Wien Mobil – Kunst im Untergrund U-Bahnstationen

Mit dem Wegfall der Ausgangsbeschränkungen wird der Radius unserer Rundgänge zunehmend weiter und wir alle mobiler. Daher wollen wir uns in unserem diesmaligen Weekend-Newsletter der Kunst in den U-Bahn Stationen Wiens widmen.


Das heutige Netz der Wiener U-Bahnen ist ein Produkt einer visionären, modernen Stadtentwicklung um 1900. Damals entwarf Otto Wagner die Stadtbahn. An die ehemals roten Züge der Stadtbahn kann ich mich noch aus meiner Kindheit erinnern. Heute befahren die Linien U4 und U6 zum Teil die historischen Stadtbahnbögen und einige historischen Stationen sind bis heute erhalten und Teil der Kunst- und Architekturgeschichte der Stadt. Aber auch der Bau der modernen U-Bahn wurde mit Kunst verbunden. Ende der 1980er-Jahre beauftragten die Wiener Linien Anton Lehmden die neu errichtete U-Bahnstation Volkstheater auszustatten. Sein großflächiges Glasmosaik, das die naturgeschichtliche Entstehung der Erde darstellt, setzte den Beginn für die Beauftragung einer Reihe von Künstlern für die Gestaltung von U-Bahnstationen, die seit 2008 in Zusammenarbeit mit KÖR (Kunst im öffentlichen Raum GmbH) erfolgt. Seit damals entstand ein breites Spektrum an künstlerischen Interventionen, sowohl von österreichischen wie auch internationalen Künstlern, darunter Werke von Ingeborg Strobl, Peter Sandbichler, Ernst Caramelle, Peter Kogler, Heimo Zobernig, Franz Graf oder Michael Kienzer, Ken Lum, Christian Jankowski, Michael Sailstorfer und Nam June Paik. Einige davon wollen wir vorstellen.

1. Rund um den Hauptbahnhof

Mit dem Neubau des Wiener Hauptbahnhof ging auch die Entwicklung zweier neuer Stadtviertel einher, dem Sonnwendviertel und dem Quartier Belvedere. In die Neugestaltung wurde auch der Südtiroler Platz, 1040 Wien, einbezogen und dafür auch explizit künstlerische Wettbewerbe ausgeschrieben, die landschaftsplanerisch, architektonisch und künstlerisch zur Aufwertung und Neuinterpretation des Südtiroler Platzes beitragen sollen.

Südtirolerplatz | Michael Sailstorfer, Hauptwege und Nebenwege, 2016/17 1040 Wien, Foto: Michael Strasser / KÖR GmbH, 2017/2018

„Hauptwege und Nebenwege“ ist ein Projekt des Büro zwoPK Landschaftsarchitektur Rode Schier Wagner OG und des Künstlers Michael Sailstorfer (*1979 Velden). Die Skulpturen mit ihren verschlungenen Linien sind über den Lüftungsschächten der U-Bahn platziert und spielen auf die Bedeutung des Platzes als Verkehrsknotenpunkt an. „Ausgehend von Zeichnungen, welche die Verkehrssituation vor Ort und das Wiener Bahnnetz zeigen, erinnern die Skulpturen an Landkarten, Wege oder Routen. Sie übersetzen Zustände wie Stillstand und Bewegung in eine konkrete Form.“(KÖR)

