40 Jahre PARNASS

Aus dem Archiv: Arnulf Rainer und sein Arbeitsrefugium

Die PARNASS Serie „Künstlerrefugien“ erfreute sich in den 2000er-Jahren großer Beliebtheit. 2009 besuchte Johannes Jetschgo den Künstler Arnulf Rainer. Eine intime Begegnung mit dem inzwischen über 90-jährigen Künstler, die es lohnt abermals ins Blickfeld gerückt zu werden.


Die kapitolinischen Gänse könnten nicht wachsamer gewesen sein. Der Ganter, der sich als verbliebener Rest einer Gänseschar von einst auf dem Vierseithof gehalten hat, meldet jeden Gast oder neugierigen Besucher verlässlich, faucht und plustert sich. Da lobe ich mir schon die Hauskatze Alma – den Namen trägt sie nicht von ungefähr – die Zutraulichkeit beweist und die auch unser Gespräch nicht aus den Augen lässt.

Man kann nicht gänzlich über seinen Schatten springen, aber man kann sich wie
ein Baum entfalten

 

Arnulf Rainer

Arnulf Rainer schätzt die Distanz, den abgelegenen Ort, der schwer auffindbar ist und bleiben soll. Fotografiert wird nur von der Südseite, wo die Kronen der Obstbäume abschirmen und die Fassade sich hinter wildem Wein verbirgt. Seit fast zwanzig Jahren lebt er schon hier mit Frau und Tochter. Unweit, am bayrischen Innufer hatte er zunächst im einstigen Benediktinerkloster Vornbach einen Trakt erworben. Dort empfängt er nur mehr zur Präsentation seiner Bilder. Auch dieses Jahrhunderte alte Mauerwerk ist nicht einsehbar. Hier habe er sich, nach Jahren als Gast bei Hermann Nitsch in Prinzendorf, niedergelassen, weil er “der österreichischen Neutralität nicht traue". Die NATO-Präsenz auf deutschem Boden habe ihm Sicherheit garantiert, erzählt er mit der Gewissheit, eine Anekdote zu liefern.

Nach dem Ende des Kalten Krieges kam dann doch der Schritt hinüber ins Innviertel. Aber er erwirbt den Bauernhof im Sauwald auch, weil er im noblen Ambiente Vornbachs nicht „Knecht sein könne. Und ich bin gern Knecht beim Arbeiten." Im Hof verfügt er über ein Atelierhaus. Ebenerdig die Papier- und Fotoarbeiten, im ersten Stock die Malerei. In den langgestreckten Raum mit seinen großen Fensterfassaden ist eine mit Alufolie überspannte Decke eingezogen, die diffuses Licht erzeugt.

Unterschiedliche Arbeitsplätze bieten sich an. Rechts, links und in der Mitte Theken, die der Materialsichtung dienen. „Ein Prinzip der künstlerischen Gestaltung ist", sagt Rainer im Vorübergehen an diesem Rohstoff seiner Arbeit, „dass alles sich gegenseitig multipliziert und nicht addiert, sondern sich gegenseitig aufschaukelt, und je intensiver das gelingt, umso besser ist das Bild." An der Wand hängen ungebrauchte Pinsel. Sie sollen auffordern, ans Werk zu gehen. Eine der Methoden, die er verwendet, seine Arbeit weiterzutreiben: „lch bin ein bissl ein Workaholic, das stimmt schon. Ich finde das Leben nur als Arbeit wirklich spannend und nicht das, was man als Leben bezeichnet." So ist er auch zum Sammler geworden. Artefakte, die Kunst von „outsidern", von Geisteskranken, Bücher, die einen Speicher und alle Zimmerfüllen, Fotografien, alte Grafik.

Alles kann zum Stimulans werden in diesem Lebenswerk, dessen Vielseitigkeit oft übersehen wird. Überhaupt brauche es zwei Jahrzehnte bis sich Betrachter auf Neues einließen, bemerkt Rainer. Heute würden bei Kunstmessen und in Galerien immer noch seine früheren Sujets und Techniken verlangt.

Arnulf Rainer hat als Surrealist begonnen. Dann habe er auf einer gemeinsamen Paris-Reise mit Maria Lassnig erkannt, dass der Surrealismus seinen Zenit schon überschritten hatte. Kunsthistoriker bestätigen, Rainer sei es gewesen, der aus Frankreich die expressive Handschrift des Informel nach Österreich brachte.

PARNASS 03/2019

Jedenfalls beginnt er früh, die Malerei an sich zu thematisieren und sie in ihren medialen Grenzen zu verlassen. Das geschieht in einer der Avantgarde gegenüber abweisenden Umgebung. Junge Kunst hat im Österreich der 50er-Jahre einen schweren Stand. Arnulf Rainer beginnt mit Mikl, Hollegha, Fuchs und Brauer in der “Hundsgruppe", der Monsignore Otto Mauer in seiner “Galerie nächst St. Stephan" ein Forum bot. Er etabliert sich aber bald als Einzelgänger in der Kunst.

Zunächst stehen die Übermalungen eigener und fremder Werke. Rainer führt ihren Ursprung gern auf den Mangel an frischer Leinwand im Nachkriegsösterreich zurück.

