert ihre Hefte für Gegenwartskunst, im direkt daneben angesiedelten „Kindermuseum ZOOM“ wachsen – als sichtbares Zeichen für seinen Erfolgt – die Warteschlangen vor der Tür, das „Depot-Café“ hat sich in kürzester Zeit zum Kommunikationsort für Kuratoren und Künstler entwickelt, Info-Medien-Freaks treffen sich in der „public-net-base“, und das unsichtbare Depot des „Leopold-Museums“ strahlt den Reiz des Geheimnisvollen aus. „T-Junction“ sowie das „Wiener Kindertheater“ sorgen für die Tanzkomponente im Museumsquartier, und die „Lomographische Gesellschaft“ entfaltet von dort aus ihre Aktivitäten.

Das „Tabakmuseum“, das jahrelang von Absiedlungsankündigungen geplagt war, hält unangefochten seine Position, und die Kunstsektion des Bundeskanzleramtes betreibt im anschließenden Trakt Künstlerateliers. Der „Verband österreichischer Galerien“, der „Internationale Kunstkritikerverband (AICA)2 und der „Verein der Museumsfreunde in Wien“ bilden den Kern einer künftigen Bürogemeinschaft Kultur. Als Reste früherer Besiedlung finden sich als Einsprengsel im zeitgenössischen Kulturbetrieb historische Mieter wie die „Gesellschaft für Vogelkunde“, das „Institut für Umweltwissenschaft“ und der „Österreichische Naturschutzbund“. Nicht zu übersehen ist für den aufmerksamen Besucher, das im Barocken Fischer-Trakt fast fünfzig private Mieter leben, einige von ihnen in dritter und vierter Generation. In diesem bunten Kulturkaleidoskop fehlt nur das „Museum modernen Künste“, dem als Ort für internationale zeitgenössische Sammlungs- und Ausstellungsaktivitäten im Konzept für das Museumsquartier eine zentrale Rolle zugewiesen wird. Als einigem der künftigen kulturellen Nutzer ist es ihm bis heute nicht gelungen, in der kreativen Atmosphäre des neuen Kulturbezirks Fuß zu fassen.

(c) Alexander Eugen Koller

Projektkritiker aus der Kunst- und Architekturszene, die gerne die Unverzichtbarkeit und Bedeutung dieser lebendigen Kunst- und Kulturszene betonen, behaupten, dass dies ein typisch österreichisches Zufallsprodukt sei, dem es an jeglicher Konzeption mangle. Sie übersehen die Tatsache, dass es sich um das Ergebnis eines zielorientierten Planungsprozesses handelt, der auf einer innovativen und zukunftsorientierten Besiedlungsphilosophie basiert. Diese baut auf der Überzeugung einer produktiven Wechselbeziehung einer weitestgehend unverbundenen Kombination weniger großer sowie einer Vielzahl mittlerer und kleiner typologisch unterschiedlicher Kultureinrichtungen auf. jede dieser Aktivzellen ist als autonomer Mosaikstein in einem auf Flexibilität und permanente Veränderung angelegten Gesamtzusammenhang aufzufassen. Ein solches vielteiliges, synergetisch wirkendes kulturelles Aktionsfeld kann auf gesellschaftliche Entwicklungen rascher und differenzierter reagieren als monothematische, hierarchisch organisierte Museumszentren wie die vielgerühmten Neubauten des vorigen Jahres, das Guggenheim-Museum in Bilbao oder das neue Getty-Museum in Los Angeles. Während diese beiden bauten kaum in der Lage sind, den Aufbruch in das nächste Jahrhundert zu symbolisieren, sondern viel eher als Repräsentanten eines neues „Fin des siècle“ gelten, steckt im Museumsquartier das Potential für ein vorbildhaftes, über die Jahrhundertwende hinaus bedeutsames Kulturprojekt.

