Nil Yalter im Kunstraum Niederösterreich

Nil Yalter: „Geh und mach Kunst!“

eSeL.at I Helmut Prochart I Kunstraum Niederoesterreich

Irgendwer muss sehr entschlossen die Poster von der Mauer gerissen haben. In Fetzen hängen sie herunter, einige Fragmente sind noch erkennbar. Es ist immer dasselbe Bild, das sich in einem Raster wiederholt: vier Kinder, die in einem Zimmer sitzen und neugierig in die Kamera blicken. „Ich habe in den 1970er Jahren Immigrantenfamilien fotografiert“, erzählte Nil Yalter bei ihrem Gespräch im Kunstraum Niederoesterreich.


„Später verwendete ich die Fotos wieder für Poster, die ich auf der Straße aufhing.“ In Valencia, in Istanbul, in Mumbai, in Metz, auch in Wien: Überall tauchten die Bilder auf, darüber stand in der Landessprache stets der Satz „Exil ist harte Arbeit“. In einer Diashow zeigt die türkische Künstlerin mit Wohnsitz in Paris, sie ist Jahrgang 1938, wie sie gemeinsam mit anderen die Poster an die Wände kleistert, zumeist in Gegenden, wo Geflüchtete wohnen.

Weitere Arbeiten, über die Yalter sprach, drehten sich um Gefängnisinsassinnen und Elendsviertel in Großstädten. Auch heute sind ihre Arbeiten geprägt von sozialem und politischem Engagement: Erstmals bot Yalter an diesem Abend öffentlich Einblicke in ein noch nicht fertiges Video, in dem es um weibliche Geflüchtete und den Niqab geht – ein brennendes Thema.

Die politischen Ereignisse waren so stark, es war einfach nicht mehr möglich im Atelier zu sitzen und nicht daran teilzunehmen.

Nil Yalter

Der Abend lief in der Serie „Gespräche zur Kunst im öffentlichen Raum“, die der Kunstraum in Kooperation mit „publicart – Kunst im öffentlichen Raum in Niederösterreich“ veranstaltet. In der Ankündigung zur Veranstaltung wird Nil Yalter in Zusammenhang mit der Stimmung in Paris um 1968 folgendermaßen zitiert: „Die politischen Ereignisse waren so stark, es war einfach nicht mehr möglich im Atelier zu sitzen und nicht daran teilzunehmen.“

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Foto: eSeL.at I Helmut Prochart I Kunstraum Niederoesterreich

Schon bei der Begrüßung verwies Kunstraum-Leiterin Christiane Krejs auf die Aktualität dieser Aussage: zur selben Zeit wurde die allwöchentliche Donnerstagsdemo gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung abgehalten. Nach einer Präsentation durch die Künstlerin selbst stellte sie sich den Fragen der ungarischen Kuratorin und Kulturarbeiterin Katalin Erdődi. Diese sprach sie zunächst auf ihre feministische Haltung an.

„Ich würde mich eine marxistische Feministin nennen“, stellte Yalter gleich klar. „Der Körper ist als Thema feministischer Kunst wichtig. Aber ich schaue mir nicht meinen eigenen an. Mehr interessiert mich die Situation von Frauen, die emigriert sind. Männer sind da schon in einer schlechten Situation, die Frauen aber noch übler dran. Sie können nicht ausgehen, während Männer oft ihre Cafés haben, in denen sie sich treffen.“

Der Körper ist als Thema feministischer Kunst wichtig. Aber ich schaue mir nicht meinen eigenen an.

Nil Yalter

Sie selbst komme aus einer „Familie starker Frauen.“ Ihre Mutter habe sie ermuntert, sich unabhängig zu machen. „Du hast Talent, geh und mach Kunst‘, sagte sie. Kinder kriegen ist nicht die erste Option!“ Bemerkenswert in der Arbeit von Nil Yalter ist auch, wie sehr sie technologisch mit der Zeit ging. Wie viele feministische Künstlerinnen arbeitete sie früh mit Video. Doch dabei blieb es nicht.

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Foto: eSeL.at I Helmut Prochart I Kunstraum Niederoesterreich

Wie einige Beispiele, die sie auch an diesem Abend zeigte, demonstrieren, arbeitet sie seit Langem mit digitalen Technologien. „Ich mache seit 1998 computergenerierte Images“, sagt sie. Arbeitete sie früher „die halbe Zeit auf der Straße“, so holt sie sich jetzt Bilder aus dem Internet. „Meine Hände funktionieren heute nicht mehr so gut“, sagt sie. „Aber ich werde weiterarbeiten, selbst, wenn ich einmal in ein Hospiz komme!“ Man glaubt es ihr aufs Wort.

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