Die Verbindung von Gegenwartskunst und modernen Biowissenschaften

Bio Art: Wenn sich Kunst und Biologie zusammentun

Biologische Systeme als künstlerische Ausdrucksmittel: Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden Labortechnik, wissenschaftliche Forschungsprojekte und die materielle Kultur des High-Tech-Labors zum Experimentierfeld für die Kunst.


Für die künstlerischen Strategien auf diesem Feld prägte der österreichische Künstler und Medientheoretiker Peter Weibel bereits Anfang der 1980er-Jahre in seinem Aufsatz „Biotechnologie und Kunst“ den Begriff „Bio-Art“ und fasste 1993 in der von ihm kuratierten Ausstellung „Genetic Art - Artificial Life“ im Linzer Ars Electronica Center eine Reihe von Künstlern zusammen, die in diesem Bereich arbeiten. Das Feld der Bio-Art ist heterogen und umfasst divergierende Denkweisen, Themenkomplexe und Praktiken. Die Gemeinsamkeit besteht in der Verflechtung von Kunst und Biologie, der häufigen Zusammenarbeit von Künstlern und Wissenschaftlern und im Einsatz von Techniken aus den Naturwissenschaften sowie der Laborforschung. Die Künstler arbeiten mit lebenden Materialien oder einzelnen Bestandteilen des Lebens beziehungsweise installieren ein laborähnliches Umfeld, in dem sich biologisches Material entwickeln kann.

Die Thematisierung der Natur als Ressource, die auch auf ein ökologisches Bewusstsein anspielt, ohne die Kunst jedoch in den Dienst einer Illustration zu stellen, ist ein Bereich, der unter dem Begriff „Bio-Art“ zusammengefasst werden kann. 

Heute haben sich die Ausdrucksmittel jedoch um biotechnologische Methoden und Verfahren erweitert. Die sogenannte „Technoscience“ stellte das Verhältnis Natur und Kunst in einen völlig neuen Kontext. Damit verbunden ist auch die Frage, wie sie unter anderem die Medientheoretikerin Ingeborg Reichle stellte, ob unter dem Begriff „Bio Art“ jede Form von künstlerischer Auseinandersetzung mit biotechnologischen Verfahren und deren gesellschaftlichen Konsequenzen verstanden wird, oder allein jene Kunstäußerungen, die buchstäblich mit dem Einsatz von Biomedien arbeiten und die tatsächlich im Labor entstehen. Wissenschaftliche Verfahren und die Zusammenarbeit mit Naturwissenschaftlern bilden die Basis, die transformiert wird in eine künstlerische Arbeit, welche über die formale und forschungsbasierte Arbeit hinaus jedoch Fragen zu den Auswirkungen von Biopolitik stellt, wie der Auswirkung der Genforschung auf den Menschen, zu unserem Umgang mit Ressourcen, zu Subjektivität und der visuellen Transformation von Fakten zwischen Wahrnehmung, Wirklichkeit und Fiktion.

Thomas Feuerstein, GATE, 2015, Ausstellungsansicht, PSYCHOPROSA, Chronus Art Center, Shanghai 2016 | Foto: by the artist

Die künstlerischen Positionen die sich in das weite Feld der Bio Art einreihen sind zahlreich und vielfältig: Thomas Feuerstein etwa begreift seine Installationen als Erzählung, die ebenso Science Fiction einbindet wie Mythologie und zugleich die Rolle der Wissenschaft in der Moderne anspricht. Auch der in Casablanca geborene Künstler Hicham Berrada löst naturwissenschaftliche Fragen höchst poetisch, indem er natürliche Umweltprozesse imitiert und im Ausstellungsraum weiterentwickelt. Mit großer Kenntnis der naturwissenschaftlichen Disziplinen schafft er Wirklichkeiten, die das real Mögliche unserer natürlichen Umräume um den Blick des Künstlers potenzieren.

Ähnlich arbeitet auch Bianca Bondi. Die aus Südafrika stammende, heute in Paris lebende Künstlerin inszenierte bei der Biennale von Lyon 2019 ein beeindruckendes Setting im Spannungsfeld von wissenschaftlichem Experiment und privatem Raum. Aus Objekten, Alltagsgegenständen und Interieurs inszeniert sie artifizielle Szenerien, die sich kontrolliert transformieren. Die von ihr initiierte Oxidation und Kristallisierung der Gegenstände geben ein eindrucksvolles metaphorisches Zeugnis vom Lauf der Zeit.

Hicham Berrada, Ausstellungsansicht, ‘Luogo e Segni’ at Punta della Dogana, 2019 © ADAGP Hicham Berrada © Palazzo Grassi, photography Delfino Sisto Legnani e Marco Cappelletti, courtesy the artist and kamel mennour, Paris/London.

Die Technisierung und Reproduzierbarkeit des Lebendigen

Es ergeben sich zahlreiche Themenschwerpunkte und Disziplinen innerhalb der Bio Art. So fasziniert Künstler bereits seit den 1980er-Jahren die Möglichkeit, Lebewesen im Labor herzustellen und damit einerseits „zukünftige Szenarien des Lebendigen auszuloten“, so Ingeborg Reichle in ihrem Aufsatz für den Band 258 des Kunstforums „Kunstnatur | Naturkunst“, als auch die technische Reproduzierbarkeit des Menschen zu thematisieren.

Das Projekt „Self“ des britischen Künstlers Marc Quinn ist dabei eines der frühen Beispiele. Seit 1991 erstellt Marc Quinn in einem Rhythmus von fünf Jahren ein lebensgroßes dreidimensionales Selbstporträt seines Kopfes. Man kennt von Quinn, der zu den Young British Artists zählt, Werke aus Bronze, Marmor oder Wachs. Doch „Self“ ist aus rund viereinhalb Litern Eigenblut hergestellt und muss unter besonderen Kühlbedingungen aufbewahrt werden. 2000 begann Quinn sein Ebenbild mit Bakterienkulturen fremder DNA zu verbinden.

Daniel Szalai

Visuell pointiert agiert derweil Daniel Szalai. Während der Umgang mit Bakterien und Viren im letzten Jahr mehr denn je Thema wurde und der menschliche Umgang mit Medizinprodukten ins Aufmerksamkeitsfeld rückte, befasst sich Szalai (*1991) bereits länger mit den Beziehungen von Mensch und Tier und den absurd wirkenden Praktiken der (Pharma-)Industrie. So stoß der ungarische Multimedia-Künstler auch auf das Huhn als Symbolbild. Das Projekt „Novogen“ (2017–2018) handelt von der gleichnamigen Hühnerrasse, einer Art von kommerziellen Legehennen, die spezifisch gezüchtet wurden, um ihre Eier für die Herstellung von pharmazeutischen Produkten zu verwenden. Szalai befragt die biotechnologischen Hintergründe, die Industrialisierung von Tierhaltung und den weiten Weg aus der Natur hin zum massenproduzierten Impfstoff.

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