Director´s Cut

Klaus Albrecht Schröder über Egon Schiele

Klaus Albrecht Schröder

Die Interpretation eines Liebespaares stellt für Schiele eine besondere Herausforderung dar, unabhängig davon, ob es sich um heterosexuelle oder lesbische Paare handelt. Die in seine Kunst einfließende weltanschauliche Überzeugung, dass der Mensch dem Grunde nach allein ist, wird in den monumentalen Gemälden zur Allegorie der Begegnung von Mann und Frau als einer zwischen Tod und Leben. Bis zum „Kauernden Menschenpaar“ (1918) reicht Schieles fatalistisches Weltbild, dass nichts die Kluft zwischen Mann und Frau überbrücken kann.


In der Gouache des „Sitzenden Paares“ gibt Schiele diesem existenziellen Pessimismus einmal mehr eine überzeugende Gestalt. Auch wenn die augenscheinliche physiognomische Belehnung der Frau mit dem Gesicht seiner Gattin Edith die Darstellung eines Liebesaktes nahelegt, steht für Schiele der grundsätzliche Zwiespalt zwischen den Geschlechtern im Vordergrund – ungeachtet der biografischen Einfärbung. Im thematisch vergleichbaren Gemälde desselben Jahres imaginiert sich Schiele in der asketischen Mönchskutte als Tod, der sanft ein Mädchen an sich drückt, dem er die Gesichtszüge seiner von ihm kürzlich verlassenen treuen Lebensgefährtin Wally Neuzil verleiht. Ließe sich diese Ikonografie noch als künstlerischer Niederschlag dieses dramatischen Lebensabschnittes verstehen, so gelingt dies bei der Gouache der Albertina nur um den Preis der durch keine Quelle belegten Unterstellung einer mangelnden Zuneigung zwischen Egon und Edith von den ersten Ehetagen an. Die Quellen berichten jedoch tatsächlich von seiner Verzweiflung, falls Edith in dieser schwierigen Zeit nicht bei ihm bliebe. Ungeachtet der Wiedererkennbarkeit der Modelle, die eben nur Stellvertreter und nicht Abdrücke der Wirklichkeit sind, variiert Schiele hier das Scheitern der Verbindung zwischen der Frau und der Puppe.

Wie eine kraftlose Gliederpuppe hängt nun der Mann in den Armen der Frau, die sich von hinten an ihn klammert. Formal interessieren Schiele abermals die vielfachen Verschränkungen und Überschneidungen der beiden Körper und ihrer Gliedmaßen. Das totenkopfähnliche Gesicht des Mannes unterfüttert mimisch, was die Glieder des Mannes verkünden: die Unmöglichkeit, das Streben des anderen nach Nähe und Wärme zu erwidern.

Klaus Albrecht Schröder
Egon Schiele, Sitzendes Paar, 1915, Bleistift, Pinsel und Aquarell © Albertina

Egon Schiele, Sitzendes Paar, 1915, Bleistift, Pinsel und Aquarell © Albertina

Die feine Aquarellierung des hellen Inkarnats innerhalb der mit einem weichen Bleistift gezeichneten Konturen wird von Schiele spannungsreich gegen die opak-geschlossenen Farbflächen gesetzt. Eine weitere formale Spannung resultiert aus dem prononcierten Gegensatz zwischen den weichen, runden Formen des ockergelben Gewands und den aggressiven, rot konturierten Spitzen. Hier verdankt sich die zweimal auftauchende zahnschnittartige Gestalt des Untergewandes vor allem innerbildlichen formalen Notwendigkeiten.

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