Nachgefragt bei Klaus Albrecht Schröder

„Die Albertina ist kein Kunstatelier“

Im Jahr 1999 hatte Klaus Albrecht Schröder die renovierungsbedürftige Albertina als Direktor übernommen und mehr als die notwendige bauliche Sanierung in die Wege geleitet. Als die „neue“ Albertina 2003 eröffnet wurde, war nicht nur die „Graphische Sammlung“ aus ihrem Namen verschwunden, sondern ein modernes Museum aus dem Kokon geschlüpft. Nach mehrmaligen Verlängerungen gab der inzwischen zum Generaldirektor aufgewertete Chef heuer bekannt, nach Ablauf seines derzeitigen Vertrages Ende 2024 nicht weiter für die Leitungsfunktion zur Verfügung zu stehen. Bei der Ausschreibung hatten sich bis Mitte März 20 Personen – darunter nur drei aus Österreich – für die wissenschaftliche Leitung beworben. Die Entscheidung, wer die Geschicke der Albertina ab 2025 bestimmen wird, soll noch vor dem Sommer fallen. Der richtige Zeitpunkt also, den demnächst scheidenden Generaldirektor um ein Resumee zu bitten.


PARNASS: Die letzten Jahre waren auch für die Museen durch diverse Krisen geprägt. Doch abgesehen davon: was waren die bisherigen Meilensteine Ihrer 25-jährigen Direktionszeit?

SCHRÖDER: Ich habe nichts von dem geändert, was ich am ersten Tag angekündigt habe: Die Albertina ist kein Kunstatelier. Sie hat bis dahin bei jeder Ausstellung die Frage nach den grafischen Techniken gestellt. Wir stellen diese Fragen nicht bei einem Tizian oder bei einem Film von William Kentridge – wir als Kunsthistoriker natürlich schon, aber der Laie, für den wir die Ausstellungen machen, üblicherweise nicht. Wir zeigen große Kunst. Und die Idee, ich verstehe große Kunst, wenn ich weiß, wie sie gemacht ist – das ist eine Illusion, die ich gar nicht erwecken will.

Ein modernes Museum zu sein, dem habe ich meine gesamte Aufmerksamkeit gewidmet.

Klaus Albrecht Schröder

P: Mittlerweile zeigt die Albertina auch andere Kunstgattungen, vor allem Malerei, und das ist besonders den bedeutenden Sammlungen zu verdanken, die Sie ans Haus holen konnten.

S: In erster Linie die Sammlung Batliner natürlich. Wir sind in der glücklichen Lage, dass die Neupositionierung der Albertina mit der 2007 erfolgten Etablierung einer Schausammlung genau jene Vorbildwirkung hatte, die Dr. Batliner und ich uns damals gewünscht hatten: dass auch andere in diese Fußstapfen treten und ihre Stiftungen der Albertina anvertrauen. Eine der wichtigsten, die wir vor Kurzem erhalten haben, ist die kleine, aber feine Sammlung von Othmar Huber, darunter sind Meisterwerke wie „Die Windsbraut“ von Oskar Kokoschka oder „Die Trinkerin“ von Pablo Picasso. Jetzt kommen noch weitere bedeutende Werke Picassos aus den Schweizer Sammlungen Barbier-Müller und Huber dazu.

Prof. Dr. Klaus Albrecht Schröder © Albertina, Wien / Foto: Christopher Mavric

 

P: Was würden Sie als die wichtigsten Leistungen Ihrer bisherigen Direktionszeit nennen?

S: Ich habe ein ganz neues Museum gemacht mit dem traditionsreichen großen Sammlungs-Kernbestand der Graphischen Sammlung. 1999 erfolgte die Gründung der Fotosammlung, dann kamen die weiteren Veränderungen: Aus 250 m2 Ausstellungsfläche habe ich netto 8.000 gemacht, aus ursprünglich 2.500 m2 Gesamtfläche 28.000, aus 7.000 bis 11.000 Besuchern jährlich zwischen 800.000 und 1,1 Millionen. Mit der Übernahme der Sammlung Batliner 2007 habe ich zum ersten Mal eine permanente Schausammlung in der Albertina und eine Sammlung der internationalen Klassischen Moderne in Österreich gegründet. Ein modernes Museum zu sein, dem habe ich meine gesamte Aufmerksamkeit gewidmet. Mit dem Wing, den Hans Hollein gebaut hat, der Rolltreppe, die ich selbst entworfen habe und die in die Bastei hineinführt als Zeichen der Veränderung im Inneren wie im Äußeren. Aber am meisten am Herzen gelegen ist mir die Renovierung der Prunkräume, die Wiederausstattung mit den Originalmöbeln.

Albertina © Albertina, Wien (Foto: Harald Eisenberger)

P: Welchen Stellenwert nimmt die zeitgenössische Kunst ein?

S: Der nächste große Meilenstein war die Etablierung der Gegenwartskunst, und das ist vielleicht das Wichtigste für die Zukunft geworden. Im 21. Jahrhundert haben sich Museen weltweit plötzlich mehr verändert als in den 250 Jahren zuvor. Wir erwerben heute Kunstwerke nicht erst, wenn sie 50, 60 Jahre abgelagert sind, sondern bereits von den 27-jährigen. Auch Picasso oder Ernst Ludwig Kirchner haben das Wichtigste mit 25 oder 27 geleistet, und heute heißen sie eben Diop und sind aus Afrika. Aber dass das sofort in die Sammlung Eingang findet, in den Aktivitätsradius der Ausstellungen, das ist radikal neu und hat viel mit der Veränderung des Publikums zu tun.

Im 21. Jahrhundert haben sich Museen weltweit plötzlich mehr verändert als in den 250 Jahren zuvor.

Klaus Albrecht Schröder

Ausstellungseinblick © Albertina, Wien (Foto: Rupert Steiner)

P:  Zeitgenössische Kunst soll in Zukunft auch in Klosterneuburg favorisiert werden, wo Sie das seit 2016 nur als Depot genutzte Essl Museum voraussichtlich noch Ende 2023 als dritten Standort der Albertina neben Palais und Albertina Modern wieder öffentlich zugänglich machen wollen.

S: Auf rund 3.000 m2 Fläche wollen wir in zwei- bis dreimal wechselnden Ausstellungen Kunst aus den reichhaltigen Beständen der Albertina zeigen, vor allem Gegenwartskunst von Valie Export bis Maria Lassnig, von Georg Baselitz bis Gerhard Richter. Derzeit wird das Gebäude klimafit gemacht. Nach Abschluss der Sanierung, vor allem Klimatisierung und Energiesparmaßnahmen betreffend, werden wir dem Beispiel der Tate-Liverpool oder des Centre Pompidou-Metz folgen und als großes internationales Museum außerhalb der Metropole Kunst präsentieren, die Niederösterreich an keinem seiner anderen Museumsstandorte zeigen kann.

Albertina

Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Österreich

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