Trinitäts-Fresko
Immer wieder begibt sich der 26-jährige Masaccio in die Florentiner Kirche Santa Maria Novella. Nicht um zu beten, sondern um ein Fresko in den frischen Kalkputz des Seitenschiffs zu malen. Achtundzwanzig Tagwerke und drei Jahre später ist es vollbracht: Die erste korrekte Anwendung der Perspektive in der Malerei. Mit der Vollendung des Freskos stirbt der talentierte Künstler. Sein Erbe: eine Inkunabel der Renaissancekunst.
Trinität/Dreifaltigkeit
1425-1428
Tommaso di Ser Giovanni di Mone Cassai, genannt Masaccio
1401-1428
Stil: Masaccio gilt als Begründer der Frührenaissance-Malerei in Florenz
Technik: Fresko
Format: 667 x 317 cm
Bildaufbau: Figuren als Pyramide vor zentralperspektivischem Hintergrund
Von der Gotik zur Renaissance: Alle Figuren werden im gleichen Maßstab dargestellt und nicht wie nach ihrer Bedeutung abgestuft
Ort: Santa Maria Novella/Florenz
Ausgehend von einem zentralen Punkt – auf Augenhöhe des Betrachters – entfaltet Masaccio eine antikisierende Scheinwelt (angeblich inspiriert von Filippo Brunelleschi), erweitert mit seinem Trompe-l'œil den realen um einen illusorischen. Gestaffelt nach ihren Rängen ordnen sich die dargestellten Personen dabei den Bedeutungsebenen der Raumtiefe unter: im Vordergrund die Auftraggeber/Stifter, dahinter Maria und Johannes, im Zentrum der Gekreuzigte und Gottvater. Doch Achtung: fast täuscht die Einfachheit über die Genialität des Werkes hinweg.
Sich überschneidende Dreiecke führen das Auge des Betrachters noch weiter hinauf, hin zum „Gnadenstuhl“ aus Gekreuzigtem, Taube und Gottvater. Doch bevor der Blick vollends himmelwärts abgleitet, fängt ihn Masaccio mit horizontalen (Treppen, Sarkophag, Kreuzbalken, Architrav) und halbrunden (Triumphbögen, kassettiertes Tonnengewölbe) Elementen geschickt wieder ein. Die Farben Rot und Blau (Gewänder von Stiftern und Gott, Kassetten im Tonnengewölbe) stützen die Balance der fragilen Komposition zusätzlich.
Die Geburtsstunden der Renaissance
Folgt man dann der senkrechten Hauptachse, so begibt man sich auf die Reise von der irdischen Vergänglichkeit (Sarkophag/Skelett) in die himmlische Unendlichkeit (Gott).
Maria spielt dabei die Vermittlerin zwischen den Welten, Blick und Geste verbinden menschliche und göttliche Sphäre. Jedoch: Die traditionellen Schranken zwischen Kirchengemeinde und Dreifaltigkeit sind verschwunden, Erlösung und Erleuchtung sind nur eine Treppenstufe entfernt und zum Greifen nah.
Selbst der Sinnspruch („Io fu già quel che voi siete, e quel chi son voi anchor sarete“/ „Ich war, was ihr seid, und was ich bin, werdet ihr sein“) über dem Gerippe ist nicht in der elitären Sprache der Kirche sondern auf Italienisch, für alle verständlich, verfasst. Überhaupt haben Stifter und Heilige, Gott und Christus die gotische Bedeutung der Größenverhältnisse abgestreift. Gottes Fuß, unter dem Gewand hervorblitzend, entlarvt sogar das Überwesen als Diesseitsverbunden. Nicht Mahnung, sondern Wahrheit schwebt demnach als Motto über dem Fresko, über der gesamten Epoche.
Das Trintitätsfresko ist auch kein kunstvolles Raumbild zum Er-Schauen, sondern zum gedanklichen Be-Gehen, keine Imitation der Wirklichkeit, sondern vielmehr die Erweiterung derselben. Blinder Glauben hat fortan ausgedient, humanistische Gelehrsamkeit erlaubt ebenso eine Annäherung an Gott. Masaccio baut seine Welt vom Standpunkt des Menschen aus auf, mittels perspektivischer Malerei dreht er die Verhältnisse sogar komplett um und lässt uns selbst zu Schöpfern werden, zu Architekten und Gestaltern unserer eigenen Glaubens-Welten. Die Renaissance hat begonnen.
Literatur:
Edgar Hertlein: Masaccios Trinität. Geschichte und Politik der Frührenaissance in Florenz. 1979
Alexander Perrig: Masaccios „Trinità“ und der Sinn der Zentralperspektive. In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft. 1986
Florian Huber: Das Trinitätsfresko von Masaccio und Filippo Brunelleschi in Santa Maria Novella zu Florenz. 1990