Ein Gespräch mit der Wirtschaftsagentur Wien

Die Zukunft von Lebensmitteln

Wie ernährt sich Wien in Zukunft? Und welche Hebel können in der Stadtentwicklung gesetzt werden? PARNASS traf Gerhard Hirczi, Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien, und Elisabeth Noever-Ginthör, Leiterin Creativity & Business der Wirtschaftsagentur Wien zum Interview.


PARNASS: „Die Zukunft unserer Esskultur liegt in der Stadt“, so eine Überschrift in Ihrem White Paper Urban Food. Warum ist das urbane Umfeld für das Thema Esskultur so wichtig im Gegensatz zum ländlichen Raum?

Gerhard Hirczi: Es ist für uns schon seit einigen Jahren klar, dass sich Städte mit dem Thema Lebensmittel auseinandersetzen müssen. 2050 werden zwei Drittel der Menschen in Städten leben und 25 Prozent der CO2-Emissionen sind durch die Lebensmittelproduktion zu verantworten. Städte müssen sich also etwas überlegen, wenn sie nachhaltige Lebensmittel produzieren wollen, ohne die Erde zu ruinieren. Und wie bei vielen anderen Themen auch sind wir der Meinung, dass sich Städte besonders eignen, um neue Ideen auszuprobieren. Gegenüber dem ländlichen Raum bieten Städte ein paar Vorteile: Die Innovationsbereitschaft ist größer, Traditionen sind hier üblicherweise weniger stark ausgeprägt als am Land. Beim Thema Essen ist das besonders wichtig, denn da geht es nicht nur um Überlebensfähigkeit – Essen ist vielmehr ein besonderes emotionales Erlebnis. Zudem ist in Städten die Kaufkraft höher und neue Produkte sind üblicherweise, zumindest am Anfang, teurer. Damit spricht man jedoch auch die sozialen Aspekte an, die Frage der Inklusion, die ich in der Lebensmitteldebatte für besonders wichtig halte.

P: Die Wirtschaftsagentur fördert innovative Projekte in verschiedenen Kategorien im Bereich Urban Food mit einem Gesamtbetrag von 7 Millionen Euro.

GH: Die Basis für die Förderung war der Befund der letzten Jahre. Wir haben gesehen, dass innerhalb unserer Förderaktionen stets vor allem auch interessante Lebensmittelprojekte eingereicht wurden. Das war der Anlass für unsere Schwerpunktaktion, auch weil das Thema in Wien besondere Relevanz hat. In Wien haben wir eine einzigartige Ausgangslage. Anders als in vielen anderen Metropolen hat die Stadt viel Platz für Lebensmittelproduktion. Von den 50 Prozent des Wiener Grünraums ist sehr viel Fläche für landwirtschaftliche Produktion reserviert – 650 Hektar für Wein etwa, das entspricht der Fläche des 6., 7. und 8. Bezirks zusammengenommen. Für Gemüse und Obst stehen fast 900 Hektar landwirtschaftliche Flächen zur Verfügung. 

GERHARD HIRCZI | Foto: Peter Rigaud

P: Was waren zum Beispiel Projekte, die bereits gefördert wurden?

GH: Lieblingsbeispiele waren markta oder Unverschwendet, der Brotautomat oder die Gärtnerei Blün, die Fischabwasser dazu verwendet, Gemüse zu düngen. Der bereits ausjurierte Förderwettbewerb „Urban Food“, der bis Januar lief, prämierte unter anderem das Projekt „Zukunftshof - Etablierung einer jährlichen Zukunftstafel“. Gemeinsam mit dem Wiener Food Design Team honey & bunny wird der Zukunftshof in Rothneusiedl Kreativität und Wissenschaft sammeln und verteilen, Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Politik involvieren. Es soll zu einem offenen, tabubefreiten, experimentellen Dialog über soziale und ökologische Nachhaltigkeit im Lebensmittel-Bereich kommen. Damit wird der Zukunftshof zu einem lokalen und überregionalen Zentrum für sustainable urban food.

P: Sprechen wir hier von Projekten, die in eine permanente Nutzung übergeführt werden können?

GH: Ja, denn uns geht es auch darum, Strukturen fördern. Wir fördern Projekte, die nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich nachhaltig sind. Wir verstehen uns auch als Ökosystembauer. Das ist die Königsdisziplin von Standortförderung:  langfristige, vernetzende Strukturen schaffen, in denen verschiedene Sparten miteinander arbeiten. Wir fördern aber nicht nur Projektideen, sondern machen aktuell auch einen Forschungscall, mit dem wir anwendungsnahe Forschung unterstützen. Das sind Projekte, die über den heutigen Stand der Technik hinausgehen müssen. Hier wollen wir die besten Leute aus der Forschung mit der Wirtschaft zusammenbringen. Über diese Vernetzung entsteht dann im besten Fall etwas, das auch ohne unser Zutun aktiv ist.

P: Gibt es schon Signale für eine Veränderung?

