Dokumentarfilm

„All the Beauty and the Bloodshed” zeigt das Leben der Fotografin Nan Goldin

„All the Beauty and the Bloodshed” zeichnet das Leben der Fotografin Nan Goldin auf bewegende Weise nach. Der Dokumentarfilm von Laura Poitras gewann bereits zahlreiche Preise, und war unter anderem für einen Oscar nominiert. Nun ist er auch in Österreich zu sehen.


Manchmal schreibt das Leben bewegendere Geschichten, als man sie zu Papier bringen könnte. Die Biografie der weltberühmten Fotografin Nan Goldin (*1953) füllt den Stoff der Dokumentation mühelos, ohne Ereignisse zu dramatisieren. Die rauchige Stimme der Künstlerin führt durch den knapp zweistündigen Film von Regisseurin Laura Poitras, sie erzählt vom Erwachsenwerden in einer kaputten Familie, von der queeren New Yorker Szene der achtziger Jahre und ihrem Kampf gegen die weltweite Opioid-Krise in der Gegenwart. Anhand zahlreicher Fotografien, ihrer berühmten Dia-Shows, Filmaufnahmen und Interviews ihrer Wegbegleiter*innen breitet sich eine Geschichte aus, von der man sich fragt, wie sie in ein einziges Leben passt.

Aktivist*innen sammeln sich vor dem Metropolitan Museum of Art in New York, Ihre Taschen sind gefüllt mit kleinen, runden Plastikdöschen, in die sonst Pillen gefüllt sind. Sie betreten den berühmten „Sackler Wing“ des Museums, werfen die Dosen zu hunderten in den Teich. Eine andere Szene zeigt dieselbe Personengruppe im Guggenheim: Blätter im Format von Rezepten verschreibungspflichtiger Medikamente herab, voller Inbrunst wird geschrien: „Say it loud, say it clear, Sacklers are not welcome here!“

Gleich zu Beginn des Films wird der Protest der von Nan Goldin gegründeten Vereinigung P.A.I.N (Prescription Addiction Intervention Now) gezeigt, der sich gegen die Sackler-Familie richtet - deren Unternehmen Purdue Pharma produzierte das Massenmedikament OxyContin, welches eine bis heute andauernde Opioid-Epidemie auslöste.

All the Beauty and the Bloodshed

Warum sie diesen Protest anführt, lässt sich zunächst nur erahnen. „Tell me about your sister“, fordert eine Stimme aus dem Off auf, und Goldin beginnt zu erzählen. Von einer schweren Kindheit und einem gebeutelten Elternhaus, von der Rebellion ihrer Schwester und ihrer angeblichen psychischen Erkrankung, von dem „Umzug“ in ein Waisenhaus, und schließlich von ihrem Suizid. Spätestens dann regt sich bei den Kinobesucher*innen das Gefühl, dass auch die weitere Biografie der Fotografin bewegend werden soll. So fährt sie fort, berichtet von ihrem Treffen mit dem späteren Fotografenkollegen David Armstrong, der „die Liebe ihres Lebens“ werden sollte und wie sie selbst zum Fotografieren gefunden hat. Ihr unstetes Erwachsen Werden, geprägt von Umzügen und Heimatlosigkeit, mündet schließlich in der New Yorker No-Wave-Underground-Bewegung, durch die ihre Aufnahmen weltweiten Ruhm erlangen sollen. Nan Goldin lichtet ihr Leben ab, ihre Freunde, die aus Künstler*innen und Drag-Queens bestehen, fotografiert sich selbst und andere beim Schminken, beim Essen, beim Geschlechtsverkehr. In ihrer wohl bekanntesten Serie „The Ballad of Sexual Dependency“ zeigt sie sich mit schweren Verletzungen im Gesicht, nachdem sie ihr damaliger Freund krankenhausreif geprügelt hat. Ihre Drogenabhängigkeit wird thematisiert, sie spricht zum ersten Mal über ihre Zeit als Tänzerin und Sexarbeiterin. Das Publikum verfolgt eine Frau auf dem Weg, eine weltbekannte Künstlerin zu werden – doch von Glanz und Glamour ist hier wenig zu sehen. Stattdessen bricht sie immer wieder mit Konventionen, lehnt sich gegen das Establishment auf. 1989 kuratiert sie erstmals die Ausstellung „Witnesses: Against our Vanishing“, in der sie die HIV/AIDS-Krise auf schonungslose Weise in den Mittelpunkt stellt.

Es ist kein Zufall, dass zwischen die Rückblenden immer wieder Ausschnitte aus der Gegenwart gezeigt werden: Goldin geht es unter anderem auch darum, wirtschaftliche, soziale und institutionelle Parallelen zwischen der AIDS- und Opioid-Epidemie aufzuzeigen. Denn soziale Krisen existieren nicht in einzelnen Blasen, und die Beziehung zwischen den oft stigmatisierten Gemeinschaften, in die die Fotografin eingetaucht ist, und die persönlichen Geschichten hinter ihrer Kunst zu erfassen, bleibt entscheidend für das Verständnis der ganzen Bandbreite ihrer Arbeit. Goldin war ab 2014 selbst abhängig von dem Schmerzmittel OxyContin, welches ihr nach einer Operation verschrieben wurde und sie zunächst nur nach Vorschrift eingenommen hat.

All the Beauty and the Bloodshed

Schließlich endet der Film, wo er angefangen hat: Der Geist der Schwester, deren Aufbegehren in den sechziger Jahren als „geisteskrank“ eingestuft wurde und ihr schließlich das Leben gekostet hat, schwebt über der Erzählung, er hüllt sie in einen bedrückenden Nebel, doch lässt er die Biografie viel mehr klar erscheinen. Laura Poitras gelingt mit „All the Beauty and the Bloodshed“ eine bewegende Biografie, die zu keinem Zeitpunkt überspitzt oder überstilisiert wirkt.  Schonungslos zeigt sie die Facetten des Lebens der Fotografin, und wird damit ihrer Kunst, ihrem Aktivismus und ihrem Wirken gerecht.

All the Beauty and the Bloodshed

Laura Poitras | US 2022 | 117 min
Mit: Nan Goldin, Marina Berio, Robert Suarez
Kinostart: 25.5.2023

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