Andreas Mühe im Frankfurter Städel Museum

Heldensuche und Konfliktbewältigung

Dunkel mit einem Hauch von Licht und Glitzer: Andreas Mühe bespielt den neu geschaffenen Raum für Gegenwartskunst im Städel Museum selbstbewusst und immersiv. Ein Ausstellungsbericht aus Frankfurt.


Ob es Helden in seinen Leben gebe, wurde Andreas Mühe gefragt und reagierte darauf mit den Fotoserien „Tschernobyl“ (2020) und „Biorobots II (2021). Die sogenannten „Liquidatoren“, jene Menschen die nach dem Reaktorunfall von 1986 als erste am Unglücksort aufräumten, sie sind Helden für den deutschen Fotografen. Unzählige von ihnen sind gestorben oder schwer erkrankt als Folge dessen, dass sie für Europa und die Welt aufgeräumt haben. Erstmals sind in Frankfurt nun beide Fotoserien gemeinsam zu sehen und das in einer Einzelausstellung die dicht und doch kohärent aufschlägt.

Andreas Mühe, 1979 im heutigen Chemnitz geboren, zählt zu den bekanntesten Gegenwartsfotografen Deutschlands, großangelegte Einzelausstellungen fanden etwa in den Deichtorhallen Hamburg oder im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst, Berlin statt. Markant ist Mühes Verpflichtung gegenüber dem Analogen und ein bis heute konsequentes Ausklammern der Digitalfotografie. „STORIES OF CONFLICT“ lautet der Titel der aktuellen Schau in Frankfurt. Kuratiert von Kristina Lemke trägt Mühe hier narrative Versatzstücke zusammen, die allesamt politisch wie persönlich aufgeladen sind. Besonders markant und zum ersten Mal so groß präsentiert – die Serie „Wandlitz“. In den streng bewachten Häusern der Waldsiedlung Wandlitz wohnten in DDR-Zeiten hohe Funktionäre des sozialistischen Staates. Doch wer sich Prunkarchitektur vorstellt, der täuscht sich, schlichte Fassaden mit abweisenden Gardinen reihen sich aneinander. Fotografisch inszeniert, wie ein Bühnenbild ohne Tiefe, spielt Mühe mit den Ideen des Seriellen und kühlem Licht. Apropos Licht: Auch ein Meister der Lichtführung wird referenziell bemüht.

Andreas Mühe, Foto: Stefan Heinrichs

Die Serie „Neue Romantik“ arbeitet sich an Caspar David Friedrich ab – hier liegt vielleicht der Schwachpunkt der sonst starken Ausstellung. Der Künstler der deutschen Romantik wird in der zeitgenössischen Kunst allzu oft bedient. Überzeugender ist das Andreas Mühes Beschäftigung mit sich selbst und seiner Familie. 24 Aufnahmen zeigen Mühes eigenen Zerfall, es sind Selbstporträts, allerdings mit Twist. In akribischer Handarbeit hat Mühe nahestehende Familienmitglieder und auch sich selbst aus Silikon nachbauen lassen. Doch Silikon ist kein beständiges Material, schon gar nicht, wenn man es Wärme und Kälte aussetzt. So griff Mühe sein Abbild thermisch an und hielt den Zerfall fest. Das Porträt spielt auch eine weitere gewichtige Rolle im Städel. Die ausgestellten Werkzyklen rund um Angela Merkel zählen zu den wohl berühmtesten des Fotografen. Von der Zugspitze bis zur Villa Hügel der Industriellenfamilie Krupp begleitete er die ehemalige Bundeskanzlerin und schaute ihr sprichwörtlich über die Schulter oder zeigt sie sitzend Auto. Eine von Termin zu Termin hastende Politikerin, die Außenwelt vor dem Autofenster, Deutschland verkommt solcherart zur Kulisse. Eine Inszenierung der Politik unserer Gegenwart – stets in unbeugsamer Geschäftigkeit.

Ausstellungsansicht, „Andreas Mühe. Stories of Conflict“, Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

Propagandabilder aus Zeiten des Nationalsozialismus zeichneten ein anderes Bild. Mühe spielt mit den Versatzstücken von Leni Riefenstahl und ihrer Zeit und entlarvt die pathetische Aufladung und die leeren Posen von Hitler und seinen Symbolen. Auch die Requisiten und Insignien der Macht stehen im Blickfeld, gedoppelt durch das funkelnde Glasmosaik, auf dem die Fotografien in dieser Sonderausstellung teilweise gehängt werden. Zu sehen ist hier etwa auch ein Paar Handschuhe des Führers. „Der Handschuh ist im Prinzip nichts anderes als heute die Maske. Eine Schnittfunktion zum Gegenüber, eine Distanzierung“, erklärt der Künstler in seiner Ausstellung und macht dabei deutlich, dass alle Blick- und Denkachsen dieser Ausstellung absolut im Heute Anknüpfungen finden, wenn sie auch nur über das Gestern ganz verstanden werden können.

Städel Museum

Schaumainkai 63 , 60596 Frankfurt am Main
Deutschland

ANDREAS MÜHE
bis 19.6.2022

 

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