»Survival of the Fittest« im Kunstpalais Erlangen

Digitalisierte Reflexionen zum Klimawandel

Im aktuellen Diskurs um die Zukunft der Menschheit werden zunehmend die Gefahren von Umweltzerstörung und die Folgen des Klimawandels ins Zentrum gerückt. Globale politische Bewegungen gaben dem Thema eine neue Dringlichkeit. Die internationale Gruppenausstellung »Survival of the Fittest« im Kunstpalais Erlangen zeigt 10 künstlerische Positionen, die sich in unterschiedlichen Medien dem komplexen Verhältnis von Natur und Hightech nähern. Sie ist nach der Wiedereröffnung nach dem Lockdown nun bis 6. September zu sehen. Roland Schöny war für PARNASS vor Ort.


Wie doch Ausstellungen im Zuge ihrer Wiedereröffnung ihr Antlitz verändern können! Hier ist das so. Viel deutlicher als noch in den ersten Tagen ihrer Begehbarkeit schwingt jetzt jene Auffassung von Wirklichkeit mit, die sich unter dem Eindruck der sich ausbreitenden viralen Gefahr eingeprägt hat. Es ist die Sensibilisierung für den Zusammenhang von Prozessen des Biologischen mit mathematischen Datensätzen. Wir erfuhren, dass sich daraus Prognosen mit Einfluss auf unser Alltagsverhaltens ableiten lassen. Das schärft den Blick auf dieses spannende Projekt, das bald nach Eröffnung wieder schließen musste, jetzt aber noch den gesamten Sommer hindurch zu sehen ist.

Anstelle der weltweiten Ausbreitung einer Infektion rückt es in Form aktueller Medienkunst zwar ein anderes, jedoch verwandtes Thema von ebenfalls globaler Tragweite ins Blickfeld: die Verbindung zwischen Naturkonzepten und den Versuchen, der bedrohlichen Klimaveränderung zu begegnen, was ebenfalls den Rückgriff auf mathematische Modelle erfordert. Sie reichen von der statistischen Erfassung über die Errechnung von Maßnahmen zur Rettung bis zum Einsatz Künstlicher Intelligenz als neue Zauberformel. Was erst von Menschenhand zerstört wurde, soll jetzt mit algorithmisch gesteuerter Maschinenenergie zusammengeflickt werden. Diese Hoffnung predigen uns die Verfechter der High Tech Industrie.

Digitale Optimierung der Natur

Subtil und kritisch unterläuft die Kunst diesen fixen Glauben. So auch manche der Ideen für digital automatisierte Optimierungsprozesse zur Rettung des Erdballs, welche die übergreifende Klammer der Ausstellung bilden; beeindruckend übersetzt etwa in der Medieninstallation »Asunder« von Tega Brain, Julian Oliver und Bengt Sjölen. Sie sieht aus wie ein mehrteiliges elektronisches Kartenwerk, das sich stetig verändert. Als Dreikanal-Videoarbeit im Breitwandformat basiert es auf Datensätzen, die über einen vor Ort arbeitenden Supercomputer live ausgewertet werden.

Tega Brain, Julian Oliver, Bengt Sjölen. Asunder. 2019, Ausstellungsansicht © Courtesy of the artists

Aus Satellitendaten, geodynamischen Informationen oder Berechnungen aus dem Bereich Biodiversität extrahiert das Wunderding Fallstudien für mehrere Gebiete der Erde. Daraus resultieren Lösungsvorschläge für die aktuellen Klima Herausforderungen, sodass am Ende ein vollkommen neuer Planet entstehen könnte.

Allerdings schlägt der heiß gelaufene Rechner oft Maßnahmen vor, die ans Absurde grenzen und nicht einmal in einem DKT Spiel zur Anwendung kämen. Den Standort ganzer Städte zu verlegen, um Zulieferstrecken zu verkürzen, das lässt man sich vielleicht noch einreden. Aber der Vorschlag, zwecks Rationalisierung eine ganze Lithiummine direkt an einen Produktionsort der IT-Industrie zu verpflanzen, lässt wohl leichte Zweifel am Sinn der enormen Rechenenergie aufkommen, wenn dann solche läppischen Ergebnisse rauskommen.