In der U-Bahnstation Südtiroler Platz, an der Schnittstelle von Hauptbahnhof und U1, installierte Franz Graf (*1954 Tulln) auf vier verschieden großen Flächen ein Bilderkaleidoskop, geschöpft aus seinem Archiv unterschiedlichster Bild- und Schriftmotive. Auf insgesamt 56 Glaspaneelen zirkulieren Gesichter, dunkel akzentuiert und teilweise geschwärzt, kreisförmige Figurationen und rätselhafte Schriftzeichen in einem Rhythmus aus Loop und Remix. Metaphern von Erinnerungspuren, Sehnsucht und Wiederkehr setzen kräftige Markierungen auf den sonst flüchtig wahrgenommenen Oberflächen eines urbanen Transitbereichs. (Margareta Sandhofer) Für den 120 Meter langen Tunnels unter dem Hauptbahnhof entwarf Peter Sandbichler (*1964 Kufstein) eine reliefartige Wandinstallation, bestehend aus 12 abwechselnd konkaven und konvexen Keramikmodulen in je zwölf Farben, die nach seriellen Prinzipien angeordnet sind. Der Titel bezieht sich auf die Kompositionstechnik der Zwölftonmusik. Die Module sind so gestaltet, dass sich durch die Überschneidungen der Formen und Farben bei Durchschreiten des Tunnels permanent wechselnde optische Effekte ergeben und visualisiert damit zugleich auch die Funktion des Ortes.

2. Verkehrsknoten Karlsplatz

Die Arbeit entstand im Rahmen der Neugestaltung der unterirdischen Passage am Karlsplatz. Ernst Caramelle (*1952 Hall i.Tirol) entwickelte ein Projekt für den Verbindungsgang zwischen dem Rondo mit den Aufgängen zum Opernring und dem breiten Eingangsbereich hin zum Resselpark. Anstelle der Geschäfte erblickt der Passant nun gemalte Farbfelder, farblich fein abgestuft und in Pastelltönen. Mit den Malereien entlang des Wandverlaufs betont Caramelle die langgezogene Architektur der Passage. Durch die Spiegelung an den Glasflächen wird der Betrachter in die Komposition einbezogen. Peter Kogler (*1959 Innsbruck) schuf ein tapetenartiges Netzwerk aus computergenerierten Röhrenformen für die Wänden des Zwischengeschosses. „Peter Koglers Gestaltung des Zwischengeschosses der U-Bahn-Station Karlsplatz zielt auf eine virtuelle Erweiterung des realen Raumgefüges. Die Installation scheint die Grenzen der Architektur aufzulösen und mit ihren dynamisch verspannten Strukturen auf die Transferfunktion des Raums für die PassantInnen anzuspielen. [...]Die Installation besteht aus 193 schwarz-weißen, im Siebdruckverfahren bedruckten Glaselementen. Das computergenerierte Röhrenmotiv vermittelt ein zusammenhängendes Raumerlebnis, wobei — bedingt durch Muster und bauliche Gegebenheiten — jedes der Wandelemente ein Unikat ist.“ (Rainer Fuchs)

U-Bahn-Station Karlsplatz | Verbindungsgang Passage Karlsplatz, Ernst Caramelle, Ohne Title, Foto Credit: Iris Ranzinger, 2013

