Die Kuratoren der Tate im Interview

»West gehörte nie einer Gruppe an«

Franz West, Herbert Brandl, Otto Zitko and Heimo Zobernig, Untitled 1988, Wood, papier mâché, paint, Hauser & Wirth Collection, Switzerland © Estate Franz West © Archiv Franz West | Foto: Stefan Altenburger Photography Zürich

Noch bis 2. Juni 2019 zeigt die Tate Modern in London eine umfangreiche Werkschau des österreichischen Künstlers Franz West (1947–2012). Es ist die erste Retrospektive seit dem Tod des Künstlers 2012. Nahezu 200 Arbeiten, darunter abstrakte Skulpturen, Möbel, Collagen und monumentale Außenskulpturen, geben Einblick in Wests ehrfurchtsloses Empfindungsvermögen und seinen spielerischen Zugang zu Material, Farbe und Form. An der Tate hat PARNASS das Londoner Kuratorenteam Mark Godfrey und Monika Bayer-Wermuth zum Interview getroffen.


Nina Neuper: Franz West wird die erste temporäre Ausstellung an der Tate Modern sein, die ein gesamtes Stockwerk im neuen Blavatnik bespielt. Wann kam die Entscheidung, West eine Retrospektive zu widmen?

Mark Godfrey: Es gab verschiedene Gründe, warum uns Franz West als passend erschien. Einerseits kuratierte der ehemalige Direktor der Tate Modern, Chris Dercon, die erste Franz-West-Ausstellung in den USA („Possibilities“, MoMA PS1, 1989) und andererseits war ich selbst am Spirit und Typus von Wests Arbeiten interessiert. Als schließlich das Centre Pompidou in Paris Interesse an einer ko-organisierten Ausstellung bekundete, begannen wir zu arbeiten. Zur Eröffnung des Blavatnik Building waren dort Werke aus der permanenten Sammlung zu sehen, die sich mit der Entwicklung vom statischen Objekt hin zu einer aktiveren, performativen Darstellungsweise seit den 1960er-Jahren befassten. West war Teil dieser Bewegung und ein bedeutender Vertreter, das wollten wir in einer Retrospektive zelebrieren.

Wie unterscheiden sich die Ausstellungen des Pompidou und der Tate?

MG: Das letzte Hauptwerk im Pompidou entstand circa zehn Jahre vor Wests Tod. Der Fokus der Ausstellung in Paris liegt auf der frühen bis mittleren Schaffensphase, während wir auch die letzten zehn Jahre beleuchten werden. Dann haben wir in London die einmalige Möglichkeit, die Außenskulpturen direkt rund um die Tate zu installieren, während sie in Paris im Stadtteil Marais zu sehen waren.

Monika Bayer-Wermuth: Außerdem werden wir zusätzliche Hauptwerke Wests zeigen, so zum Beispiel seine erste Außenskulptur „Eo Ipso“ von 1987, die für die Skulptur Projekte Münster entstand, oder die interaktive Skulptur „Epiphanie an Stühlen“ (2011). Der Besucher kann unterhalb einer von der Decke hängenden, riesigen pinkfarbenen Papiermaché-Skulptur auf einem von zwei typischen West-Stühlen Platz nehmen und seine persönliche Epiphanie erleben.

Franz West, Herbert Brandl, Otto Zitko and Heimo Zobernig, Untitled 1988, Wood, papier mâché, paint, Hauser & Wirth Collection, Switzerland © Estate Franz West © Archiv Franz West | Foto: Stefan Altenburger Photography Zürich

Franz West, Herbert Brandl, Otto Zitko and Heimo Zobernig, Untitled 1988, Wood, papier mâché, paint, Hauser & Wirth Collection, Switzerland © Estate Franz West © Archiv Franz West | Foto: Stefan Altenburger Photography Zürich

Zu Lebzeiten kollaborierte Franz West mit verschiedenen Künstlern. Dieser Austausch spielte fortlaufend eine ausschlaggebende Rolle in seinem Werk. Für die Retrospektive haben Sie die britische Künstlerin Sarah Lucas eingeladen, um mit ihr gemeinsam an der Gestaltung zu arbeiten. Wie kam es dazu?

