Alpine Utopie: Paweł Althamers «Franciszek» im Val Fex, Engadin (CH)
Die neu gegründete Fondazione Beatrice Trussardi verkörpert eine nomadische Art des Museums. Was Beatrice Trussardi bereits erfolgreich mit der Fondazione Nicola Trussardi in Mailand (I) umsetzte, ist nun in einem internationalen Rahmen angelegt. Als erstes Projekt zeigt die Stiftung eine Installation des polnischen Künstlers Paweł Althamer (*1967 Warschau, PL) in einer Berghütte im Schweizerischen Val Fex.
Bereits in Mailand dienten der Stiftung Nicola Trussardi verlassene Orte als Bühne für zeitgenössische Kunstinstallationen. Deren kuratorischer Leiter Massimiliano Gioni und ihre Präsidentin Beatrice Trussardi initiierten eine Förderung der zeitgenössischen Kunst ausserhalb des „White Cube“. Mit der Gründung der Fondazione Beatrice Trusssardi setzt die Stifterin diesen Weg auf internationaler Ebene fort.
Das erste Projekt, ein Werk des polnischen Künstlers Paweł Althamer, ist im Val Fex, einem Seitental des Engadins in einer Berghütte aus dem 17. Jahrhundert angesiedelt. Moderne trifft hier auf Tradition. Die Kunstinstallation von Althamer reflektiert unser Verhältnis zur Natur und Kultur. Er verlegt eines seiner «Tableaux» in einen Stall für Bergziegen und erwählt den Hl. Franziskus zum Protagonisten, der sein Kardinalsgewand in einer symbolischen Geste abstreift und ein Zurück zur Natur und Askese evoziert. Damit regt er den Besucher auch zu einer Reflexion über die ökologischen und sozialen Veränderungen der Region an. Dabei geht es dem Künstler um Spiritualität, die eine Veränderung des Innenlebens eines Menschen bewirken kann.
Durch die differenzierte Wahrnehmung der Umgebung und des eigenen Ichs kann eine Transformation initiiert werden, die ein Umdenken und eine neue Sicht auf die Welt zur Folge hat. Dies würde im Fall der Kunstinstallation «Franciszek» ein Umdenken unseres Umgangs mit der Natur und Kultur bedeuten. Der besagte Stall im Val Fex auf 2000m Höhe ist zu Fuss leicht zu erreichen. Die Landschaft auf dem Weg zur Kunstinstallation ist überwältigend: Das besondere Licht, die Düfte und Naturgeräusche schärfen alle unsere Sinne, damit sich diese dann im Stall umgeben von meckernden Ziegen im Angesicht des Hl. Franziskus neu polen können. Der Heilige stand in unmittelbarer Beziehung zur Natur; er gilt auch als Patron der Tiere. In einer Zeit der Krise und Umbruchs soll der Mensch wieder an den Ursprung und das wertvolle in Natur und Kultur denken und entsprechend agieren. Dies alles macht Althamers Kunstinstallation so aktuell und für alle zugänglich. Es ist auch ein biografisches Werk: Der Hl. Franziskus verkörpert auch Althamer selbst. Der geschundene Körper ist bedeckt von Maden und anderen Insekten: Eine Dornkrone ums Haupt erinnert an den Leidensweg Jesu. Alle Materialien sind ursprünglich; selbst die Farben entstammen den Beeren der Umgebung. Als Hommage an seine Frau hat der Künstler auf dem linken Schulterrückenblatt des Heiligen das Zitat «Gloria in excelsis Deo» neben einer nackten Frau in der Art eines Tattoo abgebildet.
Auf dem Haupt steht ein Spruch in Puter, dem lokalen romanischen Dialekt: «Eu nu sun dal quist mond.» (Ich bin nicht von dieser Welt). Damit ist einerseits Franziskus‘ Heiligsprechung gemeint, anderseits birgt dieser Spruch auch autobiographische Züge. Auf dem abgestreiften roten Gewand sind Münzen eingenäht: Ein Hinweis auf den zukünftigen asketischen Lebensstil. Im unteren Teil des Stalls steht ein blau gefärbter Altar mit dem Hl. Franziskus als Kleinkind, das im Stroh auf einem Tuch liegt. Als Dank für die Besitzer der Hütte fertigte Althamer hinter seinem «Franciszek» noch eine Maria mit Kind in Holz an. Dabei dachte der Künstler an die Frau des Besitzers, die sich um die Ziegen kümmert. Während der Arbeit vor Ort wurde im Stall eine Ziege geboren, die nun Francesca heisst. All dies verwebt sich zu einem Geflecht von damals und heute, von Spiritualität und dem eigenen transformierbaren Ich, von Biographie und religiöser Referenz. Trotz aller Bezüge ist die Installation für Besucher aus allen Kulturkreisen zugänglich. Auf dem Holztisch vor dem Stall liegt ein Buch, in dem jeder Besucher seine Definition des Paradieses aufschreiben kann. Es verkörpert einen lebendigen Teil der Installation, schärft ihren kollektiven Charakter und schliesst das Publikum mit ein.
Althamers Paradies ist seine schöpferische Arbeit als Künstler, in der er zu immer neuen Ausdrucksmöglichkeiten findet und so den Besucher berühren und einschliessen kann. Zusammen mit dem wissenschaftlichen Leiter Giuliano da Empoli wählte Beatrice Trussardi als Ort ihrer ersten internationalen nomadischen Kunstintervention die Schweiz im Sinne einer «Alpinen Utopia»: Dabei beziehen sie sich auf Persönlichkeiten, die unsere Welt massgeblich prägten und in der Schweiz weilten, wie Nietzsche, Einstein, Lenin, Joyce, Jung, Mary Wigman und Le Corbusier. Im Fokus steht die «visionäre Schweiz», wie sie schon der Kurator Harald Szeemann (1933 Bern – 2005 Tegna CH) in Szene setzte. Die Zukunft muss neu gedacht und neu begangen werden. Auch Kunst muss neue Wege suchen sich zu artikulieren, um auch anders wahrgenommen zu werden. Durch Interventionen namhafter zeitgenössischer Kunstschaffender möchte Beatrice Trussardi dieses Erlebnis der Kunst für alle zugänglich machen und damit andere Wege beschreiten.
PAWEL ALTHAMER
FRANCISZEK
11. Juli – 29. August 2021
Täglich von 11.00 bis 17.00 Uhr, Freier Eintritt
Stalla Pramog, Via da Platta 27, Sils-Fex, Schweiz