GH: Über die Jahre hinweg haben wir eine starke Zuwendung zum Thema Innovation beobachtet. Ich halte nichts von der Idee, dass der Markt sich von selbst steuert. Dafür  braucht es ein Bündel an Maßnahmen. Das eine sind Mindeststandards, das andere Förderungen und auch die Konsumenten haben ihren Beitrag zu leisten. Aber es wäre komplett unfair, wenn die Konsumenten alles tragen müssten.

P: Welche Rolle spielt Design im Dialog mit den Konsumenten?

Elisabeth Noever-Ginthoer: Es geht darum, Bewusstsein zu entwickeln: Ich kann nur dann die richtige Kaufentscheidung treffen, wenn ich den Kreislauf dahinter verstehe. Nur wenn ich weiß, dass zum Beispiel Butter einen der höchsten CO2-Emissions-Werte hat, kann ich entsprechend konsumieren. Essen ist aber natürlich auch ein kulturelles Thema. Lebensmittelkultur betrifft uns, definiert uns und gestaltet unser Leben. Und das ist der Punkt, an dem es um Design geht.

P. Können Sie ein paar Beispiele nennen?

ENG: Begonnen haben wir bereits vor Jahren mit der Initiative „Crafted in Vienna“. Dabei ging es darum, die Kreativwirtschaft mit handwerklichen Produktionsbetrieben der Stadt zu vernetzen. Damals wurde unter anderem die Initiative „Hut & Stiel“ prämiert. Aus einer kleinen Förderung ist heute ein produzierendes Unternehmen geworden, das einen Idealzyklus hinsichtlich Kreislaufwirtschaft aufgebaut hat. Kreislaufdenken ist im Lebensmittelbereich extrem wichtig. Ein anderes gefördertes Projekt ist „Living Farms“ von Katharina Unger, die aus Mehlwürmern alternatives Fleisch produziert und sich nicht nur auf die Produktion fokussiert, sondern auch Workshops und Lehrgänge anbietet. Dort bringt sie Interessierten bei, wie sie selbst zuhause Mehlwürmer züchten können. Ein interessantes Projekt, das aktuell auf der Vienna Biennale ausgezeichnet wurde, kommt von Anna Kiriak und Katharina Sauermann, die sich mit dem Thema Permakulturen auseinandersetzen und fragen, was es bedeutet, wenn wir unsere Lebensmittel in der unmittelbaren Nähe produzieren.

ELISABETH NOEVER-GINTHÖR | Foto: Christian Husar

Wie verändert das auch die Gesellschaft, die Gemeinschaft? Sie testen das anhand einer Permakultur in einem Sozialwohnbau. Gemeinschaft ist das Thema unserer Zeit, das durch die Pandemie noch mehr in den Mittelpunkt gerückt ist – wie insgesamt das Thema Essen und Lebensmittelqualität. Die Auswahl und Zubereitung unserer Lebensmittel war einer der wenigen Bereiche, in denen wir uns während der Lockdowns verwirklichen konnten.

P: Die Einbeziehung des Designs geht also stark über den technologischen Aspekt hinaus und verweist auf Soziales wie auch auf Information.

ENG: Gestalterisches Denken fängt bei den Produktionsprozessen an, geht weiter zur Entwicklung von neuen Materialien und bis hin zum Vertrieb mit Transport, Verpackungsdesign und der Frage, wie sich der Supermarkt von morgen gestaltet? Und welche digitalen Plattformen braucht es? Auch wichtig ist das Thema Tableware: Wie schaut der gemeinsame Tisch von morgen aus? Wie der Raum, in dem wir essen? Wie der Raum der Produktion? Das geht von Fragen der Arbeitskleidung bis hin zum Sounddesign. Lebensmittel müssen auch einen Klang haben, ein Bier muss beim Öffnen zischen. Im Fokus stehen jedoch auch stets soziale Fragen: Wie informiert man Menschen darüber, welche Konsequenzen ihr Einkauf hat, wie kann man sie dazu bewegen, ihre Handlungen zu verändern? Design im Bereich „Urban Food“ steht dabei nicht nur im Kontext des Klimawandels, sondern ist auch für den Tourismus wichtig. Hieß es früher bei Städtereisen „Must See“, so geht es heute um „Must Eat“.  

P: Welche Relevanz spielen die erwähnten neuen Technologien?

ENG: Ich glaube, sie betreffen tatsächlich alle Bereiche der Wertschöpfungskette von der Produktion bis zum Vertriebssystem. Ein ganz wichtiges Thema ist „On Demand“. Was wäre, wenn wir unseren Gasthausbesuch ankündigen? Es würde Abfall vermeiden, da der Gastronom, wenn er die Anzahl der Gäste weiß, den Einkauf besser kalkulieren kann. Außerdem geht es im digitalen Bereich auch um Experiences.  Man kann sich visuell informieren, wie Tierhaltung heute funktioniert und was das für den Planeten bedeutet.

Vienna Design Week

Mehrere Standorte, 1010 Wien
Österreich

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