MG: Ich wollte Sarah aus mehreren Gründen dabei haben. Erstens weil sie West kannte und mit ihm kollaborierte. Zweitens hat sie unglaubliche Erfahrung darin, mit den Aspekten einer Ausstellung zu arbeiten, die häufig weniger Beachtung finden, wie zum Beispiel Wände oder Sockel. Die Ausstellungsfläche im Blavatnik Building bietet völlige Freiheit hinsichtlich der Architektur und wir wollten diese Möglichkeit für eine Zusammenarbeit mit Sarah Lucas nutzen. Selbst wenn Franz West leider 2012 verstarb, wirkt sein Werk nach wie vor sehr lebendig. Dieses Gefühl wollen wir auch in der Ausstellung vermitteln.

MBW: Im Museum sind wir natürlich mit vielen Reglementierungen konfrontiert, die die Präsentation von Kunstwerken betreffen. Sarah Lucas bricht beziehungsweise vielmehr spielt mit diesen auf eine brilliante Art und Weise in ihrem eigenen Werk und wird ihre Ideen nun auch in der Zusammenarbeit für die Ausstellung einbringen.


Tate feiert Künstlerinnen

Im Dezember hat die Tate Britain angekündigt, in einem neuen Display beginnend mit April 2019 das ganze Jahr über ­Künstlerinnen der letzten 60 Jahre in den Fokus der Sammlungspräsentation zu stellen. »Sixty Years« konzentriert sich auf die für die Szene so prägenden Frauen der Sammlung, unter ihnen Mona Hatoum, Monster Chetwynd, Sarah Lucas und Bridget Riley.

So wird die jüngste Kunstgeschichte neu erzählt und die Hauptrolle darin den oft als Nebendarstellerinnen abgetanen Künstlerinnen zugespielt. 2019 wird sich die Tate auch mit einigen Einzelpräsentationen Künstlerinnen widmen, wie aktuell Dorothea Tanning in der Tate Modern. Ausstellungen von Dora Maar und Natalia Goncharova werden im Laufe des Jahres folgen. ­­­­

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Lynette Yiadom-Boakye, The Generosity, 2010, Tate © Lynette Yiadom-Boakye

Lynette Yiadom-Boakye, The Generosity, 2010, Tate © Lynette Yiadom-Boakye

Wests Offenheit gegenüber anderen Künstlern war groß. Wie würden Sie den daraus resultierenden Effekt auf sein eigenes Werk beschreiben? Inwieweit wurde er von den vielzähligen Kollaborationen beeinflusst?

MBW: Man kann zwei Arten der Zusammenarbeit unterscheiden. Die eine ist die tatsächliche Kollaboration mit Künstlern, sprich: beide Parteien tragen einen Teil zum Werk bei – so geschehen unter anderem mit Herbert Brandl oder Heimo Zobernig. Die andere Art der Zusammenarbeit ist, Freunde in Entscheidungen miteinzubeziehen – zum Beispiel bei der Farbwahl oder in der Ausführung einzelner Teile einer Arbeit. Die Besonderheit in diesem Fall ist, dass die Autorenschaft immer West alleine obliegt – die Arbeit ist sein Werk.

MG: In der Arbeit „Viennoiserie“ (1998) aus der Sammlung der Tate hat er sogar verschiedene Künstlerbeiträge zusammengetragen, um sie in sein Werk zu integrieren. Das Beeindruckende aller Kollaborationen ist, dass Wests Beitrag immer nahezu unbeeinflusst bleibt, was sehr speziell ist. Die Beiträge vermischen sich nie zu einer Einheit, sondern stehen für sich.

West gehörte nie einer Gruppe an. Dennoch wollte er Teil einer Community sein, was unter anderem zu Kollaborationen führte.

Monika Bayer-Wermuth, Kuratorin

MBW: West gehörte nie einer Gruppe an. Dennoch wollte er Teil einer Community sein, was unter anderem zu Kollaborationen führte. Zum Beispiel teilte er sich ein Studio mit Rudolf Polanszky und kollaborierte daraufhin mit ihm.

MG: Die Neugierde Wests, die zu den Kollaborationen führte, bescherte ihm schließlich auch mehr internationale Aufmerksamkeit, selbst wenn klar ist, dass dies niemals der Grund für eine Zusammenarbeit war.


Das vollständige Interview lesen Sie in unserem PARNASS 1/2019.

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