Nachgefragt

Volkstheaterdirektor Kay Voges: „Ich bin noch nicht fertig“

Lustvoll, leidenschaftlich, gegenwärtig und mutig will Kay Voges das Programm des Wiener Volkstheaters gestalten. Nach einigen Verzögerungen – erst Umbau, dann Corona – scheint ihm das zu gelingen, wie Nestroy-Preise, Einladungen zum Theatertreffen, begeisterte Kritiken und ausverkaufte Vorstellungen beweisen. In der Halbzeit seiner Intendanz hat PARNASS nachgefragt.


PARNASS: In der Broschüre zur zweiten Spielzeithälfte schreiben Sie: Fad wird uns 2023 sicher nicht! Was haben Sie vor?

Kai Voges: Luk Perceval wird sich 25 Jahre nach seinem spektakulären Mammutprojekt SCHLACHTEN! Shakespeares Rom-Tragödien vornehmen. Wir machen die Probenzeiten zu ROM öffentlich. Im März und April werden einzelne Proben live im Internet übertragen, die Zuschauer*innen können erste Eindrücke gewinnen und sich aktiv in einem Forum einbringen. Kommende Spielzeit wird das Ergebnis dann zur Uraufführung kommen. Wir konnten Rimini Protokoll wieder ans Haus holen und zeigen nach ALL RIGHT. GOOD NIGHT., der Produktion, die 2022 zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, jetzt CHINCHILLA ARSCHLOCH, WASWAS: Drei Tourette-kranke Menschen spielen auf der Bühne und sprechen über Kunst. Genauso freue ich mich auf die Kooperation mit dem Tanzquartier Wien. Gemeinsam schaffen wir es, Florentina Holzinger mit ihrer spektakulären Arbeit OPHELIA’S GOT TALENT, die heuer als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen des deutschsprachigen Theaters zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, ans Volkstheater zu holen. Wir werden Hubschrauber auf der Bühne haben, riesige Wasserbecken – es ist eine mordsmäßige Inszenierung, ein großer Aufwand, damit sowas Auffälliges gezeigt werden kann.

P: Seit einem Jahr kann ja nun wieder Theater stattfinden.

KV: Wir konnten jetzt endlich Kontakt zu unserem Publikum und in die Stadt hinein aufbauen. Mit Wien Modern hatten wir eine tolle Koproduktion mit einem Stück von Heiner Goebbels, mit der Viennale haben wir Werner Herzog nach Wien geholt, und jetzt kooperieren wir mit dem Tanzquartier. Das Volkstheater verzweigt sich und findet nach Pandemie und Sanierung seine Position im Herzen der Stadt.

Wir wollen lustvoll sein, leidenschaftlich, gegenwärtig, mutig. Und wir glauben, dass das Theater eine Gegenwartskunst ist, die sich auch immer wieder für die Gegenwart erneuern muss.

Kay Voges

Volkstheater © Emil Blau//Martin Geyer

P: Welches Publikum sprechen Sie an?

KV: Ich glaube, das coolste, das neugierigste Publikum Wiens geht ins Volkstheater. Wir haben manche Menschen ein bisschen verwirrt, weil hier Dinge stattfanden, die man zuvor noch nicht gesehen hat in dieser Stadt. Aber wir sind zuversichtlich, dass das der richtige Weg ist. Und wenn ich Weg sage, dann muss ich zugeben: Ich bin noch nicht gänzlich zufrieden, weil ich glaube, ein zufriedener Schauspieldirektor, der ist fertig. Und ich bin noch nicht fertig. Der Grundstein ist gelegt, aber es wird fleißig weiter dran gearbeitet, noch weiter die Arme aufzumachen für die Menschen.

P: Worauf führen Sie den Erfolg zurück?

KV: Wir wollen lustvoll sein, leidenschaftlich, gegenwärtig, mutig. Und wir glauben, dass das Theater eine Gegenwartskunst ist, die sich auch immer wieder für die Gegenwart erneuern muss. Mir begegnen viele neugierige Menschen, die sich freuen, wenn sie unseren FAUST sehen, den man doch zu kennen dachte, und auf einmal findet ein lustvoller Abend mit Live-Fotografie auf der Bühne statt. Oder der Abend “humanistää!“ nach Ernst Jandl, der zeigt, mit welcher Spiellust und gleichzeitig aber auch Präzision unser Ensemble arbeitet, und wo auf einmal dieses Spartendenken – was ist Schauspiel, was ist Musiktheater, was ist Performance – wild gemischt wird und sich eine ganz eigene künstlerische Sprache entwickeln kann. Dass ein Weltklasse-Künstler wie Paul McCarthy hierherkommt und dass Menschen die Chance haben, einem der berühmtesten amerikanischen Performancekünstler unserer Zeit live begegnen zu können, macht mich stolz. Ich rede aber auch vom starken Ensemble und von den bildenden Künstlern. Ich erwähne Tobias Rehberger, der jetzt für DER WÜRGEENGEL eine Bühne gebaut hat, Jonathan Meese, der hier Abende macht, die irgendwo zwischen Dada und einer Riesenparty angesiedelt sind. Konzerte von Danger Dan, Crime and the City Solution, Rufus Wainwright oder im April dieses Jahres die Poplegende Marc Almond erweitern unser Programm. Erwähnenswert auch die Reihe DISHES für neue elektronische Musik, bei der die Nachtkultur eine neue Farbe bekommt und wir gar nicht so viele Leute reinlassen können, wie kommen wollen. Das freut einen natürlich, wenn man merkt, die jungen Menschen entdecken hier einen Ort, wo sie sich wiederfinden können.

Kay Voges © Nikolaus Ostermann

P: Welche Rolle spielt der Begriff Provokation?

KV: Provokation ist etwas, wo der eigene Maßstab hinterfragt wird. Und ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns von der Kunst manchmal befragen lassen, ob unser Anspruch unverrückbar ist. Ich mag eigentlich lieber den Begriff Zumutung, dass die Kunst den Betrachtenden den Mut zuspricht, sich und ihr Denken angreifbar zu machen und vielleicht daran wachsen zu können. In diesem Sinn würden wir gern eine ZuMUTung für das Publikum sein, weil wir glauben, dass Bewegung, Infragestellung, Zweifel, Diskurs etwas sind, was uns als Gesellschaft weiterbringt.

Volkstheater

Arthur-Schnitzler-Platz 1, 1070 Wien
Österreich

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