Unverbundenes nebeneinander sowe inhaltlich und typologisch unterschiedlichste Aktivitäten gelten im Konzeot für das Museumsquartier als zentrale Qualität, Unüberschaubarkeit, scheinbares oder tatsächliches Chaos als positive Werte. Schon in der Ausschreibung für das Museumsquartier wünscht der Auftraggeben „keine homogene und festgeschriebene Gesamtlösung zu erhalten, sondern den dynamischen Prozess der Besiedlung möglichst offen zu halten“. Diese Forderung entsprocht der heutigen Situation. Noch immer gibt es stille Winkel und ganze Trakte, die verfügbar sind und für neue überraschende Entwicklungen zur Verfügung stehen. Rem Kolhaas’Konzept der „generic citys“ ist das Museumsquartier verwandter als der Machtdemonstration der Getty Foundation auf den Hügeln über Hollywood oder den Global Players des Guggenheim-Konzerns.

Die Idee des Museumsquartiers steht in eklatantem Widerspruch zum österreichischen Hang zu zentralistischer, hierarchisch strukturierter Kulturadministration. Von dieser Seite droht ständig die Gefahr der Verwässerung. Versuche, das Museumsquartier „in den Griff“ zu bekommen, sind zu erwarten, wenn nicht schon im Gange. Ihnen muss von Seiten der Kulturschaffenden und Kulturinteressierten entgegengetreten werden. Dies gilt beispielsweise für Ansprühe staatlicher Administrationen, Büroraum im Museumsquartier zu erhalten. Nichts könnte dem Gedanken eines offenen und flexiblen Kulturzentrums hinderlicher sein als solche Überlegungen.

Als Leitlinie für die Vergabe von Räumen haben die 1996 vom Ministerrat gutgeheißenen Grundprinzipien des Besiedlungskonzepts zu dienen:

  • permanente Veränderung statt Bestandsfestschreibung;
  • Gegenwartsorientierung und experimentelles Erschlie0en der Zukunft statt Ablagerung sekundärer Bestände benachbarter Bundesmuseen, Sammlungen historischer Gipse oder bürokratische Einrichtungen;
  • kulturelle Vielfalt und Komplexität statt monothematischer Repräsentation;
  • Konföderation großer, mittlerer und vieler kleiner autonomer Institutionen und Initiativen statt hierarchisch-bürokratischer Gesamtorganisation;
  • Kunstvermittlung für alle Altersstufen und unterschiedlichste Interessen statt Unterwerfung unter die „Gesetze“ der Tourismusindustrie;
  • schonende Nutzung der Altbauteile statt hochtechnisierter Eingriffe in die historische Substanz;
  • freies Spiel von Ähnlichkeiten und Kontrasten, Verbindendem und Trennendem statt staatlich organisierte Eintönigkeit.

Modellfoto

Leitlinien vertrauen auf die produktive Kraft, die aus der Wechselwirkung unterschiedlicher kultureller Institutionen, Initiativen und Personen resultiert, egal ob sie miteinander oder gegeneinander arbeiten, ob sie einander ignorieren oder fördern.

Die primär architektur- und kommerzbestimmten Entwicklungen des Museumsbooms der Achtziger stehen nicht hinter dem Konzept für das Museumsquartier. Beziehungen verlaufen vielmehr zur kulturellen Aufbruchsbewegung der siebziger Jahre. So besteht ein Zusammenhang mit der Konzeption des Centre Georges Pompidou, das eine verdichtete Präsenz unterschiedlichster Kulturphänomene und kultureller Aktionsfelder mit hohem Vermittlunganspruch und weitgefasstem Publikumsspektrum praktiziert. Die starre, derzeit weiter verschärfte Hierarchie dieser in einem monolithischen Gebäude untergebrachten staatlichen Organisation erfährt im Museumsquartier jedoch eine „Dekonstruktion“. Aufsplittung, Autonomie der Einzelelemente, Undurchschaubarkeit und erschwerte Einflussmöglichkeit auf das Ganze sind die Charakteristika, die aus den neunziger Jahren in das nächste Jahrhundert verweisen. Dem „Intervall“ zwischen den Elementen kommt als kreativer Unbestimmtheitsfaktor eine zentrale konzeptionelle Rolle zu. Ein architektonisches Werk, das strukturelle Ähnlichkeiten mit diesem inhaltlichen Konzept aufweist, wurde gleichzeitig mit dem Museumsquartier geplant 8um 1990): der Museumspavillon von Coop Himmelb(l)au im holländischen Groningen.

