Alec Soth: Was ist die perfekte Formel für Fotografie?

Alec Soth, Misty, 2005, from the series: Niagara, 2006 © Alec Soth / Magnum Photos

Alec Soth – Synonym für Erzählkunst, Sprachkunst, Fotokunst. Von einem der loszog, Fotografie-Geschichte zu schreiben.


Es liegt nicht nahe, dass ein Fotograf die Liebesbriefe seiner Porträtierten absammelt. Genauso wenig, wie es logisch scheint im digitalen Zeitalter mit einer Großbildkamera inszenierte Porträts zu fotografieren, denen aber doch eine Unschuld des scheinbar Spontanen innewohnt. Der 1969 geborene US-Amerikaner Alec Soth wandelt, so ist es oft geschrieben worden, auf den Spuren von Robert Frank und Walker Evans. Doch er tut es mit eigenem Kurs und Tempo. Während er in den frühen 2000ern den Mississippi entlang fotografierte, passierte ihm nicht nur eine vorzeigbare Fotokarriere, sondern auch das Internet. Die Zeit ist eine andere, das Leben wurde digital.

Doch Soth versteht zu beweisen, dass da draußen, bei allem Wandel, dennoch, wie er sagt, „echte Realitäten“ zu finden sind. Tatsächliche amerikanische Landschaftsromantizismen und wahre Geschichten vom American Dream. Denn mit der Frage „Was ist dein Traum?“ begegnete Soth den Protagonisten der Serie „Sleeping by the Mississippi“. Am mythenumwobenen Flussbett entstand ein vielgestaltiges Projekt zwischen Porträt, Stillleben und Landschaftsfotografie. Dabei arbeitet Soth stets im breitgefächerten Möglichkeitsraum zwischen individuellem Foto und großem Narrativ.

So auch in der chronologisch folgenden Serie „Niagara“ von 2006. Der gewaltige Wassersturz ist nicht nur beliebte Kulisse von Flitterwochen, sondern auch tragischer Drehpunkt vieler Suizidtouristen. Dem näherte sich Soth mit poetischem Feingefühl. Der Betrachter erfährt im Bild und Titel eigentlich wenig von den Porträtierten, den Paaren und den Einzelporträts, doch in Vitrinen verteilt im Ausstellungsraum, begegnet er ihren Stimmen auf zerknüllten alten Liebesbriefen. Soth wollte ein bisschen von der „Dynamik“ der Liebenden spüren, erzählt er.

Alec Soth, St. Thomas Academy Prom. Mendato Heights, Minnesota, 1996, from the series: Looking For Love, 1996 © Alec Soth / Magnum Photos, Courtesy Edios Foundation

Alec Soth, St. Thomas Academy Prom. Mendato Heights, Minnesota, 1996, from the series: Looking For Love, 1996 © Alec Soth / Magnum Photos, Courtesy Edios Foundation

Diese stimmmächtige Sensibilität des Künstlers machen sehr frühe Aufnahmen am deutlichsten. In „Looking For Love“ von 1996, reflektiert er seine Zeit in den eigenen Zwanzigern als er in einem Fotolabor arbeitet und entwickelte tagein tagaus die Geschichten Fremder Protagonisten. Irgendwann begann er selbst Fotogeschichten beizumengen und heimlich unter den offiziellen Aufträgen zu entwickeln. Soths neueste Arbeiten sprechen im Vergleich dazu einen neuen Dialekt: In der aktuellsten Serie „I Know How Furiously Your Heart Is Beating” von 2019 lässt Soth bewusst dialogische Begegnungen entstehen – intimen Besuchen bei Menschen in ihren privaten Rückzugsorten. Aufwendig vorbereitet und abgesprochen.

„Photography Is A Language“ ist übrigens der Titel der Ausstellung – Fotografie ist eine Sprache. Aufsätze, Gedichte, Versatzstücke, Paraphrasen und Zitate. Fotografische Sprache denkt Soth aber auch musisch, Kuratorin Verena Kasper-Eisert meint dazu: „vielleicht ist es ein Moll in dem die Stimmung der Aufnahmen lesbar ist“.

Ein Anteil fällt auf das Subjekt aus, ein Anteil kommt dem Fotografen zu und ein dritter, wesentlicher Anteil ist im Betrachter selbst festzumachen.

Verena Kasper-Eisert, Kuratorin

In über hundert ausgestellten Werken kann man das Werk Soths mit all seinen Tönen in diesem Mid Career Survey im Kunst Haus Wien nun hervorragend nachvollziehen. Das Werk des Magnum Fotografen mache wie kaum ein anderes deutlich, so Kasper-Eisert, in welchem Dreiklang Fotokunst agiert: Ein Anteil fällt auf das Subjekt aus, ein Anteil kommt dem Fotografen zu und ein dritter, wesentlicher Anteil ist im Betrachter selbst festzumachen. Emotionen kommt man in dieser Ausstellung nicht aus.

 

Soth versteht gesamtheitliche Konzepte, technischen Anspruch und zarte Empathie präzise zu setzen. Eines ist all seinen Serien inhärent, das starke Gefühl der Sehnsucht. Das Sehnen, ja, das sei ein wichtiger Anker in seinem Werk, erklärt Soth darauf angesprochen. Das Sehnen und ein gewisser Hang zur Melancholie treiben ihn an. Die große Krise seines Schaffens war jene Lebensphase in der er das Glück gefunden hat. Das liege aber inzwischen wieder hinter ihm, lächelt Soth sympathisch kokett am Tag der Eröffnung in Wien. Ebenda ist seine Ausstellung, die erste große in Österreich, nun bis August zu sehen.

Kunst Haus Wien

Untere Weißgerberstraße 13, 1030 Wien
Österreich

Alec Soth
Photography is a language

27.02.2020 -16.08.2020

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