Tega Brain, Julian Oliver, Bengt Sjölen. Asunder, 2019, Drei-Kanal-Videoprojektion, Satellitenbilder, CESM-Klimamodell, Multiprozessor-Computer und selbsterstellte Software. Auftragsarbeit des MAK für die VIENNA BIENNALE 2019 © Courtesy of the artists

Illusion: Künstliche Intelligenz

Wie konstatiert doch Philosoph Richard David Precht: »Die KI-Bran­che ver­kauft An­fangs­er­fol­ge als Durch­brü­che und schwelgt in dunk­len All­machts­fan­ta­si­en.« Glücklicherweise bewegen wir uns auf dem Terrain der Kunst, wo sich eben doch ironische Distanz, experimentelle Inszenierung und Konzepte voller Poesie auftun. Davor lebt die ganze Ausstellung von Kuratorin Milena Mercer. Anstelle von Thesen wirft sie Fragen auf und führt in ein faszinierendes Ideenlabor.

Von seltener Schönheit sind die Fotoarbeiten von Alexandra Daisy Ginsberg »Designing for the Sixth Extinction«. In der Art von Makroaufnahmen draußen in der Natur stellt sie Kreationen einer künftigen Synthetischen Biologie vor, welche die Lücken im Ökosystem auffüllen soll, welche durch verschwundene Arten entstanden sind.

Anarchisch utopisch wirkt hingegen, das Projekt »Terra0«, das 2016 an der UdK Berlin von Paul Seidler, Paul Kolling und Max Hampshire entwickelt wurde. Mittels Fotoarbeiten dokumentiert es das Vorhaben, einen Wald zu schaffen, der seine wirtschaftlichen Erträge mittels Blockchain Technologie steuert und schließlich zum einzigen Anteilseigner seiner Produktion wird, wobei Drohnen und Satelliten zur Berechnung des Wachstums beitragen.

Die KI-Bran­che ver­kauft An­fangs­er­fol­ge als Durch­brü­che und schwelgt in dunk­len All­machts­fan­ta­si­en.

Richard David Precht

 

Alexandra Daisy Ginsberg Self-inflating Antipathogenic Membrane Pump aus Designing for the Sixth Extinction.Self-inflating-Antipathogenic-Membrane-Pump © Courtesy of the artist

Organismen für das posthumane Zeitalter

Noch weiter gehen Anna Dumitriu & Alex May mit »ArchaeaBot« einer organisch wirkenden Unterwasser-Roboterinstallation. Denn sie steht für die ultimative neue Art, welche dereinst im posthumanen Zeitalter pulsieren wird.

Man begegnet hier auch einer genetisch basierten Geruchsrekonstruktion aus vergangenen Zeitaltern. Realisiert in Form einer olfaktorischen, immersiven Installation wurde sie unter der Leitung von Alexandra Daisy Ginsberg, Sissel Tolaas und Christina Agapakis. Höchst selten sind es also Einzel-Persönlichkeiten, die derart vielgliedrige Projekte im Zwischenfeld von Kunst und Wissenschaft entwickeln. Meist handelt es sich um breit vernetzte Kollaborationen. Etwa, wenn der Komponist Páll Ragnar Pálsson eine, auf einem Klavier selbst spielende, Komposition entwickelt, die sich von einer Videoprojektion von Andreas Greiner inspirieren lässt. Sie zeigt eine Landschaft mikroskopisch kleiner JCVI-Syn3.0-Zellen, sogenannte »Minimal Cells«, welche die geringste Menge an Genen enthalten.

Dass das Musikstück zusätzliche Impulse aus dem Gedicht »Sterne im März« von Ingeborg Bachmann bezieht, mag nur noch eindringlicher verdeutlichen, wie in dieser Ausstellung wissenschaftliche Forschung und poetisches Denken zusammen kommen. Dass fast alle Werke und Installationen der Ausstellung von Milena Mercer in anderen, größeren Kontexten entwickelt wurden, macht überhaupt nichts. Eine einzelne Institution könnte einen derartigen Aufwand kaum leisten. Vielen Projekten tut es gut, dass sie jeweils in einzelnen Räumen präsentiert werden, denn sie allein schon öffnen einen ganzen Kosmos. Eine große These wird man hier vergeblich suchen. Zum Glück! Ideologischen Streit gibt es draußen genug. Hier zeigt eine Ausstellung, welch faszinierenden Pfade die Kunst im Gegensatz dazu einschlagen kann; in ihrem Paralleluniversum.

Anna Dumitriu & Alex May in Kollaboration mit Amanda Wilson. ArchaeaBot: A Post Climate Change, Post Singularity Life-form, 2018/2019 3D-gedrucktes PLA, Raspberry-Pi-Computer, PiBorg Motorschutz, elektrische Komponenten, Abdichtungsmaterialien Ca. 60 x 60 x 60 cm. © Foto: Alex May, 2018, Installation view, lbersalz Festival, Courtesy by the artist

Kunstpalais Erlangen

Marktplatz 1, 91054 Erlangen
Deutschland

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