Albertina Museum Wien

Edvard Munch und die zeitgenössische Kunst

„SKRIK“ – „DER SCHREI“ – ist als populärstes Motiv von Edvard Munch zur Ikone der Schrecken des 20. Jahrhunderts geworden. Dass der norwegische Maler viel mehr als dieses eine Bild zu bieten hat und bis heute die Kunstgeschichte prägt, zeigt die Wiener Albertina, indem sie Munch in Dialog mit sieben Positionen der zeitgenössischen Kunst setzt.


Das kuratorische Team unter der Leitung von Antonia Hoerschelmann und dem auf Munch spezialisierten freien Kunsthistoriker und Kurator Dieter Buchhart stellt die bis heute faszinierende Modernität des Norwegers sowie seinen Einfluss auf die Nachwelt zur Diskussion. Wobei die Beschränkung auf sieben Namen äußerst schwer fiel, denn von Maria Lassnig bis zu Eva Petrič, von der Konzeptkunst bis zum Comic sei eine Fülle weiterer Beispiele für Munchs Resonanz in der modernen und zeitgenössischen Kunst zur Verfügung gestanden.

Alle sieben, die wir ausgewählt haben, schufen ein großartiges, eigenständiges Werk, ohne Munch zu imitieren.

Antonia Hoerschelmann

Da ist zum Beispiel die Schweizer Künstlerin Miriam Cahn, die Munch als einen jener Künstler nennt, die ihr Anhaltspunkte für die Entwicklung von etwas Neuem offeriert haben. Ihre Bilder, Installationen und Performances beschäftigen sich oft mit Emotionen, Lust, Gewalt und der Verletztlichkeit des menschlichen Körpers, haben aber auch politische Aktualität, wenn sie sich etwa mit den Jugoslawienkriegen oder der aktuellen Flüchtlingskrise auseinandersetzen. Die in Südafrika geborene niederländische Malerin Marlene Dumas betont ganz offen, dass Munch ein wichtiger Einflussfaktor für sie ist. Sie gestaltet ihre Gemälde, Zeichnungen und Grafiken meist nach fotografischen Vorlagen. Den politischen Impact ihrer Kunst repräsentiert unter anderem ihr Werk „Evil is banal“ nach Hannah Arendt. Jüngste im Bunde ist die Britin Tracey Emin, die für ihre autobiografisch konnotierte Kunst bekannt ist. Sie hat Schiele und Munch als ihre Haupt-Vorbilder festgelegt und fühlt sich Munch in den Lebenstragödien und Traumata auf einer biografischen, emotionalen Ebene verbunden. Der Schotte Peter Doig ist einer der wichtigsten figurativen – und jedenfalls bestbezahlten – Gegenwartskünstler. Sein 1998 entstandenes Werk „Echo Lake“, eine dunkle Nachtszene, wurde im Gedenken an Munch gemalt, wobei er das Vorbild auf intuitiver Ebene erfasst. Die Leihgabe aus der Londoner Tate Gallery nach Wien zu bekommen, war übrigens äußerst schwierig und erst durch direkte Intervention des Künstlers möglich.

Tracey Emin, This Was The Beginning, 2020, Acryl auf Leinwand © Tracey Emin, All rights reserved / Bildrecht, Wien 2021

Munch ist für Baselitz so etwas wie das Alter Ego, der Mann im Spiegel.

Dieter Buchhart

Auch Georg Baselitz, einer der großen deutschen Malerstars, bekennt sich zum Einfluss durch Munch, er setzt sich mit denselben malerischen Fragen auseinander, die auch den Norweger beschäftig haben. Dieter Buchhart: „Munch ist für ihn so etwas wie das Alter Ego, der Mann im Spiegel.“ Dasselbe gilt auch für den US-Amerikaner Jasper Johns, dessen Werk irgendwo zwischen Abstraktem Expressionismus und Pop-Art einzuordnen ist. Er selbst nennt eine Postkarte als Anstoß für seine Munch-Rezeption, die ihn um 1980 auf der Suche nach einer neuen Audrucksmöglichkeit inspiriert hat. Auf seine kunst- und konsumkritische Weise beschäftigte sich Andy Warhol mit Kompositionen wie „Der Schrei“, „Madonna“ oder „Selbstporträt mit Knochenarm“. Seine Munch-Serie ist nicht nur in der Nachfolge der Mona-Lisa-Serie zu verstehen, mit der Warhol sich über den Medienhype um das Original lustig machte, sondern referenziert in den Farbvarianten der Reproduktionen auch auf Munchs eigene druckgrafische Experimente.

Andy Warhol, Madonna and Self-Portrait with Skeleton’s Arm (After Munch), 1984, Siebdruck auf Lenox Museum Board, Gunn and Widar Salbuvik © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Bildrecht, Wien 2022 © Michal Tomaszewicz

Mit einer Fülle von rund 180 intensiven Werken, teils aus der eigenen Sammlung, vieles aus dem Munch-Museum in Oslo, ergänzt durch Leihgaben aus über 40 internationalen Museen und Privatsammlungen, wird die bildgewaltige Ausstellung der Albertina einen neuen, differenzierten Blick auf Edvard Munch ermöglichen und den Fokus vom biografischen, emotionalen, psychologischen Frühwerk hin zum späten Munch verschieben, der so viele Anknüpfungspunkte für die zeitgenössische Kunst anbietet.

1/8 | Edvard Munch, Winterlandschaft, 1915, Öl auf Leinwand, ALBERTINA, Wien – Sammlung Batliner © ALBERTINA, Wien

 

2/8 | Georg Baselitz, Winter, 2005, Öl auf Leinwand, ALBERTINA, Wien – Sammlung Batliner © Georg Baselitz
 

3/8 | Andy Warhol, The Scream (After Munch), 1984, Siebdruck auf Lenox Museum Board, Mikkel Dobloug, Kjell S. Stenmarch, Grev Wedels Plass Auksjoner © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Bildrecht, Wien 2022

 

4/8 | Marlene Dumas, Evil is Banal, 1984, Öl auf Leinwand, Collection Van Abbemuseum, Eindhoven © Peter Cox, Eindhoven © Marlene Dumas
 

5/8 | Peter Doig, Echo Lake, 1998, Öl auf Leinwand, Tate: Presented by the Trustees in honour of Sir Dennis and Lady Stevenson (later Lord and Lady Stevenson of Coddenham), to mark his period as Chairman 1989-98, 1998 © Tate

 

6/8 | Miriam Cahn, HÄNDE HOCH!, 2014, Öl auf Leinwand, Courtesy the artist and Galerie Jocelyn Wolff © Serge Hasenboehler

7/8 | Jasper Johns, Corpse and Mirror, 1976, Siebdruck, Collection of Catherine Woodard and Nelson Blitz, Jr. Foto: Bonnie H. Morrison © Jasper Johns / Bildrecht, Wien 2022

 

8/8 | Edvard Munch, Straße in Aagsgaardstrand, 1901, Öl auf Leinwand, Kunstmuseum Basel, Geschenk von Sigrid Schwarz von Spreckelsen und Sigrid Katharina Schwarz, 1979, Foto: Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler
 

Albertina

Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Österreich

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