Mit seinen am Beginn der neunziger Jahre entwickelten Leitlinien, die Individualismus, Autonomie und Veränderung fördern, steht das Konzept für das Museumsquartier am Beginn einer Entwicklung, die sich heute in der Verselbstständigung der Bundesmuseen und in der Diskussion über eine Neugestaltung der staatlichen Kulturverwaltung und Kulturförderung manifestiert. Ziel der kulturpolitischen Verpflichtung der öffentlichen Hand muss sein, bestmögliche rechtliche, strukturelle und finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen, mit dem im anglo-amerikanischen Denken dominanten „Armlängenprinzip“, das heißt das Zurückdrängen direkter staatlich-politischer Einflussnahme auf das konkrete kulturelle Geschehen in eine den österreichischen Voraussetzungen adäquate Form zu gießen.
Manche der das Museumsquartier belebenden Nutzer werden im Laufe der Jahre – bedingt durch steigenden Platzbedarf, Beendigungen von Projekten, Verlagerung des Interesses oder Auflösung – wieder abwandern und durch neue ersetz. Die sich daraus ergebenden konzeptionellen Änderungen der Gesamtstruktur sind ein positives Merkmal des angestrebten Nutzungsmixes.

    (c) Hertha Hurnaus

     

    Dieses Veränderungspotenzial bedingt jedoch die Einrichtung einer professionellen und unabhängigen Entscheidungsinstanz, die die intendierte kulturelle Struktur des Ganzen und deren Positionierung im sich wandelnden kulturellen Umfeld im Auge hat und im Rahmen dieses Auftrags eine Reihe wichtiger Funktionen erfüllen muss:

    • die strategische Nachbesetzung freiwerdender Räume, mit dem Zeil, einen lebendigen Kulturmix zu sichern;
    • die kulturelle Nutzung und Bespielung des größten Veranstaltungsraumes des Areals, des Außenraums, das heißt der großen und kleinen Höfe, versteckten Winkel sowie des Vorplatzes des Barockbaus; dies in Abstimmung mit den Nutzern bzw. deren Aktivitäten koordinierend;
    • die Installation und kontinuierliche Betreuung eines Besucherleit- und -informationssystems, das in Zusammenarbeit mit den großen Bundesmuseen vom Michaelerplatz bis zum Spittelberg reichen muss;
    • die lokale, nationale und internationale Vermarktung des Gesamtgeschehens im Museumsquartier.

    Für die Bespielung des Museumsquartiers bedarf es einer extrem flachen Entscheidungsstruktur, die dafür sorgt, dass Vielfalt und Individualität langfristig gewährleistet bleiben. Ein kleiner unabhängiger internationaler Board of directors und eine effiziente, kulturspezifisch besetze Abteilung in der Errichtungs- und Vertriebsgesellschaft sollten – mit klarer Entscheidungskompetenz ausgestattet – die Entwicklung mittel- und langfristiger Strategien und deren kompromisslose Umsetzung garantieren. Spätestens mit Baubeginn wäre es Zeit, die dafür notwendigen kulturpolitischen Entscheidungen zu treffen, das heißt sofort!

    PS: Obrige Darstellungen mögen zu schön klingen, um wahr zu sein; sie sind jedoch Ausdruck eines ungebrochenen Optimismus

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