3. Entlang der U2

Entlang der Fahrstrecke der U2 finden sich zahlreiche künstlerische Interventionen. Ingeborg Strobl (*1949 Schladming–2017) gestaltete den Eingang U2 Novaragasse, 1020 Wien, aus 56 Emailplatten. Im Titel bezieht sie sich auf frühere (Gartengasse, Gärtnergasse) und den aktuellen Namen der Novaragasse. Als Vorlagen für die Pflanzendarstellungen auf den Emailplatten verwendete sie Holzschnitte aus dem 19. Jahrhundert. Diese verweisen auch auf die Novara-Expedition (1857–1859), eine der wichtigsten naturwissenschaftliche Forschungsreise der österreichisch-ungarischen Monarchie und sind zugleich auch, so die KÖR ein „inmitten des urbanen Raumes ein Symbol für ein politisch ökologisches Bewusstsein“. Das im unmittelbaren Umfeld gerade die Blumauergasse mit Bäumen bepflanzt wurde, scheint da wie eine Fortführung von Strobls Idee. Eine sehr ergreifende Gestaltung gelang Michaela Melián (*1956 München) 2017 an den Wänden des Durchgangs am Aufgang Herminengasse in der U2 Station Schottenring. Zwischen 1938 bis 1945 lebten rund 800 Jüdinnen und Juden in der Herminengasse, zwischenzeitlich einquartiert, ehe sie von den Nazis deportiert wurden. Melián zeichnet diese Einzelschicksale in Linien nach, die von den Wohnhäusern in der Herminengasse zu den verschiedenen Konzentrationslagern führen. Pro deportierte Person führt eine Linie von ihrer Wohnstätte zur für sie bestimmten Vernichtungsstätte. Darunter liegt eine Struktur aus grauen Linien, die das damalige Eisenbahnnetz sichtbar macht. Die beiden U2 Stationen Donaumarina und Donaustadtbrücke wurden von dem portugiesischen Künstler Pedro Cabrita Reis (*1956 Lissabon) 2013 gestaltet. Eine korrespondierende Gestaltung der als Brückenköpfe entlang der Donaustadtbrücke angelegten Stationen. Für die Aspern Nord gestaltete Stephan Huber (*1952 Lindenberg im Allgäu) die Installation „Aspern Affairs“ (2013) Zweimal wurde in Aspern Weltgeschichte geschrieben: Im Jahr 1809 erfuhr Napoleon dem Schlachtfeld in Aspern seine erste Niederlage und 1912 eröffnete mit dem „Flugfeld Aspern“ der damals größte und modernste Flughafen Europas. „Mit zwei 60 Quadratmeter großen Landkarten an den Bahnsteigenden erinnert der Künstler an diese beiden Ereignisse und verknüpft sie mit der Geschichte Wiens des frühen 19. und 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zur klassischen Kartografie beinhalten Stephan Hubers Karten ästhetische und sinnhafte Störungen, eine Vermischung von historischer Genauigkeit und subjektiver Deutung“ (KÖR)

4. Entlang der U3

Auch die U3 weist viele interessante Stationen auf, darunter das 1994 von Nam June Paik (*1932 Seoul – 2006 Miami) gestaltete Tele-Archäologie für die U3-Station Schweglerstraße und das 1998 von Margot Pilz (*1936 Haarlem, NL) gestaltete U-Turn Objekt für die U3 Station Ottakring, ein für das damalige Wien völlig neuartiges Werk war entstanden, ein multimediales „Gebrauchskunstwerk“ (Margot Pilz), eine Symbiose aus Kunstwerk und Informationssystem. Die Arbeit von Nam June Paik in der früher auf den Monitoren rasch wechselnde Bildfolgen zu sehen, funktioniert heute nicht mehr und ist sozusagen sein eigenes Denkmal. 2000 schufen Mona Hahn und Ilse Haider, ihre Konzept Belle Etage, für die U3-Station Enkplatz, in Wien Simmering. Für den 17 Meter hohen Schacht konzipierten sie eine Deckengestaltung in Anspielung auf kunsthistorische Beispiele der Renaissance und des Barocks. Anstelle von göttlichen Wesen oder verherrlichten Herrschern schauen hier allerdings vier Pensionisten aus dem Bezirk von der illusionistisch gestalteten Decke, die zudem keine himmlischen Sphären zeigt, sondern Gemeindebauten aus Simmering.

5. Entlang der U1

„Michael Kienzer (*1962 Steyr) reagierte auf die durch Fortbewegung und Dynamik geprägte Raumsituation im Tiefgeschoss der U1-Station Troststraße 2017 mit einer skulpturalen Intervention. Er errichtete neben der bestehenden Doppelliftkonstruktion aus Stahl und Glas einen dritten, verzerrten Schacht aus baugleichen Materialen. Die funktionale Ordnung wird in eine skulpturale transformiert.“ (Margareta Sandhofer). Für die U1 Station „Altes Landgut“ gestaltete Yves Netzhammer im selben Jahr die Arbeit „Gesichtsüberwachungs- schnecken“ und thematisiert damit die aktuellen Fragen von Überwachung und Kontrolle.


IMPRESSIONEN

Das könnte Sie auch interessieren