Meisterwerke #15

Die Kunst des Malens

Mit der Darstellung des Malers im Atelier überhöht Vermeer das Genrebild zu einer Allegorie der Malkunst. Sein Modell posiert als Klio. Die Muse der Geschichte kündet vom Ruhm der alten Niederlande, den sie im Buch der Geschichte verewigt. Auf die Einheit der Künste deuten Bildhauermodell, Skizzenbuch und das entstehende Bild auf der Staffelei hin, ein Kronleuchter ohne Kerzen erzählt vom schwindenden Einfluss der katholischen Habsburger im protestantischen Norden. Komplizierte Zeit-Bezüge lassen sich in Jan Vermeers „Malkunst“ viele ausmachen. Doch was macht das Bild noch heute zum Meisterwerk?


Zu seinen Lebzeiten hat „Die Malkunst“ das Atelier Vermeers nie verlassen. Erst aus dem Nachlass gelangt das Bild nach Amsterdam in eine Auktion. 1696 kommt es mit der Beschreibung „von einer seltenen Schönheit“ unter den Hammer. Danach verliert sich die Spur des Gemäldes. Erst im 18. Jahrhundert taucht das Meisterstück abendländischer Kunst wieder auf, wandert durch mehrere Privatsammlungen wie jene des Baron Gottfried van Swieten und des Grafen Rudolf Czernin, wo das Bild Teil der Gräflich Czerninsche Galerie war. 1942 wurde es im Rahmen des „Sonderauftrages Linz“ für das geplante Führermuseum in Linz angekauft und kunstpolitisch verwertet. Nach dem Krieg ging die „Malkunst“ ans Kunsthistorische Museum Wien, wo sie sich bis heute befindet. Ruhm bringen aber vor allem die Jahre 1946 bis 1954: Auf einer Wanderausstellung durch 21 Städte in Europa und Nordamerika sehen täglich mehr als 24.000 Besucher Vermeers Atelierszene. Und obwohl man wenig über den Entstehungsprozess weiß, bleibt die Faszination gegenüber der Malkunst bis heute ungebrochen.

Die Zeit scheint darin stillzustehen, so die Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat 2009. Vorher und Nacher gibt es nicht, nur ein Jetzt. Einen eingefrorenen Moment, dessen Mixtur aus Illusion und Wirklichkeit, aus Offensichtlichem und Möglichem nach Geheimnis schmeckt.

Die Malkunst

Um 1666/1668

Johannes Vermeer

1632 bis 1675, Delft

Stil: Genremalerei

Technik: Öl auf Leinwand

Größe: 120 x 100 cm

Heute: Kunsthistorisches Museum Wien

Johannes Vermeer, Die Malkunst, um 1666/1668, Detail, © KHM-Museumsverband

Womöglich als Schaustück für potenzielle Kunden konzipiert, versetzt bereits Vermeers grandiose Lichtführung und seine kunstfertige Behandlung der Oberflächen – pastos bis wässrig – in Staunen. Doch erst die raffinierte Raumdefinition aus Fluchtpunkten (Kacheln), Horizontalen (Decke, Aufhängung der Karte) und Vertikalen (Falten der Landkarte) bindet die Einzelteile zur harmonischen Einheit zusammen. Vermeers wahre Meisterschaft offenbart sich aber in einem anderen Kunstgriff: Während das Gefüge offensichtlich von einem strengen geometrischen Gerüst abgesichert wird, gelingt es dem Maler gleichzeitig die Grenzen des Raumes zu sprengen: Die „dritte Wand“ wird nahezu komplett aufgelöst. Wir selbst – die Betrachter – haben den Vorhang zurückgezogen, einen Platon´schen Blick in die Malwerkstatt riskiert, die Kunst entzaubert und zugleich die Magie des künstlerischen Moments entdeckt.

Der verhüllende Vorhang entpuppt sich dabei als Schlüssel und farbiger Wegweiser in und durch die theatrale Szenerie: Das Azurblau findet sich in Nuancen etwa im Kleid der Muse, auf der Leinwand und auf der Landkarte wieder, das Rot in den Strümpfen des Malers sowie auf der Spitze des Malstocks. Das Gold der Nieten auf den Ledersesseln verbindet nicht nur Trompete und Luster miteinander, als Dialogpartner verspannen die beiden Stühle den Raum zusätzlich und erinnern uns, dass wir doch nur stille Beobachter sind oder: sein sollten. Denn während die Figuren im Atelier noch ganz mit sich selbst beschäftigt sind, könnte unser Einwirken das filigrane Gefüge empfindlich stören. Das Zurückziehen der einstigen Wirklichkeit (Frau und Blätterwerk auf der Verdüre) hat eine fundamentale Wahrheit enthüllt: Nur wer hinter das Offensichtliche blickt, erkennt das ganze Bild, sieht die Schmiede, in der (Kunst-)Geschichte ersteht. Unser Eindringen könnte diese Welt – die Malkunst, den göttlichen Zauber des Schöpfungsprozesses – aber auch zerstören. Also: Mensch, gib Acht!

Johannes Vermeer, Die Malkunst, um 1666/1668, © KHM-Museumsverband

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