Die Übermalung wurde aber zu einem dialogischen Prinzip entwickelt, ist Kommunikation und unablässige Auseinandersetzung mit dem eigenen oder fremden Werk. Die Kunstgeschichte, bekennt Rainer – inmitten einer Serie von Laserkopien alter Meister –, ist ihm ein “wertvoller Steinbruch, wo ich mir Sachen heraussuche, die mich emotional tangieren“.

Die Triebfeder der Übermalung ist das Ungenügen: „Das ist in mir so stark, dass ich tatsächlich dann oft viele Bilder im Atelier aufstelle und von einem zum andern gehe und weiterarbeite, bis ich nicht mehr kann. Die Monochromie wird aber nie absolut flächendeckend. Sie verweist auf das übermalte Bild selbst, dessen Rest nämlich wahrnehmbar bleibt. So wird die Dialektik des Aufhebens praktiziert, Aufheben im Doppelsinn von Aufbewahren und Auslöschen.

Das entspricht Rainers Eigendefinition, er habe das Aufgelöst-lnformelle und die kontemplative Abstraktion in eine Form geführt. Das Ziel war “Malerei, um die Malerei zu verlassen“.

Mit seinen “face farces" sollte er dann tatsächlich ein zweites Medium, die Fotografie in seine künstlerische Arbeit aufnehmen.“Gesichtermachen" bleibt ein wesentlicher Teil des Werks, den Rainer später dann noch durch den schamanenhaften Umgang mit Totenmasken erweitert. Ob Grimassierung, Körperbemalung, fotografierte Körperposen und ihre Überarbeitung, es ist ein “Selbstgespräch" des Künstlers, das ihn treibt, Weiterzieht und das naturgemäß zeitlebens nicht endet.

Verschiedene Arbeitsplätze geben den Überblick, Foto Johannes Jetschgo

lch finde das Leben nur als Arbeit wirklich spannend und nicht das, was man als Leben bezeichnet

 

Arnulf Rainer

Dieser obsessive Arbeitswille, der sich darin ausdrückt, dass Rainer auch heute als Achtzigjähriger, um drei Uhr nachts das Atelier aufsucht und zwölf Stunden unausgesetzt zeichnet oder malt, ist Ausdruck dieses Selbstgesprächs, das zunächst in seinen frühen Jahren ins Unbewusste taucht, für das Rainer die Metapher des “Ozeans" verwendete.

Arnulf Rainer war einer der ersten, die die Kunst Geisteskranker schätzten und sammelten. Sie sei für ihn ein Ideal wie die Kunst der Antike für die Maler der Renaissance. Aber auch für die Renaissance gilt die Suche nach der Unmittelbarkeit schließt die Erkenntnis ihres Verlustes ein. Inzwischen hat Rainer eine umfassende Sammlung von outsider-Kunst zusammengetragen. In Vornbachhat er sie in Gruppen gehängt, jeweils in Gesellschaft einer seiner eigenen Arbeiten.

Foto: Otto Saxinger

Ich bin gern Knecht beim Arbeiten

Arnulf Rainer

Es gibt viele Pole im Lebenswerk Arnulf Rainers. Zwei sind konstant: das Physiognomische und – jetzt wiederkehrend –die Landschaft. Er habe als Kind mit Landschaften zu zeichnen begonnen. Und jetzt sehe er durchaus eine Nähe zur alten romantischen Landschaftsschilderung. Dann wären es aber Seelenlandschaften? „Das kann durchaus sein. Ein Künstler durchschaut sich keineswegs selber. Romantische Landschaftsmalerei ist tatsächlich etwas, zu dem ich eine starke Beziehung habe. Vor allem zu Caspar David Friedrich, aber auch zu Turner.“ Arnulf Rainer lässt sich auch von sich selbst überraschen. Deshalb erwartet er gespannt die Eröffnung des Rainer-Museums in Baden Ende September, weil dort nach Jahrzehnten die erste Phase seines Frühwerks präsentiert werden wird.

Das Atelierhaus, Foro: Otto Saxinger

Inzwischen breitet er sich in der Fotografie aus. Die Farben werden wieder wichtig, Rainers Winteraufenthalte auf Teneriffa mögen das ihre beigetragen haben. “Farbvorhänge", „Schleierbilder“ entstehen, mancher Kunstkritiker liest daraus einen “Sanften Stil". Die ununterbrochene Arbeit fördere jedenfalls neue Entwicklungen, davon ist Rainer überzeugt, genauso wie die erworbenen Räume sein Werk begünstigt haben, ein Schauplatz wie dieser im Innviertel ist ein Kleinbetrieb in Insellage, bis zum Handbuchbinder, den Arnulf Rainer als Assistenz in einer kleinen Druckerei am Hof beschäftigt. Nicht zu reden vom Organisationstalent seiner Frau Hanneore Ditz und von der Mitarbeit seiner Tochter. „lch habe gelernt im Leben zu delegieren. Alles, was andere ebenso gut können, anderen zu geben. Und ich habe mich auf das konzentriert, was ich besser kann als alle andern." Eine Maxime, die Gestalt geworden ist: den alten Glockenzug am Haus ziert eine kleine Metallskulptur: ein indischer Arbeitselefant.

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